Deutsche Auklärungshilfe im Irak
Marianne Birthler traf in der vergangenen Woche auf Einladung der Heinrich-Böll Stiftung in Washington mit Exil-Irakern zusammen. Das Ziel der Veranstaltung war herauszufinden, wie die Irakis von der Erfahrung Deutschlands im Umgang mit dem Erbe eines totalitären Systems profitieren könnten. In der 35-jährigen, blutigen Herrschaft Saddam Husseins wurden schätzungsweise mehr als eine Million Menschen getötet. Folter und politische Morde standen auf der Tagesordnung. Tausende flüchteten vor dem Regime ins Ausland.
Birthler berichtete über die Arbeit ihrer Behörde, die durch Recherche und Rekonstruktion der ehemals geheimen Stasi-Akten das volle Ausmaß des DDR-Spitzelapparats ans Tageslicht gefördert hat. Mehr als 2,4 Millionen DDR-Bürger standen unter ständiger Beobachtung der Staatssicherheit. Seit Öffnung der ersten Akten 1990 wurden immer wieder so genannte Informelle Mitarbeiter enttarnt und große Spionageoperationen der ehemaligen DDR aufgedeckt.
Netz aus Spitzeln
Genau wie die Stasi unterhielt auch Saddams Baath-Partei ein umfassendes Archiv mit schätzungsweise 300 bis 400 Millionen Dokumenten. Dort liegen nach Ansicht einiger Experten die Beweise für bisher unter Verschluss gehaltene Greueltaten des Regimes. Zur Erhaltung ihrer Macht unterhielt die irakische Führung ein dichtes Netz aus Agenten und Spitzeln, die auch vor Folter und Mord nicht zurückschreckten.
Die Direktorin der Böll-Stiftung, Helga Flores-Trejo, sagte, ihre Organisation glaube, dass die mehr als zehnjährige Erfahrung Deutschlands im Umgang mit den Stasi-Akten auch für die Irakis nützlich sei. Sie stünden erst am Anfang der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit. "Es gibt so viele konkrete Fragen zu diesem Thema, zum Beispiel die Schaffung einer Gesetzgebung, die den Datenschutz einerseits und das Recht auf Aufklärung anderseits berücksichtigt."
Chaotisch aber effektiv
Hassan Mneimneh, Direktor des Irakischen Memory Funds in Washington, hat bereits über sechs Millionen Regierungsdokumente aus der Zeit der Diktatur gesammelt. "Das Regime von Saddam Hussein hatte zwar nicht die Mittel wie die Stasi und ging nicht so akribisch vor, aber das wurde durch die Vielfalt der Geheimorganisationen wieder ausgelichen. Das irakische System war sehr viel unübersichtlicher."
Mneimneh schlug vor, der Irak solle eine eigene Einrichtung nach dem Vorbild der Gauck-Behörde schaffen, um Saddams Geheimdienstarchiv auszuwerten. Laut Birthler befindet sich der größte Teil des Archivs unter der Aufsicht der irakischen Übergangsregierung. Die Dokumente werden als Beweismittel für die anstehenden Prozesse gegen einige ehemalige Regierungsmitglieder gebraucht. Doch andere Aktenbestände sind entweder verschwunden oder unter der Kontrolle religiöser und politischer Gruppen. "Die Angst vor einem möglichen Mißbrauch dieser Dokumente ist groß", erklärte Birthler in einem Interview.
Ende der Geheimnistuerei
Auch der US-Geheimdienst hat auf der Suche nach Massenvernichtungswaffen Teile der Akten beschlagnahmt und war bisher nicht bereit, den Irakis Einsicht in die Dokumente zu gewähren. "Wir versuchen die Amerikaner davon zu überzeugen, dass es im Interesse von Millionen Irakern ist, zu wissen, was dieses Regime genau getan hat", erklärt Mneimneh. Diese Dokumente seien wichtig, um die "Kultur des Geheimen" in der irakischen Gesellschaft zu beseitigen und ein vollständiges Geschichtsbild zu schaffen.
Sonia Phalnikar © DEUTSCHE WELLE / DW-WORLD.DE 2003