"Jetzt machen wir den Rückzieher"
Die Vereinigten Staaten versuchen nach ihrem Austritt aus dem internationalen Atomabkommen, den Iran wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Dabei sollen die "scharfen Wirtschaftssanktionen", die Trump und Pompeo mit dem Ausstieg der USA aus dem Abkommen angekündigt haben, vor allem europäische Firmen treffen. Amerikanische Firmen sind ohnehin seit Jahren nicht mehr im Iran aktiv. Für sie würde erst nach einem "Regimewechsel" in Teheran eine neue Zeit der Möglichkeiten anbrechen.
"Zur Rechenschaft ziehen"
"Zur Rechenschaft ziehen" werde man Unternehmen, die "verbotene Geschäfte im Iran" betreiben, sagte Pompeo wörtlich. Was verboten und was erlaubt ist, legen nach Auffassung der US-Administration allein die Vereinigten Staaten fest, auch wenn die Betroffenen europäische Firmen sind.
Die Bundesregierung ist aufgeschreckt. Die amerikanische Politik der Übergriffigkeit einfach hinzunehmen, käme nicht gut an. Dies würde auch die mühsam aufgebaute Verständigung mit dem Iran wieder zunichte machen. Der US-Sanktionspolitik etwas Wirksames entgegenzusetzen, ist hingegen auch eine Herausforderung.
Bei einem Treffen mit europäischen Amtskollegen vergangene Woche in Brüssel zeigte sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) unentschieden. "Wir versuchen zu ermitteln, welche konkreten Folgen die Sanktionen haben werden", sagte er ausweichend. Über das "Wie" von Gegenmaßnahmen der Europäer hüllte Altmaier sich in Schweigen.
Immerhin formulierte er das Dilemma, vor dem Deutschland und die Europäer nach dem US-Ausstieg aus dem Atomabkommen stehen: "Die Unternehmen haben im Iran investiert, haben Geschäftsbeziehungen angebahnt unter der Annahme, dass dieses Atomabkommen Gültigkeit hat. Und deshalb fühlen wir uns ihnen gegenüber auch verantwortlich", sagte Altmaier.
Siemens folgt der Trump-Agenda
Während Bundesregierung und EU noch überlegen, wie man reagieren soll, stimmen viele Unternehmen bereits mit den Füßen ab. Sie reduzieren ihr Irangeschäft stark oder beenden es ganz.
Besonders eilig hatte es Siemens-Chef Joe Kaeser. Weniger als eine Woche nach der Ausstiegserklärung von Donald Trump lief der Vorstandsvorsitzende des deutschen Technologiekonzerns zum amerikanischen Sender CNN und verkündete im Exklusiv-Interview, Siemens werde kein Neugeschäft im Iran mehr abschließen. "Wir folgen dem Primat der Politik", erläuterte Kaeser.
Die Zuschauer konnten trotz des holprigen Englisch keinen Zweifel haben, dass damit die Politik der Trump-Administration gemeint war. Neben Siemens sind der französische Energiekonzern Total, der italienische Wettbewerber Eni und der dänische Logistikriese Maersk weitere Beispiele bekannter Großunternehmen, die nach dem Atomabkommen 2015 in den iranischen Markt drängten und nun eilig den Rückzug antreten.
Nach Recherchen von "Panorama" geht der Exodus der Unternehmen aus dem Iran-Geschäft jedoch deutlich über diese bekannten Beispiele hinaus, nur dass er sich in der Masse der Fälle diskret vollzieht.
So verschickte die DZ Bank, das Frankfurter Dachinstitut der Volksbanken, kurz nach der Iran-Erklärung von Donald Trump ein Schreiben an die Filialen in der Fläche. Das Schreiben liegt der Panorama-Redaktion vor. Darin teilt die DZ Bank mit: "Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung und dem Ausstieg der USA aus dem JCPOA (Atomabkommen, Anm. der Redaktion) sehen wir uns veranlasst, nun auch den Zahlungsverkehr mit Iranbezug zum 30. Juni 2018 einzustellen."
Auch internationaler Zahlungsverkehr betroffen
Volksbanken, die das Schreiben von ihrem Dachinstitut erhielten, leiteten es an ihre im iranischen Markt aktiven Geschäftskunden weiter. Die "Wahrung der Reputation unserer genossenschaftlichen Finanz-Gruppe Volksbanken Raiffeisenbanken" gehöre zu den "maßgeblichen Beweggründen für diese Entscheidung", heißt es weiter. Die DZ Bank präzisiert, dass auch innerdeutscher Zahlungsverkehr in Euro, der einen Iranbezug aufweist, künftig nicht mehr abgewickelt werde. Panorama hat bei der Frankfurter Bank nachgefragt, ob sie es US-Präsident Donald Trump überlassen wolle zu bestimmen, "was gute und was schlechte Reputation" sei. Die Bank reagierte darauf nicht.
Für ihr Iran-Geschäft sind die Unternehmen auf Banken angewiesen, die den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr mit dem Land abwickeln. Daher bietet die Finanzwirtschaft der US-Administration eine besonders wirksame Angriffsfläche für Sanktionen. Faktische Grundlage ist die Dominanz des Dollars als internationales Zahlungsmittel. Geldtransfers in Dollar laufen letztlich immer über eine Bank auf amerikanischem Boden.
