Auf der Suche nach Verbündeten
Im neuen afghanischen Parlament sind auch zahlreiche Frauen vertreten. Jedoch kann dies nicht über die vielfältigen Probleme hinwegtäuschen, mit denen sie nach wie vor in Gesellschaft und Politik zu kämpfen haben. Martin Gerner berichtet aus Kabul.
Shinkai Karokhail ist Mutter und Abgeordnete aus der Provinz Kabul. Sie trägt einen dicken Wollmantel und sitzt an einem Kohleofen. Es gibt mal wieder keinen Strom an diesem Morgen in Kabul. "Wir Abgeordneten haben immer noch kein eigenes Büro im Parlament, keinen eigenen Mitarbeiter-Stab, keinen eigenen PC", beschreibt sie die Situation.
Shinkai Karokhail nennt sich eine "Frauen-Aktivistin". Im pakistanischen Exil hat sie eine Organisation für die Rechte von Frauen gegründet. An diesem Nachmittag trommelt sie unter ihren Kolleginnen für ein Treffen bei Präsident Karsai. Die Frauen suchen seine Unterstützung, damit auch eine Frau in das höchste Richtergremium des Landes gewählt wird.
Unter Druck
"Beleidigungen durch männliche Kollegen im Parlament gehören zur Tagesordnung", sagt Shinkai Karokhail. "Einige beschimpfen mich als Prostituierte, wenn sie mich nur reden hören." Jeder zweite Mann im Parlament, so schätzt sie, ist unfähig, mit der neuen Situation umzugehen.
"Am Schlimmsten ist es, mit anzusehen wie sich die Frauen im Parlament gegenseitig bekämpfen", klagt Shukria Barakzai. Als ehemalige Chefredakteurin einer Frauenzeitschrift hat sie Afghanistans neue Verfassung nach dem Fall der Taliban mitentworfen. Jetzt ist sie im Parlament in der Kommission für Menschenrechte aktiv. Dort sitzen nur Frauen. Im Verteidigungs- oder im Ausschuss zur Bekämpfung von Drogen-Kriminalität sitzen dagegen nur Männer.
Eine Reihe weiblicher Abgeordneter wird instrumentalisiert. Sie werden vor Abstimmungen unter Druck gesetzt mit Scheinargumenten wie: "Wie kannst du einer Tadjikin zustimmen wo du doch Paschtunin bist?", oder "Wie kannst du dich unserer Stammes-Solidarität entziehen und deine Ehre einfach so aufgeben", beschreibt Shinkai.
Enttäuschte Erwartungen
Nicht immer, so meint eine Beobachterin, hätten die Frauen aus freien Stücken für das Parlament kandidiert, mitunter hätten Familien- oder Stammesangehörige sie aus taktischen Erwägungen mit in die Politik gedrängt.
Das Bild ist diffus. Und nicht alle Erwartungen des Auslands haben sich erfüllt. "Die internationalen Akteure hatten zu Anfang die Illusion, dass die weiblichen Abgeordneten im Parlament einen Block formen würden, eine Interessensgemeinschaft gegen die Übermacht der Männer", sagt eine westliche Beobachterin.
"Da haben wir uns getäuscht. Stattdessen gibt es Neid unter den Frauen, weil einige häufig ins Ausland fahren, viele Interviews geben, andere dagegen überhaupt nicht."
Schwierig wird es wenn Männer im Parlament Religion und bestehende Traditionen gegen die Frauen ins Feld führen. Zwangsheirat und häusliche Gewalt zum Beispiel. Nach konservativer Auffassung ist beides sozial wie rechtlich legitimiert.
"Verbündete?"
Shinkai Karokhail dagegen hat die Erfahrung gemacht, dass sich der Islam auch als Argument für die Frauen nutzen lässt. "Die Heinrich-Böll-Stiftung und andere haben uns mit Abgeordneten aus Ägypten und Malaysia zusammengebracht. Dort darf eine Frau ihr Kind im Fall eines Scheidungswunsches bis zum 15. Lebensjahr behalten.
In Afghanistan muss sie schon ab dem siebten Lebensjahr fürchten, ihr Kind zu verlieren." Das Wissen um die Praxis in anderen islamischen Ländern mache ihren Kolleginnen Mut, findet sie.
Wer sind in diesem Kampf die Verbündeten der Frauen? "Verbündete?", lächelt Shukria Barakzai amüsiert. "Einige arme Intellektuelle und Demokraten im Parlament."
Parlamentarische Wirklichkeit
Die großen Interessensgruppen im Parlament bilden die Blöcke um Parlamentspräsident Younis Qanooni und um den ehemalige Mujahedeenführer Abdul Rasul Sayyaf, einem eloquenten Erz-Konservativen, den viele wegen seiner Kriegsvergangenheit lieber vor einem Tribunal sehen würden.
Kann man sich der Warlords im Parlament entledigen? "Sie sind Teil des Systems", sagt Shinkai Karokahil. "Die internationale Gemeinschaft sollte Präsident Karsai unterstützen. Nicht er, sondern die Koalitionskräfte unter Führung der USA sind verantwortlich dafür, dass diese Personen unverändert an der Macht sind."
Für die 68 weiblichen Abgeordneten gibt es hinter dem Parlamentsgebäude ein eigenes "Women's Trainings Center". Hier laufen Schulungen. Die meisten werden von Unterorganisationen der Vereinten Nationen oder der US-Entwicklungshilfe angeboten: Englischkurse, Recherche im Internet, Basiswissen über das Funktionieren des Parlaments oder das Formulieren von Gesetzesinitiativen.
Mehrere Abgeordnete bemängeln, die internationalen Trainingsangebote seien nicht immer untereinander abgestimmt. Shinkai Kaorkhail meint: "Nicht alle Trainings sind wirklich hilfreich. Als Mitglied der Haushaltskommission habe ich bis heute kein spezifisches Training für die Arbeit dort erhalten." Deutschen Hilfsinitiativen wird von den Befragten dagegen überwiegend ein gutes Zeugnis ausgestellt.
Kritisches Rollenverständnis
Ende Januar 2007 tritt das Parlament wieder zusammen. "Wenn die Frauen dann mehr als drei Ausschussvorsitzende stellen, wäre das ein Signal", meint eine Diplomatin, die kritisch auf die eigene Rolle blickt:
"Der Westen hat nicht wirklich verstanden, wie die afghanische Gesellschaft funktioniert. Viele haben gedacht: wir exportieren einfach die Erfahrungen unserer eigenen Parlamente. Aber das funktioniert so nicht, das hat auch in Bosnien nicht funktioniert. Wichtig ist, dass man den Menschen den Eindruck vermittelt, sie führten das Neue auch selbst mit ein. Jeder Schritt ist eine vertrauensbildende Maßnahme."
Die Parlamentarierinnen haben es somit doppelt schwer, Vertrauen zu fassen – zu ihren männlichen Parlamentskollegen wie zu ausländischen Helfern.
Martin Gerner
© Qantara.de 2007
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