Hoffnungsschimmer für Zypern

Am 3. September beginnt eine neue Verhandlungsrunde auf Zypern. Wie stehen die Chancen für eine Wiedervereinigung? Tuba Tuncak im Interview mit dem Zypern-Experten Heinz A. Richter

Mehmet Ali Talat, links, und Dimitris Christofias; Foto: AP
Nach den Präsidentschaftswahlen auf der griechischen Seite Zyperns sind die Führer der beiden Volksgruppen, Dimitris Christofias und Mehmet Ali Talat, mehrmals zusammengetroffen. Am 3. September findet das nächste Treffen statt.

​​Herr Richter, können wir dieses Mal auf eine Lösung für Zypern hoffen?

Heinz Richter: Würden die Zyprioten, die griechischen und die türkischen, allein verhandeln, wäre ich sicher, dass es zu einer Lösung käme, zumal Christofias und Talat von der politischen Färbung her ungefähr aus dem gleichen Lager kommen. Die griechisch-zypriotische Seite verhandelt allein. Athen schaut zu, wäre mit jeder Lösung einverstanden, die von den griechischen Zyprioten akzeptiert wird. Schon deswegen, um endlich dieses Problem, das ihr wie ein Mühlstein um dem Hals hängt, loszuwerden.

Die türkisch-zypriotische Seite hängt in vieler Hinsicht total von Ankara ab, und wann immer irgendwelche Entscheidung getroffen werden sollen, muss das Plazet Ankaras eingeholt werden. Es geht auf der lokalen Ebene los, wo die türkischen Militärs alles kontrollieren, was mit Sicherheit zu tun hat. Es geht bis zur Polizei, bis zur Feuerwehr, die auch den türkischen Militärs untersteht.

Die Zypernfrage ist entscheidend für die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Wie bewerten Sie die Haltung der Erdogan-Regierung zur Zypernfrage?

Richter: In der Türkei findet im Moment eine große Auseinandersetzung statt, man könnte beinahe von einer Art Krieg reden, und zwar zwischen dem Atatürk-Lager, es besteht aus den hohen Militärs, der hohen Ministerialbürokratie und der hohen Justiz, und der gegenwärtigen Regierung. Äußeres Anzeichen war neulich der Versuch, die Partei von Erdogan verbieten zu lassen. Die Regierungspartei von Erdogan versucht, die die Türkei in die EU zu führen. Nun könnte man eigentlich erwarten, dass das Atatürk-Lager danach streben würde, in die EU zu kommen – so richtete zumindest Atatürk die Türkei ursprünglich aus: Die Türkei sollte sich Europa annähern. Nun hat sich hier aber ein Paradigmenwechsel ereignet.

Gedächtnisfeier der türkischen Invasion in Nordzypern; Foto: AP
Der türkische Premierminister Erdogan besuchte im Juli 2008 die türkischen Gebiete Zyperns, um an die Invasion vor 24 Jahren zu erinnern. Rechts im Bild: Mehmet Ali Talat

​​Das Establishment, das von dem so genannten "Tiefen Staat" unterstützt wird, also den Geheimdiensten, vor allem aber das Militär bildet in der Türkei einen Staat im Staat, nicht nur politisch sondern auch ökonomisch. Würde die Türkei Mitglied der EU werden, müssten natürlich die Militärs politisch das Primat der Politik akzeptieren, zum anderen müssten sie ihr ökonomisches Imperium auflösen. Sie würden also Privilegien größter Art verlieren. Das ist einer dieser Gründe, wieso man aus dieser Ecke nicht EU-freundlich agiert.

Sie sagen also, es gäbe ein Lager in der Türkei, das die Lösung auf Zypern verhindert, damit die Türkei nicht in die EU kommt?

