Neues aus dem persischen Klang-Laboratorium
Peter, was genau ist "House No. 4"?
Mehdi "Peter" Pirhosseinlou: Ursprünglich ist House No. 4 ein echtes Haus. Es liegt im Stadtzentrum von Teheran und trägt die Hausnummer 4. Für Teheraner Verhältnisse ist es ein recht altes Haus, etwa 100 Jahre, traditionell gebaut mit einem Innenhof. Es ist eine kleine Oase inmitten von Hochhäusern und Neubauten.
Ich fand es vor fünf Jahren und beschloss es gemeinsam mit einem Freund zu mieten. Wir beide waren zu dieser Zeit bereits als Künstler in Teheran aktiv: Er als Maler und Fotograf, ich als Musiker. Wir richteten ein Studio und eine Bühne im Haus ein und luden befreundete Künstler ein, bei uns zu üben und Aufführungen zu geben.
Unsere Tür stand immer offen und House No. 4 wurde nach und nach zu einem Treffpunkt der unabhängigen Kunstszene der Stadt. Es war ein bis dahin einzigartiger Ort, an dem Künstler sich über Kunstgattungen und Genre-Grenzen hinweg frei austauschen, gemeinsame Projekte erarbeiten und auch private Verbindungen knüpfen konnten. Dieser Netzwerk- und Plattform-Charakter trägt das Projekt bist heute.
Das Projekt hat sich inzwischen jedoch über die Mauern des ursprünglichen House No. 4 ausgeweitet, richtig?
Pirhosseinlou: Ja, das Haus gibt es zwar immer noch als eine Art Hauptquartier, doch inzwischen sind wir als Künstlerkollektiv auch an anderen Orten tätig.
Wie kam es dazu?
Pirhosseinlou: Es begann damit, dass wir in unserem Haus vor allem Konzerte, aber auch Theateraufführungen, Ausstellungen und Workshops veranstalteten. Wir wurden dann immer professioneller. Das war nicht unser Ziel, es passierte einfach so. House No. 4 entwickelte eine Eigendynamik und für uns war das wie Magie! Immer mehr Menschen kamen zu uns und der Platz reichte bald schon nicht mehr aus. Deshalb mussten wir uns nach neuen Veranstaltungsorten umschauen. Und so gab es dann die ersten Konzerte und Musik-Festivals in kleinen privaten Galerien, Konzerthäusern, Bühnen und Cafés. Das war aber alles im "Underground", also nicht offiziell angemeldet. Inzwischen sind einige unserer Veranstaltungen auch von den Behörden genehmigt worden.
Wo liegt denn der Unterschied zwischen der offiziellen und der "Underground"-Szene im Iran?
Pirhosseinlou: Wenn man im Iran als Künstler offiziell auftritt, egal in welcher Kunstgattung, muss man die Arbeit von einer staatlichen Stelle überprüfen lassen. Zensur ist der Normalfall: Bücher, Theaterstücke, Liedtexte, Fotografien, Filme, Malerei – all dies darf weder aus politischer noch aus religiöser oder sonstiger Perspektive anstößig sein. Frauen sind besonders stark eingeschränkt was ihr öffentliches Auftreten angeht.
In der "Underground"-Szene ist man freier in der künstlerischen Ausgestaltung, hat aber gleichzeitig viel weniger Reichweite und somit auch weniger Karriereaussichten. Die Grenzen verschwimmen jedoch, denn viele Künstler sind sowohl offiziell als auch im "Untergrund" tätig. Und auch als "Underground"-Künstler muss man natürlich gewisse rote Linien beachten, denn letztlich kann man nie ganz im Verborgenen agieren.
Fühlst du dich dadurch nicht eingeschränkt in deinem künstlerischen Schaffen?
Pirhosseinlou: Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, Einschränkungen gibt es überall, auch wenn sie bei uns natürlich stärker vorhanden sind. Aber wir Iraner lernen von klein auf damit umzugehen. Ich persönlich akzeptiere die Situation und versuche, wie wir alle, flexibel und dynamisch mit ihr umzugehen. Natürlich wäre ich manchmal gerne etwas freier – aber manchmal habe ich auch das Gefühl, dass die Situation, so wie sie ist, unser kreatives Potenzial sogar steigert. Übrigens ist es in letzter Zeit auch mehr die wirtschaftliche Situation, die uns einschränkt, als die politische.
Wie hat sich die Musikszene Irans seit der Islamischen Revolution 1979 verändert und wo steht sie heute?
