Zwischen Traum und Trauma
Am 4. März machte auf sozialen Foren im Internet eine beunruhigende Nachricht die Runde: der syrische Filmemacher Mohammad Malas sei an der syrisch-libanesischen Grenze festgenommen worden. Er war auf dem Weg nach Beirut, um von dort aus nach Genf zu fliegen, wo er seinen neuen Film "Ladder to Damascus" im Rahmen des internationalen Filmfestivals für Menschenrechte ("Festival du film et forum international sur les droits humains") vorstellen sollte.
Zum Glück wurde er am gleichen Tag wieder freigelassen, musste seine Reise aber absagen und kann seitdem wohl nicht mehr das Land verlassen. Es war nicht das erste Mal, dass der syrische Geheimdienst die Taktik anwendet, syrische Künstler und Filmemacher, die den Aufstand gegen das Regime unterstützen, festzunehmen, wenn diese versuchen, das Land zu verlassen.
Ähnlich erging es dem Filmemacher Nidal Hassan, als er Ende 2011 nach Kopenhagen fliegen wollte, um dort am "Copenhagen International Documentary Festival" (CPH: DOX) teilzunehmen sowie im Sommer 2012 auch dem Produzenten und Festival-Leiter Orwa Nyrabia, der am Flughafen von Damaskus verhaftet wurde, als er auf dem Weg nach Kairo war.
Aber auch wenn Mohammad Malas selbst das Land nicht verlassen kann, geht sein Film dennoch um die Welt, ein Film, der eine eindringliche Botschaft der Menschlichkeit transportiert – etwas, was im Fall Syriens mittlerweile selten geworden ist.
Der "verborgene Film"
Der Film "Ladder to Damascus" erzählt die Geschichte von zwei jungen Menschen, die sich über ein Filmprojekt kennen und lieben lernen und ihrer bunt gemischten Hausgemeinschaft in der Damaszener Altstadt. Der Protagonist Fouad, der so sehr vom Filmemachen besessen ist, dass er von den anderen auch schlicht "Cinema" genannt wird, lernt Ghalia während einer Theaterprobe kennen und ist von ihr fasziniert. Er folgt ihr, weil er vermutet, in ihr "sei ein Film verborgen". Und diesen Film möchte er entdecken.
Das Leben und das Bewusstsein Ghalias ist auf seltsame Weise mit dem von Zeina verwoben, einer jungen Frau, die am Tag von Ghalias Geburt Selbstmord beging, nachdem sie die Nachricht von der Festnahme ihres Vaters erhalten hatte. Fouad hilft Ghalia, die neu in Damaskus ist, eine Unterkunft zu finden. Sie zieht schließlich in das gleiche Haus, wo neben Fouad auch eine Reihe von Künstlern, Grafikern, Schriftstellern, Philosophen wohnen – eine bunte Mischung von Menschen unterschiedlicher religiöser und ethnischer Zugehörigkeit, etwas, was vor der Revolution in Damaskus sehr verbreitet war, aber heute immer mehr zur Unmöglichkeit wird.
Die Hausgemeinschaft verkörpert die Hoffnungen der Syrer auf friedliche Veränderungen, die zu Beginn des Aufstandes noch möglich schienen, doch nun zwischen Angst, Schrecken und Fanatismus zu zerbrechen drohen. Festnahmen, Folter und Bedrohung durchziehen den Film, der auf eindringliche Art und Weise aufzeigt, wie das Leben in Damaskus sich verändert hat; wieviel es an Kraft kostet, jeden Tag aufs Neue den Willen zum Widerstand zu finden.
Keiner wird von den Ereignissen verschont. Die Wirtin, eine gläubige, ältere Frau, die alle unter ihrem Dach vereint und für jeden ein eigenes, passendes Passwort hat, mit dem sie ihr oder ihm die Tür des Hauses öffnet, sich aber sonst eher ihren Gebeten widmet, bricht einmal weinend zusammen, als sie von ihrem üblichen Freitags-Besuch in der Omayyaden-Moschee zurückkehrt und nur bruchstückhaft die schrecklichen Ereignisse wiedergeben kann, die sie auf der Straße gesehen hat. "Junge Menschen, die ihr Leben noch vor sich hatten…" sind die bruchstückhaften Äußerungen, die sie noch artikulieren kann.
Ein syrischer Mikrokosmos
Malas verwebt die Geschichten seiner Figuren miteinander, immer wieder kreuzen sich ihre Wege im Innenhof des Damaszener Hauses, und oft steht in ihren Gesichtern Sorge und Angst. Aber es gibt auch Momente gelebter Solidarität und Hoffnung: gemeinsame Filmvorführungen im Hof, geteilte Erinnerungen und die gemeinsame Sorge, als einer der Bewohner verhaftet wird, prägen ebenso das Leben dieser kleinen Hausgemeinschaft, die in Vielem wie ein syrischer Mikrokosmos erscheint.
Mohammad Malas ist mit "Ladder to Damascus" ein Film gelungen, der ohne Gewaltszenen die ganze Tragik der syrischen Situation zeigt. Die bedrohliche Atmosphäre ist omnipräsent, in der Geräuschkulisse der überfliegenden Militärjets und der fernen Bombardements, in der nie verschwindenden Angst vor Verhaftungen, die bei jedem schweren Türklopfen aufflammt, in jedem Moment, wo der Aufenthaltsort eines Freundes unbekannt ist, weil dies gleich das Schlimmste bedeuten könnte. Wie alle seine Filme ist auch dieser durchwoben von poetischen Bildern, die sich zwischen Traum, Erinnerung und Realität bewegen und die durch ihre symbolische Kraft beeindrucken.
Zum größten Teil in Innenräumen gedreht, scheint es fast so, als würde der Film selbst die Worte von Fouad bestätigen wollen, dessen Vater ihm eine Kamera geschenkt hat: "Gehe heraus und filme damit alles", der aber feststellt, dass gerade Menschen mit Kameras sich auf den Straßen in Syrien in Lebensgefahr befinden.
Schrei nach Freiheit
Tatsächlich sind während des Aufstandes sehr viele Menschen gezielt getötet worden, eben weil sie eine Kamera in der Hand hielten. Ein Beispiel ist Bassel Shehadeh, ein junger Filmstudent, der seine Studien in den USA verlassen hat, um in Syrien jungen Bürgerjournalisten Film- und Schnitttechniken beizubringen. Shehadeh wurde auf offener Straße in Homs erschossen, die Kamera in der Hand. Auch sein Tod spielt eine Rolle in Malas Film. Die Nachricht lässt Hussein, wieder aus dem Gefängnis entlassen, den Fernseher aus dem Fenster werfen, mit einem Krach, der sich wie einen Bombeneinschlag anhört.
Am Ende des Films steigt Hussein auf eine Leiter, die er auf dem Dach des Hauses aufrichtet und von den anderen Bewohnern festhalten lässt, während er laut “hurriyyah” (Freiheit) schreit. Eine Explosion bringt den Ruf zum Schweigen, die Leinwand wird schwarz. Deutlicher kann die Geschichte der syrischen Revolution kaum erzählt werden, eine Geschichte von einem kollektiven Schrei nach Freiheit, der mit Waffengewalt getötet wurde.
Charlotte Bank
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de