Der Sound der Seele
Ustad Ali Akbar Khan kam im April 1922 im heutigen Bangladesch zur Welt. Wie viele Musiker aus jener Zeit stammt er aus einer musikalisch vorgebildeten Familie. Schon sein Vater, ein bekannter Lehrer und Musiker, war Hofmusiker des Maharadschas von Maihar, dem heutigen indischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Der junge Khan wurde von seinem Vater in verschiedenen Instrumenten und im Gesang ausgebildet. Im Laufe der Zeit entwickelte er sich zu einem Virtuosen auf der Sarod – einer indischen Langhalslaute.
Die Sarod ist ein besonders in der Hindustani-Musik gespieltes bundloses Saiteninstrument. Der Name Sarod leitet sich von den persischen Wörtern sorūd und sorūdan ab, also "Lied“, "Melodie“ oder "Hymne“ bzw. "singen“, "spielen“ oder auch "dichten“. Einige Forscher leiten Sarod von schahrud her, einem historischen Lauteninstrument, dessen Bezeichnung mit "König der Lauten“ übersetzt werden könnte.
Der muslimische Einfluss auf die klassische hindustanische Musik
Die Etymologie zeigt auch den muslimischen Einfluss auf die klassische Hindustani-Musik. Ein bundloses Instrument eignet sich besonders gut für eine Musik, bei der die Finger auf dem Griffbrett auf und ab gleiten. Die klassische Hindustani-Musik mit der Spieltechnik der hawaiianischen Slide-Gitarre zu verbinden, ist das Markenzeichen von Bhattacharya.
Mit der von ihm entwickelten Chaturangui hat Bhattacharya diese sehr unterschiedlichen musikalischen Techniken miteinander verschmolzen. Bei der Chaturangui handelt es sich um eine Lap-Steel-Gitarre, also um eine Gitarre, die sich die Musiker quer über die Oberschenkel legen. Das eigentliche Griffbrett ist um zwei Basssaiten sowie um sechzehn Resonanzsaiten erweitert. Diese Saiten schwingen mit, wenn die anderen Saiten angeschlagen werden. Das Instrument wird auch als Mohan Veena bezeichnet.
Bei seiner Vorliebe für Slide-Techniken und seiner Virtuosität ist es nur konsequent, dass Bhattacharya vier neue Stücke zu Ehren Khans geschrieben hat. Schließlich spielte Khan selbst ein Instrument, das für diese Technik bestens geeignet war. Die Chaturangui unterscheidet sich zwar klanglich von der Sarod, aber der Spirit ist derselbe.
Erfindergeist
Ali Akbar Khan eröffnete in den USA eine der ersten Schulen für Hindustani-Musik und trat außerdem bei wegweisenden Veranstaltungen auf, wie beispielsweise 1971 beim Konzert für Bangladesch im Madison Square Garden in New York, dessen Mitorganisator der ehemalige Beatle George Harrison war. Auch unter diesem Aspekt ist die Chaturangui als Symbol eines Brückenschlags zwischen europäischer und indischer Musik von Bedeutung.
Bhattacharya weiß um die Sensibilität, die es Khan ermöglichte, mit Leuten wie Yehudi Menuhin und westlichen Popmusikern aufzutreten, weshalb die Musik den Erfindungsgeist einfängt, der Khans Arbeit geprägt haben muss.
The Sound of the Soul offenbart einen Virtuosen, der seinem Talent und Erfindungsreichtum freien Lauf lässt.
Beim ersten Anhören käme man kaum auf die Idee, dass Bhattacharya bei jedem Stück lediglich von einem einzigen Tabla- oder Pakhavaj-Spieler begleitet wird. Dieses Instrument ist eine tonnenförmige, zweiseitige Trommel, die normalerweise auf dem Schoß liegend gespielt wird. Im ersten Stück "Ever The Flame Burns" spielt Akhilesh Gundechha die Pakhavaj. Swapan Chaudhuri ist mit seiner Tabla in den übrigen drei Stücken zu hören: "To His Lotus Feet“, "The Sound of the Soul“ und "Colours of Joy“.
Alle vier Titel zeugen von Bhattacharyas Brillanz. Das fast vierzigminütige "To His Lotus Feet“ ist allerdings das Herzstück des Albums. "Lotus Feet“ ist eine Metapher für göttliche Weisheit. Es heißt, dass Schüler die Weisheit ihres Meisters in ihr Herz lassen, um dessen Lehre vollständig zu verinnerlichen. So gesehen, kann dieses Stück auch als eine Meditation über Khans Musik verstanden werden. In der Tradition der klassischen Hindustani-Musik taucht ein Schüler in die Lehren eines Meisters ein, ganz so, wie jemand von einem anerkannten Experten lernen würde – sei es auf spiritueller oder materieller Ebene.
Unabhängig vom Thema des Titels ist dies ein großartiges Stück Musik. Bhattacharya lässt seine Chaturangui so eloquent erklingen, dass man das Gefühl für die Zeit verliert. Der Klang der Resonanzsaiten, seine Slide-Technik und sein Tempospiel lassen uns völlig in die Musik eintauchen.
Erlebte Transzendenz
Mit jeder Klangwelle werden wir weiter an einen anderen Ort getragen. Vielen Musikstücken liegt ein spiritueller Anspruch zugrunde. Doch wenige können eine derartige transzendente Erfahrung vermitteln, wie es Bhattacharya gelingt. Er entführt uns scheinbar mühelos in eine Welt der Schönheit und Kontemplation.
Die Percussion-Arbeit von Gundechha und Chaudhuri bildet den Unterbau für Bhattacharyas Improvisationen. Ihr rhythmisches Spiel tritt bisweilen in den Hintergrund, um dann wieder ganz präsent zu werden. In allen Fällen bleibt die Beziehung zwischen den Instrumenten harmonisch und schön. Das eine ist ohne das andere nicht vorstellbar.
Ich kenne viele Chaturangui-Spieler, aber niemand kommt an Bhattacharya heran, was Eleganz und Ausdruck angeht. Wer dieses Instrument noch nie gehört hat, wird sich wundern, wie gut die Slide-Gitarre mit ihrer Kombination aus Stahlsaiten und Resonanzsaiten, die man eher von der Sitar kennt, harmoniert.
Alle vier Titel des Albums laden dazu ein, über das Vermächtnis von Ustad Ali Akbar Khan nachzudenken. Sobald man über den Titel eines Liedes nachdenkt und sich von der Musik mitnehmen lässt, ist es, als meditiere man über die Meriten dieses großen Musikers.
Mit The Sound of the Soul schuf Debashish Bhattacharya eine Hommage an einen der großen Meister der klassischen Hindustani-Musik. Auch wer noch nicht viel über Ustad Ali Akbar Khan weiß, wird seine Musik und die von Bhattacharya mit dieser Veröffentlichung zu schätzen lernen.
© Qantara.de 2023
Aus dem Englischen übersetzt von Gaby Lammers.