Pirhosseinlou: Vor der Islamischen Revolution gab es im Iran eine sehr aktive Pop-Szene mit einigen berühmten Sängerinnen und Sängern. Es handelte sich jedoch, abgesehen von der "volksnahen" traditionellen Musik, nicht um eine kreative, partizipative Phase: Neben den wenigen Superstars existierte keine unabhängige Musikszene im Land. Durch die Islamische Revolution und den achtjährigen Krieg mit dem Irak brach die gesamte Kunstszene Irans völlig zusammen. Im Musikbereich wurde außer politisch-religiösen und patriotischen Kriegsliedern kaum etwas produziert. Viele der ehemaligen Superstars gingen ins Exil.
In den 1990er Jahren begann sich die Kultur-Szene insgesamt dann etwas zu erholen und in den frühen 2000ern wurde schon wieder mehr Kunst produziert. Einen richtigen Aufschwung erlebte die Szene in den letzten sieben bis acht Jahren. Das war eine Zeit, in der – auch dank politischer Lockerungen – insbesondere in Teheran private und unabhängige Veranstaltungsorte wie Pilze aus dem Boden schossen: Cafés, Theaterhäuser, Bühnen, Galerien. Und diese boten Raum für die Entwicklung einer unabhängigen Künstler-Szene, auch im Bereich Musik.
Inzwischen hat Teheran eine sehr diverse und aktive Kultur-Szene. Jeden Tag gibt es Veranstaltungen. Das ist eine sehr positive und aufregende Entwicklung. Die Quantität ist dabei meiner Meinung nach besonders wichtig: Erstmal ging es uns darum, dass überhaupt Veranstaltungen stattfinden, dass es eine Vielfalt an Events gibt. Erst im nächsten Schritt geht es dann um Qualität. Wir entwickeln uns also von der Quantität zur Qualität.
Hat House No. 4 eine tragende Rolle bei dieser Entwicklung gespielt?
Pirhosseinlou: Das kann ich nicht wirklich beurteilen, das müssten schon andere tun. Aber ich glaube schon, dass unser partizipatives und inklusives Projekt den Zeitgeist getroffen hat. Denn das tragende Element, das ich hier in der Kreativszene beobachte, ist der Zusammenhalt unter den Künstlern. Eine Community wächst heran, die über Kunstformen und Genres hinweg geeint ist - durch ihre Begeisterung und den Wunsch, gemeinsam etwas Neues zu erschaffen. Offenheit, Partizipation und Austausch sind ungemein wichtig und die Basis, auf der House No. 4 steht. Geld und Bekanntheit sind für uns eher zweitrangig.
Wenn Du auf die zeitgenössische Musikszene blickst, welche Genres sind da dominant?
Pirhosseinlou: Wie gesagt, die Szene ist sehr divers und viele Genres werden da auch gerne durchmischt. In der alternativen Musikszene, in der ich mich bewege, gibt es viel Jazz, Elektronika und experimentelle Musik, Rock, Punk etc… Das alles wird heute oft miteinander kombiniert in Zusammenspiel mit visuellen oder darstellenden Elementen. Und natürlich hat bis heute auch die traditionelle iranische Musik einen großen Einfluss auf alle Stilrichtungen. Wir sind unserer Kultur sehr nahe und versuchen sie zu integrieren.
Vom 14. bis 16. Dezember organisiert Ihr das erste Mal ein Musikfestival außerhalb Irans – und zwar in Berlin. Worum handelt es sich bei "Gate of Teheran – D.o.E.S."?
Pirhosseinlou: D.o.E.S steht für "Days of Experimental Sounds". Es ist ein Festival, das wir bereits vier Mal im Iran veranstaltet haben, das erste Mal im Jahr 2016. Das Konzept ist weniger durch ein bestimmtes Genre als vielmehr durch einen bestimmten Ansatz gekennzeichnet: Die Künstler sollen neu, kreativ und außerhalb der üblichen Gattungs- und Genre-Grenzen denken. Die tatsächlichen Performances fallen jedes Mal ganz unterschiedlich aus. Allgemein kann man sagen, dass Digital Art eine wachsende Rolle spielt. Aber die wichtigste Rolle spielen Kreativität und neue Ideen.
Das Interview führte Laura Overmeyer.
© Qantara.de 2018
Das Team von House No. 4 umfasst neben Peter: Majid Jamshidi, Parastou Manteghi, Pedram Babaiee, Sepideh Shayegan, Shaghayegh Haririan, Sina Cheraghi.