Schon in der ersten Phase strenger Iran-Sanktionen von 2007 bis 2014 gerieten so mehrere europäische Banken ins Visier der Amerikaner. Die US-Behörden verhängten hohe Strafen gegen die Commerzbank (1,5 Mrd. Dollar), die französische BNP Paribas (8,9 Mrd. Dollar) und die niederländische ING DiBa (600 Mio. Dollar). Die HypoVereinsbank wartet noch auf ihr Strafmaß. Panorama berichtete, wie die US-Behörden zudem die Commerzbank zwangen, sich von bestimmten Mitarbeitern in Deutschland zu trennen.
Die Spitzenverband Deutsche Kreditwirtschaft (DK) fürchtet nun die Neuauflage dieses Szenarios. In einer Stellungnahme vom 16. Mai erinnert die DK die Bundesregierung daran, dass sie die Rückkehr der Banken ins Iran-Geschäft nach dem Atomabkommen 2015 ausdrücklich begrüßt habe. Nun fordert der Spitzenverband von der Politik, "dass Wirtschaft und Banken vor möglichen US-Sanktionen geschützt werden." Das Beispiel der DZ Bank zeigt, dass das Vertrauen auf diesen Schutz nicht besonders groß zu sein scheint.
Dramatische Folgen für den Mittelstand
Die breite Wirkung der US-Sanktionspolitik in Deutschland wird deutlich, wenn man mit deutschen Mittelständlern spricht. "Wir haben unser Iran-Geschäft beendet", erklärt der Chef eines mittelständischen Unternehmens aus Niedersachsen. Dabei war der iranische Markt für den Anbieter von Eisenbahn- und Verkehrstechnik durchaus interessant. "Aber wir haben eben auch ein Geschäft in Nordamerika und deshalb sind wir verwundbar", sagt der Geschäftsführer am Telefon. "Und auf das Geschäft in den USA zu verzichten, rechnet sich betriebswirtschaftlich nicht."
Die Logik ist dieselbe wie die von Siemens-Chef Joe Kaeser. Nur dass es dem niedersächsischen Unternehmer etwas peinlich ist. "Unseren iranischen Partnern haben wir wachsendes Geschäft in Aussicht gestellt. Und jetzt machen wir den Rückzieher."
Der Manager eines Unternehmens aus Südwestdeutschland, der ebenfalls anonym bleiben möchte, berichtet von hohen Investitionen im Iran in den vergangenen Jahren. "Das werden wir jetzt wohl abschreiben müssen", meint er.
"Deutsche Wirtschaft schadet sich selbst"
"Der iranische Markt bietet eigentlich Wachstumspotenzial für die deutsche Industrie", meint Pardis Parinejad, Unternehmer und Rechtsanwalt aus Bochum, der im Iran an der Herstellung von Verfahrenstechniken für die Stofftrennung in der Ölindustrie beteiligt ist. Gleichzeitig vertritt er mehrere deutsche Mittelständler im Iran.
"Die deutschen Exporte hätten auf einen Wert von mehr als zehn Milliarden Euro steigen können", meint Parinejad. Jetzt werden sie nach Einschätzung des Unternehmers von aktuell 3,7 Milliarden Euro wieder auf rund zwei Milliarden Euro sinken. Der Unternehmer aus Bochum weiß, dass die Bedeutung des US-Markts den Ausschlag gibt. Dorthin haben deutsche Unternehmen 2017 Waren und Dienstleistungen für mehr als 110 Milliarden Euro exportiert. Diesen Markt will niemand verlieren.
Dennoch warnt Parinejad: "Wenn die Deutschen sich jetzt aus dem Irangeschäft zurückziehen, schadet sich die deutsche Wirtschaft selbst. Diese Lücke wird automatisch durch die Chinesen, die Russen und andere Drittländer geschlossen."
Politisch "falsches Signal"
Nach dem Atomabkommen nahm der Unternehmer aus Bochum an mehreren hochkarätigen Delegationen in den Iran teil: mit dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und der ehemaligen bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Damals, vor nicht einmal drei Jahren, herrschte Aufbruchsstimmung und Hoffnung auf eine wirtschaftlich untermauerte Verständigung mit Iran.
Politisch sei es daher jetzt das "falsche Signal, wenn alle den Aufforderungen der Amerikaner Folge leisten", meint Parinejad. Schließlich hätten die Amerikaner "einseitig das Atomabkommen aufgekündigt" und wollten jetzt den Europäern die Regeln im Umgang mit dem Iran diktieren. Die erklärte Absicht der US-Administration, den Iran durch Sanktionen wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, hält Parinejad für fatal. "Das bringt höchstens die Hardliner zurück an die Regierung in Teheran." Und das sei nicht im Sicherheitsinteresse der Europäer.
Die iranische Führung hat schon angedeutet, wie sie auf den Konflikt reagieren wird: Wenn die wirtschaftlichen Vorteile aus dem Atomabkommen, in dem die Machthaber in Teheran sich verpflichteten, die Anreicherung von Uran zu stoppen, wegfielen, könnte der Iran seinerseits aus der Vereinbarung aussteigen. Sollte die "Islamische Republik" dann wieder Uran anreichern, wird die Eskalation eine neue Stufe erklimmen. Dann wird ein Punkt erreicht sein, an dem die US-Administration den Grund für einen "gerechten Krieg" erkennen könnte.
Stefan Buchen
© Qantara.de 2018
Der Autor arbeitet als Fernsehjournalist für das ARD-Magazin "Panorama". Der Artikel erschien in der Ursprungsfassung auf der Internetseite von "Panorama".