Wie Sanktionen zu Krieg führen können
Die Zweckgesellschaft Instex – "Instrument in Support of Trade Exchanges" ("Instrument zur Unterstützung von Handelsaktivitäten") wurde im vergangenen Januar gegründet. Sie soll laut einer gemeinsamen Erklärung der Außenminister der drei europäischen Länder (E3) "den legitimen europäischen Handel mit dem Iran ermöglichen und sich zunächst auf die Branchen konzentrieren, die für die iranische Bevölkerung wichtig sind – also Arzneimittel, Medizinprodukte, Lebensmittel und Agrargüter".
Unternehmen sollen mit iranischen Partnern Geschäfte ohne den US-Dollar machen können. Denn die kürzlich beschlossenen Sanktionen der USA richten sich nicht nur gegen den Iran, sondern auch gegen seine Partnerländer. Indem die US-Währung nicht genutzt wird, lassen sich die Sanktionen umgehen. Die E3 erklären, dass "INSTEX langfristig auch anderen wirtschaftlichen Akteuren aus Drittländern offenstehen möchte, die mit dem Iran handeln".
INSTEX wird erst in ein paar Monaten operativ tätig sein können. Die Maßnahme soll die Gefahr einer militärischen Eskalation abwenden, doch womöglich ist es dafür schon zu spät.
Denn das multilaterale Atomabkommen vom Juli 2015 ist bereits äußerst fragil. Damals stimmte der Iran im "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) gemeinsam mit Großbritannien, China, Frankreich, Deutschland, Russland und den USA zu, sein Atomwaffenprogramm zu drosseln – im Gegenzug für die Aufhebung internationaler Sanktionen.
Trumps Alleingang gegen den Iran
Im Mai 2018 trat US-Präsident Donald Trump aus dem JCPOA mit der Begründung aus, die US-Interessen und die Sicherheit seines Landes seien bedroht. Denn der Deal beziehe weder Teherans Raketenprogramm ein noch dessen "destabilisierendes" Verhalten im Nahen Osten.
Doch das war auch gar nicht das Ziel des JCPOA gewesen. Trotzdem begann die Trump-Regierung "maximalen Druck" auf die Islamische Republik auszuüben. Wenige Monate nachdem sich die USA aus dem Atomdeal zurückgezogen hatten, verhängten sie umfassende Wirtschaftssanktionen gegen den iranischen Öl- und Bankensektor.
Die E3 hingegen erklären - anders als Washington -, der Iran sei seinen Verpflichtungen im Nuklear-Deal nachgekommen. Sie möchten das Abkommen fortführen, konnten aber die Folgen der US-Sanktionen nicht verhindern.
Große europäische Unternehmen haben bereits auf den Druck der USA reagiert und ihre Geschäftsbeziehungen mit dem Iran stark eingeschränkt und teils sogar eingestellt. Dazu gehören der Ölriese Total, die Reedereigruppe Maersk, die Automobilhersteller Daimler und Renault, die Eisenbahngesellschaft Stadler Rail und der Pharmahersteller Sanofi. Dadurch wurden Tausende Iraner arbeitslos.
Proteste und Streiks
Tatsächlich zeigen die Sanktionen Wirkung. Wegen verminderter Ölexporte, steigender Arbeitslosigkeit und beschleunigter Inflation kam es bereits zu landesweiten Protesten und Streiks. Viele Betroffene schieben ihre wirtschaftliche Not auf schlechte Regierungsführung, Missmanagement und Korruption.
Die Unruhen bestärken die iranische Opposition im Ausland, ihre Aktivitäten gegen die Islamische Republik zu intensivieren. Sogar die Herrschaft des 1979 gestürzten Schah Reza Pahlavi wurde teils wieder verherrlicht. Seit seinem Sturz regiert ein schiitisches Regime das Land. In Washington ansässige Befürworter eines Regime-Wechsels hegen nun Hoffnungen; dabei kann auch alles schlimmer kommen, als sie erwarten.
Irans Präsident Hassan Rohani kämpft darum, den politischen Schaden zu begrenzen. Dem obersten Führer, Ajatollah Ali Khamenei, nahestehende islamistische Hardliner sind verärgert über Rohani: Die "gemäßigte Außenpolitik" seiner "zentristischen" Regierung sei gescheitert.
Am 31. Januar räumte Rohani ein, dass die wirtschaftliche Lage schwierig sei. Kritik versuchte er aber zu zerstreuen: "Der Druck auf das Land und die Wirtschaftssanktionen sind so drastisch wie seit 40 Jahren nicht. (…) Unser Problem ist vor allem der Druck, den Amerika und seine Freunde ausüben. Die pflichtbewusste Regierung und das islamische System kann man dafür nicht verantwortlich machen."
