Ein Lehrstück in knallharter Interessenpolitik
Der französische Alleingang bei den Verhandlungen mit dem Gaddafi-Regime und dessen Aufwertung durch Sarkozys Staatsbesuch lässt Böses ahnen für die Zukunft der viel beschworenen "gemeinsamen Außenpolitik" der EU, schreibt Andreas Zumach in seinem Kommentar.
Nach acht Jahren unrechtmäßiger Haft sowie physischer und psychischer Folter in libyschen Kerkern sind fünf bulgarische Krankenschwestern und ein palästinensischer Arzt endlich frei. Das ist Anlass zu großer Freude. Sie wird allerdings erheblich getrübt durch die Umstände der Freilassung – ein Lehrstück in kaltschnäuziger Erpressung und knallharter Interessenpolitik.
Dabei haben die Menschenrechte der sechs Freigelassenen für den libyschen Diktator Gaddafi überhaupt keine Rolle gespielt und für die Regierungen Frankreichs und anderer EU-Staaten nur eine taktische. Wenn Gaddafi die Freilassung als "humanitären Akt" preist, ist dies nackter Zynismus.
Zu jedem Zeitpunkt während der letzten acht Jahre hätte der Diktator die Freilassung der sechs Inhaftierten und ihre Rückkehr in die Heimat ermöglichen können – wenn er gewollt hätte. Denn eine rechtsstaatliche Gewaltenteilung und eine unabhängige Justiz, deren Ermittlungen und Verfahren der Diktator angeblich abwarten musste, existieren in Libyen nicht.
Stattdessen hat Gaddafi bis zur letzten Minute hoch gepokert und schließlich alles bekommen, was er verlangt hat. 460 Millionen US-Dollar für die Familien der Kinder, die angeblich von den bulgarischen Krankenschwestern und dem palästinensischen Arzt, tatsächlich aber von libyschem Krankenhauspersonal mit dem Aidserreger inifiziert wurden.
Hinzu kommen weitere 12,5 Millionen Euro von der EU sowie ein entsprechend hoher Dollarbetrag der USA für den Bau eines hochmodernen Zentrums zur Aidsbehandlung. Darüber hinaus erhält der dank seiner reichen Einnahmen aus Ölexporten ja keineswegs arme Wüstenstaat von der EU finanzielle und technische Hilfe für Archäologie- und Restaurationsprojekte.
Der Zugang für libysche Waren auf den europäischen Markt wird erleichtert. Die Staatsbürger des nordafrikanischen Wüstenstaates bekommen künftig für Reisen in das EU-Gebiet ein Schengen-Visa und libyschen Studenten winken demnächst Stipendien für den Besuch europäischer Universitäten.
Und schließlich will die EU Libyen bei der Sicherung seiner See- und Landgrenzen unterstützen, damit Flüchtlinge aus afrikanischen Staaten an der Weiterreise nach Europa gehindert werden. Über dieses Eigeninteresse hinaus begibt sich die EU mit ihren Geschenken an Libyen endgültig in den Konkurrenzkampf mit den USA um die Gunst des Diktators von Tripolis.
Dabei geht es in erster Linie um libysches Öl, um Milliardenaufträge für westliche Firmen sowie um Investitionsmöglichkeiten in dem nordafrikanischen Wüstenstaat. Washington hatte die Normalisierung des bilateralen Verhältnisses zu Tripolis bereits 2004 eingeleitet mit der Streichung Libyens von der Liste der "Schurkenstaaten" und der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen.
In den strategischen Plänen der Bush-Administration zur Sicherung des Energiebedarfs der USA, die eine deutliche Steigerung der Öl-Importe aus Afrika bis zum Jahr 2010 vorsehen, spielt Libyen eine zentrale Rolle. Zudem setzt Washington auf die Kooperation Gaddafis im Kampf gegen noch schlimmere "Schurken" wie Osama bin Laden. Und diese Erwartung ist keineswegs unbegründet.
Immerhin wurde der internationale Haftbefehl gegen den Chef des Al-Kaida-Terrornetzwerkes nicht erst nach dem 11. September 2001 erlassen und auch nicht von den USA, sondern bereits im März 2000 von Libyen. Denn Gaddafi ist überzeugt, dass Al-Kaida hinter mehreren missglückten Attentatsversuchen steckt, die in den 90er Jahren auf den libyschen Diktator verübt wurden.
Doch die Konkurrenz um die Gunst Gaddafis findet nicht nur zwischen der EU und den USA statt, sondern auch innerhalb der EU. Am skrupellosesten geht dabei Frankreichs neuer Präsident Nikolas Sarkozy vor.
Die Art, wie Sarkozy die monatelangen Bemühungen der EU-Präsidentschaft und der Außenkommissarin in letzter Minute usurpierte, die Befreiung der sechs Gefangenen aus libyschen Kerkern als nationalen Erfolg Frankreichs inszenierte und nur einen Tag später das Regime Gaddafi mit einem Staatsbesuch aufwertete und dabei zugleich milliardenschwere Aufträge in Libyen für französische Firmen sicherte – all das lässt Böses ahnen für die Zukunft der viel beschworenen "gemeinsamen Außenpolitik" der EU.
Andreas Zumach
© Qantara.de 2007
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