Richter: Jetzt wird es etwas kompliziert. Zunächst einmal: Über Zypern wird nicht auf der klassisch politischen Ebene entschieden. Es gibt in der Türkei im Prinzip zwei Politikebenen. Die eine ist wie überall die Spielwiese der Politiker, auf der sie sich äußern und austoben können. Aber oberhalb dieser Ebene gibt es eine nationale Politik, die im sogenannten Nationalen Sicherheitsrat festgelegt wird. Der ist besetzt je etwa hälftig vom Militär und von den entscheidenden Leuten in der Regierung. Früher stammte der Generalsekretär dieses Gremiums auch noch vom Militär. Der ist inzwischen Zivilist, aber an den eigentlichen Machtverhältnissen hat sich nichts geändert. Entscheidungen über Zypern werden im Nationalen Sicherheitsrat gefällt und nirgendwo anders.

Die AKP wurde aber nicht verboten. Hat es die Position von Erdogan bezüglich Zyperns nicht verstärkt?

Heinz A. Richter; Foto: privat
Heinz A. Richter: "Dimitris Christofias und Mehmet Ali Talat ist an einer Lösung der 'Zypern-Frage' gelegen."

​​Richter: Das ist optisch. Der Beschluss war ja ziemlich knapp im Obersten Gerichtshof. Er hat ein bisschen mehr Spielraum gekriegt. Aber die Militärs haben nach wie vor das Sagen.

Inzwischen sprechen aber die Militärs nicht mehr wie früher mit einer Stimme. Es gibt Hardliner und gemäßigtere Stimmen. Glauben Sie denn, dass das Lager innerhalb des Militärs die Lösung über Zypern bestimmen wird, welches diese Auseinandersetzung gewinnt?

Richter: Es hängt davon ab, ob die Militärs dieses Problem vom Hals haben wollen. 40.000 Mann auf der Insel konstant zu unterhalten belastet den Militärhaushalt. Das dürfte klar sein. Ansonsten ist jeder zweite türkische Zypriot im öffentlichen Dienst, und dieser wird voll von der Türkei finanziert. Das ist auf Dauer auch eine Belastung, wenn es auch nur einige hunderttausend Leute sind. Dazu kommt noch, es gibt neue Probleme in der Region – Irak, Georgien, die große Pipeline etc. – und es ist möglich, dass der Generalstab sagt, okay, wir wollen wenigstens mal diese Flanke zur Ruhe bringen, indem wir einer Lösung zustimmen.

Was kann die EU machen, um die beiden Seiten und die Türkei zur Lösung zu bewegen?

Richter: Herzlich wenig. Beziehungsweise, die EU könnte zwar da und dort Druck ausüben, nur: Wer in der EU ist bereit, die Türkei als EU-Mitglied zu akzeptieren? Man hofft insgeheim darauf, dass die türkischen Militärs die Arbeit machen und den Beitritt verhindern, so dass man sich die Hände in Unschuld waschen kann.

Im Jahre 2004 wurde der Plan des damaligen UNO Generalsekretärs Annan von der griechischen Seite abgelehnt. Es gibt nun einen neuen Plan, der einen föderalen Staat mit zwei gleichberechtigten Gründerstaaten vorsieht. Bietet dieser Plan im Allgemeinen eine gute Basis für die Verhandlungen?

Richter: Im Grunde ist man zurückgegangen, vom Grundlegenden her, zu dem High Level Agreement von 1977, als Makarios und Denktas schon mal so was unterschrieben haben. Nur hat Denktas damals leider den Rückzieher gemacht. Die Zukunft liegt in einer partnerschaftlich, föderalen Lösung. Ich glaube, dass beide Seiten, dazu bereit sind, hier ja zu sagen. Natürlich hat Christofias auch Probleme in seinem Lager: er muss seine Konservativen irgendwie einbinden, und da gibt es immer wieder Stürme im Wasserglas. Neulich meldete sich sogar die Kirche. Entsprechendes gibt es natürlich auch auf der anderen Seite. Nur, die beiden, Christofias wie Talat, kommen politisch aus der gleichen Ecke und wollen eine Lösung.

Interview: Tuba Tunçak

© Qantara 2008

Prof. Heinz A. Richter lehrt am Historischen Institut der Universität Mannheim. Über Zypern und den Zypernkonflikt hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht.

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