"Gott ist nicht nur für die Männer da"
Der Ruf des Imams lädt die Gläubigen zum Gebet ein. Fünf Mal am Tag folgen Muslime in aller Welt diesem Ruf - auch in Afghanistan. Und ähnlich wie in den meisten islamisch geprägten Ländern, werden auch die Moscheen am Hindukusch fast ausschließlich von Männern besucht.
Das soll sich jetzt ändern - auf Wunsch vieler Frauen, insbesondere in der Hauptstadt Kabul, aber auch mit ausdrücklicher Genehmigung und Förderung des staatlichen Ministeriums für religiöse Angelegenheiten.
Gott ist nicht nur für Männer da, argumentieren afghanische Frauenverbände. Sie wollen im öffentlichen Raum mehr Präsenz zeigen. Die Moschee als Haus Gottes soll nicht länger eine reine Männerdomäne bleiben.
Deshalb wurde auf Antrag der Frauenverbände vor wenigen Monaten eine bestehende Moschee im Osten Kabuls ausgebaut und amtlich zur "Frauen- und Männer-Moschee" erklärt. Zwar nicht die ganze Imam-Ali-Moschee, aber immerhin ist nun der zweite Stock des Gebäudes für die Frauen reserviert. 150 Personen finden dort Platz.
"Die Eröffnung der Frauenmoschee ist ein historischer Erfolg für uns. Sie ist in ihrer Art die erste in der Geschichte unseres Landes. Und wir werden Zeuge des Entstehens weiterer solcher Gotteshäuser in ganz Afghanistan sein", schwärmt Roh Afzah vom Ministerium für religiöse Angelegenheiten.
Kaum kritische Stimmen
Außerhalb von Kabul aber regiert die Tradition. Sie wird meist mehr geachtet als die Gesetze des Staates - und faktisch auch mehr als die Gesetze Gottes. Dass Frauen und Männer gleichermaßen das Recht haben, in Moscheen zu beten, wird von der Mehrheit ignoriert. Die Tradition beschränkt die Rolle der Frauen auf den häuslichen Bereich - der öffentliche Raum ist für die Männer vorgesehen.
Was in Kabul möglich ist, darf deshalb nicht auf andere Gebiete Afghanistans übertragbar sein. Dennoch wollen sich viele afghanische Frauenverbände auch für Frauenmoscheen außerhalb von Kabul engagieren. Ihr Argument: Die Gleichstellung in religiösen Fragen wird langfristig betrachtet auch die Rolle der Frauen in der Gesellschaft stärken.
Sie wollen sich deshalb nicht nur für die Einrichtung weiterer Frauenmoscheen einsetzen, sondern auch dafür, dass dort Geistliche predigen. "Wir verlangen Mullahs, die die Frauen auch über ihre religiösen Rechte aufklären!" fordert eine Frau aus Kabul.
Die Imam-Ali-Moschee stellt bislang ein Experiment dar, dessen Folgen noch nicht absehbar sind. Noch gibt es keinen Widerstand gegen die "Frauen-Moschee" von Kabul. Konservativ-religiöse und fundamentalistische Kreise haben sich bislang mit Kritikäußerungen überraschenderweise zurückgehalten. Doch der Widerstand wird noch kommen.
Diskussionen über Glaubensfragen
Die Anhängerinnen der Frauenmoschee-Idee wollen sich allerdings nicht länger von konservativen Kreisen die Glaubenspraxis vorschreiben lassen.
Sie verlangen auch bezüglich religiöser Fragen ein Mitspracherecht. Und sie sind nicht die einzigen: In privaten afghanischen Fernsehsendern diskutieren bereits seit Monaten Islamwissenschaftlerinnen mit ihren männlichen Kollegen über Glaubensfragen und bieten durchaus auch alternative Auslegungen der religiösen Quellen an.
Die Eröffnung der Frauenmoschee ist für viele Frauen Afghanistans immerhin ein kleiner Schritt in Richtung Gleichberechtigung - auch wenn die Anzahl der Frauen, die die Imam-Ali-Moschee besuchen, im Vergleich noch sehr gering ist. Das jedoch, so hofft ein männlicher Moschee-Besucher, sollte sich zumindest langfristig ändern.
"Die Frauen sind ja immer noch gezwungen, viel zu Hause zu arbeiten. Viele finden wohl nicht genügend Zeit, in die Moschee zu kommen. Doch ich denke, das wird sich ändern. Wenn die Frauen irgendwann mehr Zeit haben, dann werden sie auch öfter hierher kommen."
Ratbil Shamel
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2006
Qantara.de
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