"Hier können Kinder etwas lernen"
Die Straße auf dem Weg zum Karama-Haus ist dreckig. In der engen Gasse, zwischen grauen Häuserwänden, liegen Müll, Essensreste, Stofffetzen, Kartons und Plastikbehälter. An einer Häuserwand steht ein kaputter Kühlschrank.
Plötzlich sind Kinderstimmen zu hören. Der Besucher tritt durch eine Stahltür und muss noch einige Stufen hinaufgehen, dann steht er zwischen malenden Kindern. Sie haben gerade entdeckt, dass man mit Wasserfarben auch das Gesicht anmalen kann.
Nebenan wird in einem Raum gerade Englisch unterrichtet. In einem Raum voller Kissen und Decken bereiten zwei deutsche Volontärinnen ein Theaterprojekt vor.
"Karama bedeutet Würde"
Als Stephan Lanzinger und Jasser Al-Haj vor drei Jahren über die Gründung eines Projektes für Jugendliche und Frauen nachdachten, waren ihre Vorstellungen noch nicht so konkret.
Aber sie hatten ein Ziel vor Augen, und der Name von Karama erinnert noch heute daran, so Stephan Lanzinger: "Karama bedeutet Würde, weil es darum geht, den Leuten ein Stück Würde zurückzugeben oder ihnen zu ermöglichen, dass sie ihre Würde nicht verlieren."
Der 25-jährige Student aus Berlin wollte eine Organisation schaffen, die unabhängig arbeitet und nicht von Parteien oder anderen Gruppen beeinflusst wird.
Im deutschen Teil der Organisation - Karama Germany - arbeiten Studenten und versuchen von Deutschland aus, das Geld für Projekte wie Sommercamps oder die Gehälter von Lehrern und Sozialarbeitern aufzutreiben. Dazu schreiben sie Anträge an Institutionen wie die EU oder die UNO oder sammeln Spenden von Privatpersonen.
Deutsche Volontäre
Nicht mit Geld, sondern mit ihrer Arbeitskraft helfen auch immer wieder Volontäre im Projekt im Flüchtlingslager Deheishe bei Bethlehem.
Tom Eickhof ist zum ersten Mal in Palästina. Bisher hat der Geographiestudent die Arbeit von Karama von Deutschland aus unterstützt. Jetzt bemalt er selbst mit den Kindern Häuser aus Pappkarton, gibt Englischunterricht und versucht, mit den anderen Mitarbeitern Konzepte für neue Projekte zu entwickeln.
Die Bilder, die er vorher vom Nahen Osten im Kopf hatte, sind schnell verschwunden: "Ich denke, was wir in der Tagesschau sehen, dass sind die Straßenkämpfe, das sind die Attentate in Israel. Was man hier erlebt, ist die konkrete Not vor Ort, die kleinen alltäglichen Probleme.
"Aber auch die Gastfreundschaft der Menschen, die hier einfach umwerfend ist. Die Freundlichkeit mit der man empfangen wird, mit der man zu Hause aufgenommen wird in der Familie, mit der man zum Essen eingeladen wird, zum Tee."
Aber durch die Zeit in einer palästinensischen Gastfamilie kann er auch nachvollziehen, was auf den ersten Blick verborgen bleibt: "Es ist schon so, dass einem nach ein paar Wochen einfach die Decke auf den Kopf fällt. Es ist eben alles sehr beengt hier. 12.000 Menschen leben auf einem Quadratkilometer."
Die Kinder vom Krieg fernhalten
Unter der Enge leiden vor allem die Kinder. Es gibt keine Spielplätze, nicht mal ein Feld auf dem sie Fußball spielen könnten. Große Familien teilen sich die kleinen, oft unfertigen Häuser.
Tamer, ein 17-jähriger Schüler aus dem Camp, sieht deshalb in Karama vor allem eine Chance für die Kinder: "So werden sie von der Straße geholt und nicht in Kämpfe und den Krieg verwickelt."
Auch Jasser AL-Haj, der Leiter von Karama Palestine, ist froh über die Alternative für die Kinder: "Jetzt gibt es hier Kinder, die etwas lernen können, die etwas lernen wollen und das gibt ihnen Hoffnung. Ich glaube, viele Eltern hier im Camp sind einfach froh, dass ihre Töchter und Söhne hier neue Dinge erfahren und lernen können."
Durch Bildung will Karama versuchen, den Menschen im Flüchtlingslager eine neue Perspektive zu geben. Auch Frauen sollen sich beispielsweise durch Vorträge weiterbilden können, so Lanzinger:
Weiterbildung für Frauen
"Das Problem ist, dass viele Frauen noch relativ isoliert sind. Das Camp ist noch sehr traditionell geprägt, dass heißt der traditionelle Platz der Frau ist im Haus. Und das liegt gar nicht immer nur an den Männern oder an den Familien, sondern auch an den Frauen, die es gar nicht gewohnt sind, Veranstaltungen außerhalb des Hauses zu besuchen."
Durch Vorträge zu Themen wie Kindererziehung, Gewalt in der Familie und Umgang mit traumatisierten Kindern soll den Frauen auch die Möglichkeit zum Austausch untereinander gegeben werden.
Für die Zukunft träumt das Karama-Team von Projekten in weiteren Flüchtlingslagern. Aber zunächst ist in Deheishe der Umzug in ein größeres Haus geplant, damit mehr Frauen und Kinder teilnehmen können.
Und im Sommer 2005 wollen die Berliner Studierenden erstmals Kommilitonen aus Bethlehem zum Austausch nach Deutschland einladen.
Christina Bramsmann
© Qantara.de 2004