Der dritte Weg zur Revolution
Munaqresh klingt wie ein alter Intellektueller. Wenn er von den Aufständen in der arabischen Welt spricht, landet er schnell bei grenzüberschreitenden Identitätskonflikten oder dem Untergang des Panarabismus. Aber dann rückt der 34-Jährige sein Baseballcap zurecht und sagt in breitem Amerikanisch: "Wir mussten die ganze schmutzige Wäsche endlich mal lüften."
Auf dem Sampler "Khat Thaleth" hat der syrisch-amerikanische DJ und Produzent nun zusammengetragen, was sich im Laufe der Umwälzungen bei den Hip-Hop-Künstlern der Region angestaut hat. 23 Tracks von Rappern aus Tunesien, Ägypten, Irak und anderen arabischen Staaten, keine großen Plattenfirmen, sondern authentischer, politischer Hip-Hop. Im Februar erscheint der Sampler auf dem kalifornischen Indie-Label "Stronghold Sound".
"Von Anfang an war klar, dass wir keine Skrupel haben würden, die Opposition zu kritisieren und schon gar nicht die Regime dieser Länder", sagt Munaqresh, Sohn syrischer Eltern und in der nahöstlichen Clubszene besser bekannt als "Dub Snakkr". "Khat Thaleth" – dritter Weg – hat Munaqresh seinen musikalischen Beitrag zur Revolution deshalb genannt.
Der kritische Umgang mit der Revolution
Vielleicht ist es dieser Anspruch der Künstler, vor keiner Kritik zurückzuschrecken, alles hemmungslos zur Sprache zu bringen, der die Compilation zeitweise pessimistisch anmuten lässt. "Freiheit ist eine Lüge / wenn die ‚Ennahda‘ Tunesien regiert", rappt der Palästinenser Yaseen. Und wohl in Richtung Syrien schielend fügt der libanesische MC Zeinedin hinzu: "Ich habe Angst für die Revolution zu arbeiten / und mich am Ende selbst zu betrügen."
Eine pessimistische Sammlung anti-revolutionärer Rap-Songs ist "Khat Thaleth" trotzdem nicht. Ob Al-Jazeera, Israel oder die Saudi-Arabien, die UNO, die Muslimbrüder oder das Regime im eigenen Land – mit einer überraschenden Selbstverständlichkeit verteilen die Künstler ihre beißende Kritik – in alle Richtungen. "Das ist unser Raum, die Meinungsfreiheit zu nutzen, für die andere einen hohen Preis zahlen", sagt Munaqresh in Hinblick auf die Aufständischen.
Die Geburtsstunde des arabischen Hip-Hop
Ein Sprachrohr ist arabischer Hip-Hop seit seiner Entstehung Ende der achtziger Jahre gewesen. In seinem Geburtsort, dem vom Bürgerkrieg gebeutelten Algerien, etablierte sich der Musikstil in den Neunzigern als populäre musikalische Protestkultur. Wenig später verschaffte sich das palästinensische Hip-Hop-Trio DAM Verhör, indem es in seinen Songs rigoros die israelische Besatzung anprangerte.
Jüngst zeigte das Beispiel des tunesischen Rappers El Général die politische Dimension des Genres. Während des Aufstands gegen den langjährigen Diktator Zine El Abidine Ben Ali avancierte das Lied "Rais Elbled" mit der mittlerweile berühmten Punchline "Herr Präsident, Ihr Volk ist tot!" geradezu zur Hymne der Revolution.
Die jüngsten Aufstände haben den arabischen Hip-Hop zusätzlich beflügelt. Unzählige MCs aus allen Ecken der Region tummeln sich im Internet. Doch nicht nur das, sagt Produzent Munaqresh. Er sieht die Proteste als Reifeprüfung. "In den letzten zwei Jahren ist der Hip-Hop in eine neue Phase getreten. Es geht nicht mehr darum, zu beweisen, dass man arabischen Hip-Hop machen kann. Es geht um die Message, den Inhalt – darum, was die Leute wirklich denken."
Hört man die Tracks von "Khat Thaleth", die Munaqresh in zweijähriger Arbeit in der Region zusammengesammelt und zu einem großen Teil selbst produziert hat, scheint vor allem der Zweifel zu überwiegen: "Was bringt es, das Land in Brand zu setzen / wenn das Ziel vergeblich ist?", fragt etwa Zeinedin.
"Damaskus kriegt keinen Schlaf"
Vor lauter Politik geht die Musik auf "Khat Thaleth" fast ein wenig unter. Stümperhaft wirken die Beats einiger Titel, etwas gewollt die oft arabischen Melodien.
Erfrischend ungewohnt ist allerdings der ständig wiederkehrende Einsatz der Oud, der nahöstlichen Laute, die zahlreichen Tracks als Grundlage dient.
Einer der stärksten Titel – und einer der wenigen Ohrwurmkandidaten der Compilation – stammt von dem jungen syrischen Rap-Trio LaTlateh. "Boom boom bam", plätschert die Melodie eingängig daher, "Damaskus kriegt keinen Schlaf". In den Straßen von Damaskus ist eine Bombe explodiert und hat die beiden Protagonisten des Tracks in den Tod gerissen. Ihre Seelen treten aus den Körpern aus und realisieren, was passiert ist.
"Ich sehe ein großes Loch (in der Straße) / aber wo ist der Rest meines Körpers / warum habe ich Glassplitter in meiner Haut?" Neben ihnen am Straßenrand prangt ein Plakat mit der Aufschrift: "Achtung Märtyrer". Und kontrastierend der liebliche Refrain: "Boom boom bam, Damaskus kriegt keinen Schlaf".
Die Grundstimmung des Samplers bringt der ebenfalls syrische MC Al-Sayyed Darwish auf den Punkt: "Ich erzähle keine Geschichte, um Euch zu amüsieren", rappt er, "ich beschreibe die Realität, um Eure Augen zu öffnen."
Jannis Hagmann
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de