Kampf gegen Windmühlen
Die Hoffnung der Frauen in der arabischen Welt war groß, als die Aufstände gegen die diktatorischen Regime im Frühjahr 2011 begannen. Gemeinsam mit den Männern demonstrierten sie damals Seite an Seite für Würde, Gerechtigkeit und Freiheit.
Sie hofften auf einen grundlegenden Wandel, auf das Ende patriarchalischer Bevormundung in einem frauenfeindlichen Gesellschaftssystem, das ihnen elementare Rechte nicht zugesteht und sie im öffentlichen als auch im privaten Bereich diskriminiert.
Frauenrechte sind ein elementarer Teil der Demokratie. Daher folgerten sie, dass die Umbrüche in den Ländern des Arabischen Frühlings zwangsläufig auch im sozialen Bereich erfolgen müssten.
Status quo ante
Nun, zwei Jahre nach den Volksaufständen ist die Euphorie der Ernüchterung gewichen, denn die Situation der Frauen hat sich keineswegs verbessert. Die islamischen Akteure, die zum Teil heute die Regierungen stellen, befinden sich im Aufwind – und mit ihnen breitet sich in den Gesellschaften konservatives Gedankengut aus, auch was die Geschlechterrollen betrifft.
Frauen werden mehr denn je auf ihren Körper reduziert, sexuelle Übergriffe haben zugenommen. Nach wie vor gelten in fast allen arabischen Ländern Gesetze, die Frauen benachteiligen, vor allem im zivilrechtlichen Bereich. Ein "Status quo ante" also und es scheint so, als würde über die Rechte der Frauen auch künftig hinweggegangen werden.
Viele Frauen wollen die historische Chance des Aufbruchs jedoch nicht verstreichen lassen, so auch vier junge Aktivistinnen aus dem Libanon, aus Palästina und Ägypten. Sie beschlossen mithilfe derselben Mittel und Wege, die dem Arabischen Frühling zum Erfolg verhalfen, ihren eigenen Aufstand zu proben. Im Oktober 2011 gründeten sie die Facebook-Seite "Der Aufstand der Frauen in der arabischen Welt".
"Wir wollen, dass der Arabische Frühling weitergeht: Nach der politischen Tyrannei kämpfen wir nun gegen die patriarchale Tyrannei – in allen arabischen Ländern", sagt Yalda Younes, eine der Mit-Initiatorinnen, gegenüber einer führenden deutschen Wochenzeitung.
Raum für Austausch und Zivilcourage
Die Seite soll allen arabischen Frauen von Rabat bis Riad, gleich welcher Religion oder Herkunft, einen Raum bieten, in dem sie frei und ohne Angst über ihre persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung und die Situation der Frauenrechte in der arabischen Welt diskutieren können.
Der Diskurs über Frauenrechte in der arabischen Welt soll wieder mehr ins öffentliche Bewusstsein rücken und durch den Erfahrungsaustausch zugleich die Position der Frauen stärken sowie eine gemeinsame Basis für feministische Aktivitäten über die Landesgrenzen hinweg aufbauen. Zwar unterscheiden sich die Lebensumstände marokkanischer Frauen von denen der Frauen in Saudi-Arabien in vielerlei Hinsicht, dennoch stehen sie oft ganz ähnlichen Problemen gegenüber, die alle mit den gleichen patriarchalischen Strukturen in diesen Ländern zusammenhängen.
Die Forderungen der Bewegung ist daher eindeutig: Erstens, die Ausweitung aller in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte deklarierten Freiheiten für alle Frauen in der Region, insbesondere das Recht auf Selbstbestimmung. Zweitens, die umfassende Gleichstellung mit dem Mann auf familiärer, politischer, sozialer und wirtschaftlicher Ebene sowie drittens ein Ende jeglicher Form von Diskriminierung und physischen sowie psychischen Missbrauchs.
Bilderflut
Zunächst erfuhr die Facebook-Initiative nur wenig Aufmerksamkeit. Dies änderte sich jedoch, als die Initiatorinnen im Oktober 2012 die Kampagne "Ich unterstütze den Aufstand der Frauen in der arabischen Welt, denn…" ins Leben riefen. Sie forderten Männer wie Frauen aus aller Welt auf, ein Selbstporträt mit einem persönlichen Statement einzuschicken, weshalb sie die Intifada der Frauen unterstützten. Die Bilder wurden dann auf Facebook und Twitter veröffentlicht.
Was folgte, war eine wahre Bilderflut: Menschen hielten ihre Botschaften in Druckschrift oder handschriftlich auf Papier in die Kamera und gaben so dem Aufstand der arabischen Frauen ein Gesicht.
