Religion, Politik und Gender
Seit Ende 2001 treffen sich Vertreterinnen der drei monotheistischen Religionen, um sich über eine frauengerechte Sozialpolitik zu verständigen. Auf einer Tagung in Arnoldshain stellten sie ihren Entwurf sozialpolitischer Leitlinien vor. Von Gesine Kleinschmit
Fast vier Jahre haben die Frauen der "Sarah-Hagar-Initiative" miteinander diskutiert und sich über das, was ihnen gemeinsam und fremd ist, ausgetauscht. "Es war für uns alle ein echter Bildungsprozess", bilanziert Pfarrerin Annette Mehlhorn, Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Arnoldshain und Koordinatorin der Initiative.
Den fraglos zwischen ihnen bestehenden Differenzen habe aber immer eine große Gemeinsamkeit gegenüber gestanden, so Tania Klaczko-Ryndziun, Vertreterin der jüdischen Gemeinde in Frankfurt: "Die Probleme, die wir als Frauen in der Familie und der Gesellschaft haben, liegen nicht weit auseinander."
Zwei Maßstäbe hat die Gruppe für die Formulierung ihres Leitlinien-Entwurfs angelegt: Einerseits die Richtlinien der Europäischen Union zur Antidiskriminierung und zur Geschlechtergerechtigkeit ("Gender Mainstreaming"), andererseits die gemeinsamen Wurzeln ihrer religiösen Traditionen.
Auch Politikerinnen sind eingeladen
Die religiöse Heimat der Anderen kennen zu lernen, spielte deswegen in der Arbeit der Gruppe immer eine wichtige Rolle. So besuchten sich die Frauen gegenseitig in der Moschee, in kirchlichen Räumen und der jüdischen Gemeinde. Auch auf der Tagung fehlten religiöse Rituale nicht: Es gab eine jüdische Shabbath-Andacht, ein muslimisches Abendgebet und einen christlichen Gottesdienst – jeweils gestaltet von den Sarah-Hagar-Frauen, und von den Teilnehmerinnen, egal welcher Religion, besucht.
Eingeladen waren zu der Tagung auch Politikerinnen – als erste Adressatinnen für eine Umsetzung der mit den Leitlinien verbundenen politischen Forderungen. Drei Themenfelder − Familie, Arbeit und Bildung – werden in dem Papier behandelt. Besonders die Musliminnen hatten sich für eine deutliche Wertschätzung der Familienarbeit stark gemacht.
Der in diesem Zusammenhang formulierte Anspruch einer "echten Wahlfreiheit zwischen Familien- und Erwerbsarbeit" war für manche Tagungsteilnehmerin jedoch ein rotes Tuch: Das sei schon immer ein Argument der Konservativen gewesen, kritisierte eine SPD-Politikerin, mit dem diese dem Anspruch einer Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausgewichen seien.
Zerreißprobe Kopftuchstreit
Breite Zustimmung fand indes die offene Definition von Familie "als Gemeinschaft, in der mindestens zwei Generationen füreinander Sorge tragen". Der Zwangsheirat erteilt das Papier eine Absage. Im Bereich Bildung plädiert die Sarah-Hagar-Initiative für eine stärkere Berücksichtigung interkultureller und interreligiöser Kompetenzen und eine Sensibilisierung für geschlechtsspezifische Benachteiligungen.
Von den Konfliktlinien der Tagespolitik blieb die Sarah-Hagar-Gruppe nicht unberührt. "Wir haben den Nahostkonflikt angesprochen und das Problem des Antisemitismus", erzählt die Jüdin Tania Klaczko-Ryndziun. "Aber es hat uns nicht auseinander gebracht."
Zu einer Zerreißprobe wurde für die Gruppe jedoch die in Deutschland intensiv diskutierte Frage, ob Lehrerinnen an staatlichen Schulen ein muslimisches Kopftuch tragen dürfen. Eine geplante Erklärung gegen das Kopftuch-Verbot scheiterte schließlich an drei Frauen – eine jede von einer anderen der drei Religionen.
