Verschläft die Arabische Liga ihren Auftritt?

Als die Arabische Liga zum Schwerpunktland der Frankfurter Buchmesse 2004 ausgerufen wurde, war die Freude nicht ungetrübt. Schon das Pauschalarrangement für einen ganzen und reichen Kulturraum mochte fragwürdig scheinen. Der libanesische Schriftsteller Hassan Dawud über seine Befürchtungen.

Als die Arabische Liga zum Schwerpunktland der Frankfurter Buchmesse 2004 ausgerufen wurde, war die Freude nicht ungetrübt. Schon das Pauschalarrangement für einen ganzen und reichen Kulturraum mochte fragwürdig scheinen; vor allem aber waren die Schwierigkeiten bei der Erarbeitung eines gemeinsamen Konzepts für die 22 Staaten absehbar. Der folgende Beitrag von Hassan Dawud, Schriftsteller und Feuilletonchef der libanesischen Tageszeitung «Al-Mustaqbal», bestätigt diese Befürchtungen.

Hassan Dawud, Foto: Larissa Bender
Hassan Dawud

​​Mehrfach fragte mich eine deutsche Journalistin nach den Vorbereitungen der Libanesen im Besonderen und der Araber im Allgemeinen für die Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse 2004. Als sie die Fragen vor gut zwei Monaten in Jemen bei einem deutsch-arabischen Schriftstellertreffen stellte, erstaunte sie die anwesenden Araber mit ihrem Interesse an diesem Anlass. Auch die anderen Deutschen, die wir dort trafen, zeigten sich erwartungsvoll im Blick auf die Buchmesse, auf der die arabischen Länder in diesem Jahr die Gastregion sind.

Doch bei unseren Gesprächen dort schien uns dieses Ereignis mehr ein deutsches als ein arabisches zu sein. Denn bis dahin war uns nicht wirklich klar, was dort ablaufen wird. Einige von uns wussten überhaupt nichts von dieser in offizieller Diktion «grössten arabischen Kulturveranstaltung», obwohl schon seit fast drei Jahren bekannt ist, dass 2004 die arabischen Länder Gast der Buchmesse sein werden. Man hatte nicht miteinander darüber gesprochen. Libanon, das diese Idee über seinen damaligen Kulturminister Ghassan Salama an die Generalversammlung der Arabischen Liga herangetragen hatte, hat angesichts seiner bevorstehenden Teilnahme lediglich die administrativen und finanziellen Verpflichtungen erfüllt und - so der Leiter des Finanzressorts im Kulturministerium - seinen Anteil von 30 000 Dollar zu der Summe beigetragen, welche die arabischen Länder im Voraus zur Kostendeckung für den Anlass aufbringen müssen.

Keine kulturellen Initiativen

Das heisst, dass man sich bisher nicht um die kulturellen Aktivitäten gekümmert hat. Erst jetzt, vor wenigen Tagen, haben einige Kulturinstitutionen zu einem Treffen eingeladen, doch noch ist das Ganze nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Niemand ausser den Eingeladenen wusste von diesem Treffen oder erfuhr etwas von den Ergebnissen. Was aber dem Ganzen die Spitze aufsetzt und den Grad an Nachlässigkeit im Umgang mit dem bevorstehenden Messeauftritt zeigt, ist die Tatsache, dass die Schriftsteller und Intellektuellen gar nicht erwarten, informiert oder in die Diskussionen um die Vorbereitung mit einbezogen zu werden. Sie haben bei früheren Gelegenheiten schon erfahren, dass solche Veranstaltungen - wir erinnern uns nur an das Jahr 2002, als Beirut die arabische Kulturhauptstadt war - lediglich dazu dienen, dass die Verantwortlichen finanzielle und sonstige Gaben an diejenigen austeilen, die sie für die Intellektuellen Libanons halten.

Bis jetzt findet man auf den Kulturseiten der libanesischen Zeitungen kaum etwas über die Frankfurter Buchmesse. Es gibt bis heute keine Vorschläge für kulturelle Aktivitäten und keine Bücherlisten bei der zuständigen Stelle der Arabischen Liga, aus denen man auswählen könnte, was übersetzt werden soll. Bis jetzt ist das nicht geschehen, wie sollen in der verbleibenden Zeit von acht Monaten bis zum Beginn der Messe die Bücher eingesandt, Titel ausgewählt und übersetzt werden?

Keine homogene Kultur

In den anderen arabischen Ländern sieht es nicht viel anders aus als in Libanon. Von den 22 Staaten der Arabischen Liga haben erst 4 oder 5 ihren Anteil an den Kosten für die Veranstaltung bezahlt, so dass von den benötigten 3 Millionen Dollar noch 2,3 Millionen ausstehen. Als könnte die Gemeinschaft der arabischen Staaten diesen Betrag nicht aufbringen - obwohl man doch jederzeit ein Vielfaches der Summe für die verschiedensten arabischen Konferenzen aufwendet. Zudem hat man in den einzelnen Ländern kaum oder überhaupt nicht an die Vorbereitung kultureller Aktivitäten gedacht. Es herrscht ein solches Desinteresse, dass selbst ein mögliches Scheitern des arabischen Auftritts weder in der syrischen noch in der libanesischen Presse irgendeine Debatte hervorruft. In einer syrischen Zeitung warnte der Romancier Khalil Suwailih in einem kleinen Artikel davor, dass man auf diese Weise womöglich die arabische Kultur eher verurteile, als sie zu würdigen. Sehr viel mehr wurde bisher nicht geschrieben; erst langsam beginnen die Feuilletons, das Thema aufzugreifen.

