Marokkos elektrisierende Fülle

Brice Bottin und Yousra Mansour sind die Köpfe der Band Bab L’Blu
Mit ihrem zweiten Album "Swaken" legt die franko-marokkanische Band Bab L’Bluz eine Schippe Rock und Dub auf ihre Arabesken drauf. (Foto: Brice Bottin)

"Swaken" heißt das zweite Album des franko-marokkanischen Quartetts Bab L'Bluz. Die Band um Sängerin Yousra Mansour vertieft sich hier noch mehr in die Facetten der Musik zwischen Atlantikküste und Sahara.

Von Stefan Franzen

Dieser wilde Sound sticht aus der Vielzahl von Bands des schwammigen Genres Desert Blues heraus: Das Lyoner Quartett Bab L’Bluz um die marokkanische Sängerin Yousra Mansour und den Multiinstrumentalisten Brice Bottin setzt mit einer ansteckenden Kombination aus psychedelischem Bluesrock, Dub und den Klangfacetten der Ethnien zwischen Atlantikküste und tiefer Wüste die Gehörgänge in Brand.  

"Wir verstehen uns als erweitertes Powertrio im Geiste der Bands von Jimi Hendrix", sagte Mansour beim Release des Debüts Nayda! und spielte darauf an, dass der Gitarrenheld ja auch einige Inspirationen in Marokko empfing - vor allem von der rituellen Musik der Gnawa, der schwarzen Minderheit Marokkos.

In den fünf vergangenen Jahren hat die Band Fans von Skandinavien über Italien bis nach Australien gewonnen und vor Zehntausenden gespielt. Was ist ihr Geheimnis? "Es ist eine junge Band, die ein sehr junges Publikum zieht, und das auf Weltmusik- genauso wie auf psychedelischen Rock-Festivals."

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Besessen von Klängen

"Früher wurden sie als 'Gnawa-Rock' vermarktet, aber ihre Einflüsse gehen weit darüber hinaus", so der Bab L’Bluz-Agent Norbert Hausen. Das macht der Zweitling Swaken sehr deutlich. Hinter der Namensgebung verbirgt sich im marokkanischen Dialekt des Arabischen, dem Darija, das Wort für die Geistwesen, die einen Menschen besetzen können, auch der Begriff für den Besuch in einer anderen Dimension. Ob man an diese Art der Transzendenz glaubt oder nicht, beim Hören des Albums stellen sich zumindest Gefühle einer Besessenheit von Klängen ein.

Im Vergleich zum Debütwerk haben Bab L’Bluz an vielen Stellschrauben optimiert. Die Klangarchitektur ist breiter, noch mehr auf eine grandiose Panaroma-Wirkung angelegt, und trotz Wall of Sound ist die Stimme von Yousra Mansour präsenter, wird oft chorisch vervielfacht. Zum anderen ist die Verstärkung der traditionell basierten Lauten ausgefeilter und cleaner. 

Mansour spielt eine Awisha, ein Instrument, das von der Gnawa-Basslaute Gimbri abgeleitet ist, eine Oktave höher klingt, und eingestöpselt wie eine besonders ruppige E-Gitarre tönt. Dazu kommen eine Electro-Mandola und eine ebenfalls elektrifizierte Ribab, eine einsaitige Fiedel aus der Berber-Kultur. 

Außerdem sind Gitarre, Banjo, die Flöte der westafrikanischen Fulbe-Nomaden und die durchdringende Schalmei Zorna im Aufgebot. Und eine Menge maghrebinischer Perkussion von den klappernden Qraqebs bis zur Rahmentrommel Bendir.

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Verbeugung vor der Diversität

Weiter aufgefächert als auf dem Erstling ist auch die Verbeugung vor der Diversität der marokkanischen Kultur, bedingt durch die Vielzahl an Ethnien: Mit "Wahia Wahia" greift die Band ein Volkslied der marokkanischen Beduinen auf und bauscht es zu einer gewaltigen, räumlich swingenden Hymne auf. 

Der auf einem Ton insistierende Gesang über Frauenrechte erzeugt im maurischen Song "Zaino" einen fantastischen Sog mit den Wah Wah-Riffs auf der Awisha. Ein Vokalstil aus dem Hohen Atlas wird im "Iwaiwa Funk" verarbeitet, in "Ya Leilo" finden gleich Einflüsse von vier Volksgruppen – der Tuareg, der Hassania, der Gnawa und der Houara-Berber – zu einem bassgetriebenen Groove zusammen. 

Einen kleinen Entspannungswimpernschlag bietet schließlich ein Lied von ganz woanders, nämlich ein jemenitischer Folksong, bevor die Band in das hitzige Highlight "Karma" hineinbiegt, ein Gesang der marokkanischen Aissawa-Sufis. 

Kämpferische Lyrics über patriarchale Strukturen, ein Lobpreis starker marokkanischer Frauengestalten und Aufrufe zu Toleranz und Mitmenschlichkeit ziehen sich als roter Faden durch "Swaken". Ein wilder Ritt durch die marokkanische Klanghistorie mit der Rockenergie von heute.

Stefan Franzen

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