Drei Musliminnen, die das Kopftuch tragen, verließen daraufhin die Gruppe, weil sie ihre Anliegen hier nicht ausreichend vertreten sahen. In den Leitlinien ist das Kopftuch denn auch nicht explizit erwähnt. Gefordert werden aber mehr Freiräume für die Befolgung religiöser Vorschriften am Arbeitsplatz, auch was die "Freiheit in Bekleidungsfragen" angeht.
Keine Unterstützung von der Landesregierung
Die Änderungsvorschläge aus den Tagungsdiskussionen sollen alsbald in die Leitlinien eingearbeitet werden. Allerdings, darauf verwies Pfarrerin Annette Mehlhorn, "können wir den Prozess nur vorantreiben, wenn wir wenigstens einen kleinen Etat haben."
Vom hessischen Sozialministerium, das entscheidend daran mitwirkte, dass die Sarah-Hagar-Initiative entstand, erhielt die Gruppe bislang kein Geld. Auch die Geschäftsführung hat das Ministerium mit Verweis auf Umstrukturierungen im eigenen Haus abgegeben.
Zuschüsse bekam die Initiative zuletzt nur noch von der Evangelischen Landeskirche. Die anwesenden Politikerinnen – leider alle aus der Opposition – versprachen aber, sich für die Anliegen der Gruppe gegenüber der Landesregierung stark zu machen.
"Entscheidend ist, dass sich hier überhaupt Frauen aus unterschiedlichen Religionen zusammen gesetzt und etwas Gemeinsames formuliert haben", sagte die Rechtsanwältin Kadriye Aydin, eine Muslimin, die selbst Wert darauf legt, ein Kopftuch zu tragen. Ihre Glaubensbrüder und -schwestern für die Leitlinien zu gewinnen, werde nicht einfach, da ist sie sich sicher: "Aber es ist ein notwendiger Lernprozess, zu dem die Muslime in Deutschland fähig sind."
Jede Tradition hat ihren Wert
Die "Integrationsdebatte" in Deutschland könnte jedenfalls von den Grundregeln, die sich die Sarah-Hagar-Initiative für ihren Dialog gegeben hat, noch einiges lernen: Da heißt es zum Beispiel, dass jede der beteiligten religiösen Traditionen ihren eigenen Wert hat und keine besser ist als die andere.
Die Wertschätzung religiöser Vielfalt, das ist in dem Leitlinien-Entwurf nachzulesen, sieht die Gruppe am besten in einem säkularen Staat mit grundgesetzlich verankerter Religionsfreiheit aufgehoben.
Benannt hat sich die interreligiöse Initiative nach den beiden biblischen Stammmüttern Sarah und Hagar, auf die sich alle drei Schriftreligionen berufen. Entstanden unter dem Dach des hessischen Sozialministeriums, ist die Initiative heute angebunden an die Evangelische Akademie Arnoldshain im Taunus. Fast zeitgleich mit der hessischen Sarah-Hagar-Gruppe entstand in Berlin eine ähnliche Initiative mit gleichem Namen. Beide arbeiten inzwischen eng zusammen, um ihre gemeinsamen Anliegen bundesweit voranzutreiben.
Gesine Kleinschmit
© Qantara.de 2005
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Dossier: Dialog der Religionen
Das interreligiöse Gespräch ist immer noch mit allerlei Problemen behaftet, aber es gibt, gerade im Kleinen, doch eine Reihe bemerkenswerter Initiativen - auch im 'Trialog' der drei abrahamischen Religionen Judentum, Christentum, Islam.
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Homepage der Sarah-Hagar-Initiative mit Veranstaltungen und Kontakt
Homepage der Evangelischen Akademie Arnoldshain mit einer Vorstellung des Projekts