Warum diese Gleichgültigkeit? Vielleicht weil die Intellektuellen und Schriftsteller wissen, dass die gleichen offiziellen Instanzen für die Gestaltung des Auftritts und die Auswahl der Teilnehmer zuständig sind, die auch politische Veranstaltungen organisieren - und die meisten arabischen Länder haben ihre etablierten«Staatsdichter». Darüber regt man sich auch nicht mehr auf, solange man dem Staat, ebenso wie den sonstigen staatlichen und nichtstaatlichen Gruppierungen, das Recht zugesteht, jeweils eigene Intellektuelle zu haben. Hinzu kommt aber, dass die arabischen Länder keineswegs alle eine gemeinsame und homogene Kultur haben, in der die Intellektuellen zudem eine klar definierte Position in der Hierarchie einnehmen. Wer sagt, dass die «Kulturen» in jedem Land gleich sind und friedlich miteinander leben, so dass man sich problemlos darauf einigen könnte, wer nun beispielsweise Libanon, Ägypten oder Marokko auf der Frankfurter Buchmesse vertritt? In Ägypten etwa gibt es neben der offiziellen «Staatskultur» und dem Mainstream der Intellektuellen andere Strömungen, von denen wir nicht einmal wissen, ob sie einander anerkennen.

Ich weiss nicht, ob man sich in anderen Gesellschaften, nicht unbedingt nur den arabischen, «national» auf bestimmte Schriftsteller und Intellektuelle als Repräsentanten des Landes einigen könnte. Vielleicht könnten anerkannte akademische Institutionen ein Mindestmass an kultureller Einheit gewährleisten. Doch in unseren Ländern würde es uns wie ein Wunder scheinen, wenn eine solche neutrale Institution die gesamte Bandbreite der Kultur repräsentieren würde.

Wenn die Intellektuellen in den einzelnen arabischen Ländern schon alles andere als eine homogene Gruppe darstellen: Wie soll dann erst die «gemeinsame» Kultur dieser Länder präsentiert werden? In den letzten zwanzig oder dreissig Jahren hat man sich im arabischen Raum allenthalben auf die eigene Kultur beschränkt, so dass nun ein Buch, das in Marokko erscheint (wenn wir schon von Buchmessen sprechen), den Leser in Libanon, Syrien oder in Ägyptennicht erreicht. Seitdem Libanon infolge des Krieges nicht mehr als Zentrum des arabischen Verlagswesens funktioniert, bleibt der Echoraum eines Buches meist auf das Land beschränkt, in dem es erscheint. Und es ist nicht so, dass inzwischen eine andere Hauptstadt die Funktion des kulturellen Zentrums für die arabische Welt übernommen hätte, so wie einmal Beirut den Platz eingenommen hat, den zuvor Kairo innehatte. Stattdessen gibt es nun viele zerstreute Zentren, die voneinander nur durch die in Europa erscheinenden «panarabischen», also überregionalen Zeitungen erfahren.

Geringe Erwartungen

Die Frankfurter Buchmesse hat noch nicht einmal ein Viertel des für die Präsentation der arabischen Kultur geforderten Betrags erhalten. Diese Summe ist nicht hoch, die jährlichen Festivals einzelner arabischer Staaten verschlingen ein Vielfaches. Der eigentlicheGrund der arabischen Unlust ist wohl der, dass man nicht sonderlich begeistert davon ist, gemeinsam die arabische Kultur zu repräsentieren. Die einzelnen Länder versprechen sich wohl von einem gemeinsamen Auftritt keinerlei ideellen Nutzen und keine Geltung.

Die «eine arabische Kultur» verbindet die arabischen Länder schon lange nicht mehr. Es kommen keine Dichter mehr aus den verschiedenen arabischen Hauptstädten, um gemeinsam dem Dichterfürsten zu huldigen, wie einst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als man sich um Ahmad Schauqi scharte. Man verehrt nicht mehr den einen Doyen der arabischen Literatur, wie seinerzeit Taha Hussain. Es gibt nicht mehr die eine arabische Elite, der man als Intellektueller angehört. Das Leben hat sich verändert, und nun kämpfen die unterschiedlichen Eliten für verschiedene Interessen - und nicht mehr unbedingt an erster Stelle für Kultur und Bücher.

Hassan Dawud

Aus dem Arabischen von Michaela Kleinhaus

&copy Neue Zürcher Zeitung, 17. März 2004

Von Hassan Dawud sind bei Lenos die Romane «Der Gesang des Pinguins» und «Tage zuviel» auf Deutsch erschienen.