"Die Isolierung Irans in der Region vorantreiben"
Nach Ansicht des syrischen Intellektuellen Burhan Ghalioun verfolgt US-Präsident Bush mit seinem Besuch im Nahen Osten das Ziel, den wachsenden regionalen Einfluss des Irans einzuschränken und die Voraussetzungen für dessen Isolierung zu fördern. Rashid Butayb hat sich mit Burhan Ghalioun unterhalten.
Herr Ghalioun, sieben Jahre nach seinem Amtsantritt besucht der US-Präsident Bush den Nahen Osten. Wie interpretieren Sie den Zeitpunkt dieses Besuches und welche Ziele verfolgt Bush damit?
Burhan Ghalioun: Eines der Ziele seines Besuches ist, den wachsenden Einfluss des Iran einzugrenzen und die Voraussetzungen für dessen Isolierung in der Region zu fördern. Ich glaube, dass die Amerikaner eine Bewegung in der Einigungsfrage im Nahostkonflikt – insbesondere in Bezug auf die Palästina-Frage – mit der Isolierung des Iran verknüpfen.
Zudem denke ich, dass Bush – allein durch seinen Besuch – den Arabern den Eindruck vermitteln möchte, dass das Stocken der Verhandlungen zur Lösung der Palästina-Frage sie nicht dazu bringen darf, ihr Vertrauen in seine Administration zu verlieren. Er möchte sie davon überzeugen, Hand in Hand mit Washington zu arbeiten, um den Iran zu isolieren.
Bedeutet das, dass die Zusagen aus der Friedenskonferenz von Annapolis bloße Lippenbekenntnisse bleiben?
Ghalioun: Gäbe es einen konkreten Fortschritt in den Verhandlungen von Annapolis, wäre der amerikanische Präsident wohl nicht gezwungen gewesen, diesen Besuch zu unternehmen. Die Verhandlungen gehen schleppend voran, sofern sie überhaupt vorankommen. Darüber hinaus gibt es noch weitere Hindernisse. Bush möchte mit seinem Besuch die Araber von seiner Politik der Isolierung des Irans in der Region überzeugen und sich deren Unterstützung sichern.
Der frühere ägyptische Präsident Sadat hat einmal gesagt, dass die Vereinigten Staaten zu 99 Prozent die Karten des Nahostspiels in der Hand halten. Glauben Sie nicht, dass die USA durch ihre Fehler im Kampf gegen den Terrorismus – sei es im Irak oder in Afghanistan – einige ihrer Karten verspielt haben? Dies könnte nun die amerikanische Administration dazu veranlasst haben, ihre Politik neu zu überdenken. Wie schätzen Sie die Rolle der USA in der Region ein?
Ghalioun: Die Vereinigten Staaten haben, trotz ihrer Fehler, nichts von ihrem Einfluss in Nahost eingebüßt. Dennoch können sie keine Fortschritte in den Friedensverhandlungen erzielen, und zwar aus einem einfachen Grund: Sie möchten unabhängig von ihrem Einfluss in der Region keinen Druck auf Israel ausüben. Wir alle wissen, dass die Palästina-Frage der Konfliktherd im Nahen Osten ist. Dieser besteht seit mehr als einem halben Jahrhundert.
Durch ihre bedingungslose Unterstützung für Israel verliert die US-Politik an Glaubwürdigkeit – auch bei den arabischen Regimes, die eigentlich von der amerikanischen Unterstützung abhängig sind. Die amerikanische Politik im Nahen Osten steckt in einer Krise. Washington kann seine Politik nicht ändern. Und auch wenn Washington seine Politik nach der Invasion im Irak ändern würde, würde dies nur geringfügig die Palästina-Frage berühren.
Gibt es arabische Bemühungen für eine Schlichtungsinitiative, welche die arabische Friedensinitiative und die Wiederaufnahme der Palästina- und Libanon-Frage unterstützt?
Ghalioun: Angesichts der schwachen Zusammenarbeit der arabischen Länder untereinander gibt es auch keine arabischen Schlichtungsinitiativen. Die derzeitigen arabischen Bemühungen in Schlichtungsfragen gehen nicht über den Austausch diplomatischer Noten hinaus. Diese Politik ist voller Widersprüche, die teilweise mit der Unfähigkeit der amerikanischen Administration zusammenhängen, einen handfesten Erfolg in den Nahost-Friedensbemühungen herbeizuführen.
Wird Europa weiterhin kaum an politischen Lösungen für den Nahen Osten beteiligt sein oder kann es in Zukunft eine Rolle übernehmen, die seinem politischen und wirtschaftlichen Gewicht mehr entspricht?
Ghalioun: Die Europäer wären in der Lage gewesen – unabhängig von den Vereinigten Staaten – im Nahen Osten eine aktivere Rolle gegenüber Syrien und dem Libanon zu übernehmen, da letztere die einzigen Eintrittspforten Europas in den Nahen Osten sind. Die EU-Politik war bisher jedoch nicht effektiv, und es ist überaus fraglich, ob sie in Zukunft effektiv sein kann: Erstens, weil Europa insgesamt nicht das Gewicht besitzt, mit dessen Hilfe es auf Israel und die Vereinigten Staaten Druck ausüben könnte, und es verfügt auch nicht über einen großen Handlungsspielraum. Zweitens setzt sich Europa aus Staaten zusammen, die sich in der EU-Außenpolitik – insbesondere in der Nahostpolitik – uneins sind.
Vor diesem Hintergrund ist das politische Gewicht der EU noch zu gering. Die Europäische Union stößt kleine Initiativen an, die die amerikanische Rolle in der Region ergänzen und die sich in eben diese Rolle einfügen lassen..
Werden die Konfrontationen im Nahen Osten also eher noch zunehmen?
Ghalioun: Die Region steckt derzeit in einer Krise, die sich weiter verschärfen wird. Ich glaube nicht daran, dass schnelle Lösungen auf internationaler oder regionaler Ebene absehbar sind. Ich sehe auch keine Perspektiven für ein Ende der derzeitigen Krise, da in den letzten beiden Jahren – über den bestehenden arabischen Konflikt hinaus – noch das Problem des iranischen Nuklearprogramms dazu kam. Die Region steuert in rasanter Geschwindigkeit auf eine wie auch immer geartete Konfrontation sowie auf eine weitere Eskalation in vielen Konfliktfbereichen zu.
Interview: Rashid Butayb
© DEUTSCHE WELLE/Qantara.de 2008
Übersetzung aus dem Arabischen von Raoua Allaoui
Qantara.de
US-Präsident Bush auf Nahostreise
"Die USA haben ihre besondere Rolle verspielt"
Was ist vom Besuch des US-Präsidenten im Nahen Osten zu erwarten? Und wie kann die Nahostpolitik von George W. Bush bewertet werden. In einem Interview sieht Nahost-Experte Udo Steinbach vertane Chancen.
Nahostreise von US-Präsident Bush
Imagetour in den Nahen Osten?
Bei seiner neuntägigen Nahostreise will US-Präsident George W. Bush die Friedensverhandlungen vorantreiben. Warum hat er sich vorher noch nicht in Israel und den palästinensischen Gebieten blicken lassen? Ein Kommentar von Peter Philipp
Amerikas Krieg gegen den Terror
Bilanz einer gescheiterten Strategie
Das Versagen der US-amerikanischen Außenpolitik seit dem 11. September 2001 lässt sich an der Kluft zwischen den hohen Erwartungen des Jahres 2001 und der Realität des Jahres 2007 ermessen. Von Paul Rogers