Auch das Verteidigungsbudget wurde beschnitten. Besonders in Zeiten steigenden internationalen und nationalen Drucks ist das recht ungewöhnlich – und nur mit steuerlichen Engpässen zu erklären. Präsident Rohani legte dem Parlament Ende Dezember einschlägige Pläne vor. Das Verteidigungsbudget für das nächste Haushaltsjahr (21. März 2019 bis 20. März 2020) wird bei fast 15 Milliarden Dollar liegen, 16 Prozent weniger als im laufenden Geschäftsjahr. Es beinhaltet Ausgaben für Revolutionsgarden, Armee, Polizei und alle sonstigen Sicherheitskräfte.
Fehlende Strategie im Umgang mit Trump
Aktuell fehlt Teheran eine kohärente und langfristige Strategie, um der "Maximaldruck"-Politik Trumps die Stirn zu bieten. Irans Oberster Führer hatte wiederholt gefordert, eine "Widerstandsökonomie" zu etablieren und den Iran vom Welthandel und der internationalen Finanzwirtschaft abzukoppeln. Zu einer solchen "Selbstversorger"-Strategie gehört es seiner Meinung nach, inländische Produktion sowie Angebot und Nachfrage systematisch zu steigern. Eindeutig fehlt dem Iran aber das Geld aus Öleinnahmen, um eine solche Dynamik in Gang zu setzen.
Andererseits tut die Rohani-Regierung alles dafür, Trumps Konfrontationspolitik zu diskreditieren. Sie will, was die Interaktion mit der Islamischen Republik angeht, einen Keil zwischen den USA und der EU treiben.
Rückenwind erhielt sie am 3. Oktober. Da erlegte der Internationale Gerichtshof (ICJ) den USA auf, zu gewährleisten, dass die humanitäre Hilfe und eine sichere Zivilluftfahrt nicht unter den Sanktionen leiden dürfen. Auch wenn der UN-Gerichtsentscheid nicht durchsetzbar ist und US-Außenminister Mike Pompeo ihn ablehnt, ermutigte er die iranische Führung, ihren Widerstandskurs fortzusetzen.
Einige Hardliner wollen indes mehr und planen bereits ein Revival der iranischen "Ostwärts"-Politik, so wie sie Mahmud Ahmadineschad (2005 bis 2013) in seinen letzten Jahren als Präsident verfolgte. Die Idee war und ist, mit Russland und China zu kooperieren, um die wirtschaftlichen Folgen der westlichen Anfeindungen abzuschwächen. Zu Teherans Enttäuschung wollen aber offenbar weder Russland noch China geostrategische Vorteile opfern, um den Iran vor dem Druck aus dem Westen zu schützen.
Zunehmende Isolation
Tatsächlich neigen beide Mächte dazu, Teheran in internationalen Angelegenheiten als Druckmittel zu benutzen. Wie die E3 bestehen sie zwar auf ein Fortbestehen des Atomabkommens, ansonsten aber wirkt der Iran zunehmend isoliert.
Um den geschäftlichen Austausch fortzusetzen, fordern die E3, dass Teheran die Anforderungen der multilateralen "Financial Action Task Force" (FATF) umsetzt. Dazu gehören Gesetze gegen Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und grenzüberschreitende organisierte Kriminalität. Laut Majid Reza Hariri, Mitglied der Handelskammer Iran-China, teilen die meisten Länder die Ansichten der E3.
Präsident Rohani will, dass das Parlament Gesetzesvorlagen verabschiedet, um die FATF-Bedingungen zu erfüllen. Das aber verhindern mächtige Hardliner. Sie sagen, diese Vorgaben verletzten die nationale Souveränität Irans und behinderten die Unterstützung islamistischer Gruppen wie der Hisbollah im Libanon und der Hamas in den Palästinensergebieten. Die iranischen Revolutionsgarden sind am syrischen Bürgerkrieg beteiligt, im Jemen führt das Regime einen Stellvertreterkrieg gegen Saudi-Arabien.
Bislang waren die E3-Maßnahmen zum Erhalt des Nukleardeals diplomatisch wertvoll, ökonomisch jedoch nicht: Mit Irans Wirtschaft geht es rapide bergab. Hardliner wollen das Nuklearwaffenprogramm gewiss bald wieder aufnehmen – vor allem, weil sie wissen, dass ihre Macht gefährdeter ist denn je zuvor seit Beginn der Revolution vor 40 Jahren.
Bald könnte Rohani nicht mehr in der Lage oder bereit dazu sein, neue Nuklearaktivitäten seines Landes zu verhindern. Dann wäre ein verheerender Krieg, der den gesamten Nahen Osten und weitere Weltregionen zerstören würde, wohl wahrscheinlich.
Maysam Behravesh
© Zeitschrift Entwicklung & Zusammenarbeit 2019
Maysam Behravesh ist freier Journalist und promoviert in Politikwissenschaften an der Lund University in Schweden.