Zum Beispiel Nihal aus Ägypten: „Ich unterstütze den Aufstand der Frauen in der arabischen Welt, denn die Gesellschaft findet die Tatsache, dass ich 'bedeckt' bin wichtiger, als meine Bildung". Und Dima aus Palästina schreibt: "Ich unterstütze den Aufstand der Frauen in der arabischen Welt, denn es gibt noch immer Gesellschaften, die Frauen als Sex-Objekte ansehen, die nur für die Freude des Mannes geschaffen wurden."
Die Botschaften sind wohl so vielfältig wie die Menschen, die sie sandten. Vor allem Frauen aus dem arabischen Raum folgten dem Aufruf, doch auch aus dem Ausland kam viel Unterstützung. Zum großen Erstaunen der Initiatorinnen selbst schickten auch reihenweise Männer ihre Porträts ein und sprachen sich für die Rechte ihrer Partner, Mütter, Schwestern und Freundinnen aus.
Licht und Schatten
Die Kampagne ist bislang ein großer Erfolg, das Echo ist gewaltig – auch in vielen ausländischen Medien. Weit über tausend Selbstporträts wurden inzwischen eingesandt, viele von ihnen hundertfach kommentiert und geteilt. Die Rechnung der jungen Aktivistinnen war damit aufgegangen. Die Facebook-Seite kann mittlerweile über 91.000 Fans vorweisen.
Neben den überwiegend positiven Reaktionen fehlte es jedoch nicht an Kritik, die vor allem aus den religiös-konservativen Reihen kam. So reagierten einige Facebook-Nutzer ungehalten auf viele Bilder der Initiatoren.
Auch Facebook legte der Kampagne Steine in den Weg, sperrte vorübergehend den Zugang der fünf Administratorinnen und löschte das Porträt der jungen Syrerin Dana Bakdounis, die sich ohne Kopftuch und mit demonstrativ kurz geschnittenen Haaren ablichten ließ: "Ich unterstütze den Aufstand der Frauen in der arabischen Welt, weil ich zwanzig Jahre lang nicht den Wind in meinen Haaren und auf meiner Haut spüren durfte."
Am 25. November 2012 wurde, aus Anlass des "Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen" eine weitere zweiwöchige Kampagne mit dem Titel "Erzähl' deine Geschichte" gestartet. Die Frauen wurden aufgefordert, persönliche Geschichten aus ihrem Alltag zu erzählen – Geschichten, die sonst aus Schamgefühl oder Angst vor sozialer Ächtung wohl verdrängt worden wären, Geschichten von Gewalt und sexuellem Missbrauch, von Willkür, Erniedrigung und Belästigung.
Selbst Tabuthemen wie weibliche Genitalverstümmelung oder Kindesheirat sollten nicht ausgelassen werden. "Der Zeigefinger soll auf die Täter und auf nicht die Opfer zeigen", heißt es in der Stellungnahme der Kampagne und "Lasst uns sprechen, um uns selbst zu befreien und die Welt dazu zwingen, uns zuzuhören".
Das Ergebnis: Mehr als 60 sehr persönliche und tragische Geschichten, die die betroffenen jungen Frauen zum Teil seit Jahrzehnten mit sich herumschleppten. Diese Veröffentlichungen beweisen den Mut dieser Frauen – doch wird diese Offenheit alleine ausreichen, um tatsächliche gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken?
Raus aus dem Netz und auf die Straße
Die arabischen Frauenrechtlerinnen wissen, dass sie noch einen langen Weg vor sich haben. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, den sie sich auf ihre Fahnen geschrieben haben, denn schließlich handelt es sich in vielen Fällen um überkommene, tief in der Gesellschaft verwurzelte Traditionen und Wertesysteme, die sie aufzubrechen versuchen.
Um tatsächliche Erfolge zu erzielen, müsste daher das Thema Frauenrechte auf die politische Agenda kommen. Und hierfür sollte sich der Aufstand der arabischen Frauen von der virtuellen Welt auf die Straße verlagern. Denn dort wurde der Machtkampf mit den Diktatoren im Verlauf des Arabischen Frühlings letztlich entschieden. Die Aktivistinnen müssten ihr beeindruckendes Mobilisierungspotential nutzen und es institutionalisieren – zum Beispiel durch die Gründung von Parteien und Verbänden.
Man kann zwar behaupten, dass der digitale "Aufstand der Frauen in der arabischen Welt" noch in den Kinderschuhen steckt. Doch ist die Kampagne ihrem Ziel, öffentliche Aufmerksamkeit zu wecken, bereits einen großen Schritt näher gekommen. Es wäre daher wünschenswert, wenn auch die politischen Verantwortlichen der arabischen Länder Einsicht signalisieren würden, dass sich das Thema Frauenrechte nicht mehr totschweigen lässt.
Laura Overmeyer
© Qantara.de 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de