Keine Bewegung im Zypern-Konflikt

Zypern Staatsbesuch von Präsident Reccp Tayyip Erdogan; Foto: Mustafa Oztartan/Presidential Press Office/Reuters
Zypern Staatsbesuch von Präsident Reccp Tayyip Erdogan; Foto: Mustafa Oztartan/Presidential Press Office/Reuters

Bei seinem Besuch auf Zypern hat der türkische Präsident Erdogan betont, für ihn gebe es nur noch die Zwei-Staaten-Lösung für die geteilte Insel. Mit der Ankündigung, den Ort Varoscha für türkisch-zypriotische Besiedelung zu öffnen, hat er gleichzeitig wieder einmal Fakten geschaffen, schreibt Ronald Meinardus aus Istanbul.

Von Ronald Meinardus

Der Job bringt es mit sich, als Generalsekretär der Vereinten Nationen tut António Guterres gut daran, geduldig zu sein: "Ich gebe nicht auf“, sagte der Portugiese Ende April nach dem Scheitern der informellen Zypern-Gespräche in Genf, die ein weiteres Mal ohne greifbare Ergebnisse zu Ende gegangen waren: "In der Geometrie ist die Quadratur des Kreises eine Unmöglichkeit, aber in der Politik ist sie weit verbreitet“, kommentierte der erfolglose Schlichter mit verhaltenem Zweckoptimismus das abermalige Scheitern seiner Mission.

Die Teilung Zyperns geht auf das Jahr 1974 zurück. Damals versuchten zunächst griechische Putschisten gegen die Regierung von Erzbischof Makarios vorzugehen, um einen Anschluss der Insel an Griechenland zu erreichen. Daraufhin intervenierte die Türkei militärisch und es kam zu einer faktischen Zweiteilung der Insel in einen mehrheitlich griechisch-zypriotischen Süden und einen mehrheitlich türkisch-zypriotischen Norden. Seitdem steht das Zypern-Thema regelmäßig auf der Agenda der Weltorganisation.

Wenn António Guterres zwischen den zypriotischen Volksgruppen vermittelt, so tut er dies im Auftrag des Weltsicherheitsrates. Über die Jahre – inzwischen sind es Jahrzehnte geworden – hat das höchste UN-Gremium immer wieder die Überwindung der Teilung und eine einvernehmliche Konfliktlösung auf der Mittelmeerinsel angemahnt. Kaum zu überschauen sind die internationalen Vermittlungsanläufe, die – so die aktuelle Bilanz – allesamt ohne Erfolg geblieben sind.

Fleißige UN-Beamte haben über Jahre den Verhandlungsverlauf kleinteilig schriftlich aufgezeichnet. Die im Zuge gezielter Indiskretionen an die Öffentlichkeit gelangten Protokolle zeigen, dass die Streitparteien mehr als einmal – zuletzt 2017 – ganz nah an eine umfassende Lösung herangekommen waren. Immer wieder stand am Ende jedoch fehlender politische Wille seitens der politischen Führungen einem Durchbruch im Weg.

Erdogans Mantra

Derweil arbeitet die "Normativität des Faktischen“ mit jedem Jahr, das vergeht, gegen eine Überwindung der Teilung. "Wir haben nicht vor, Kompromisse zu machen“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei seinem Besuch im Norden Zyperns am 20. Juli. Für Ankara – so das häufig wiederholte Mantra Erdogans – komme nur eine Zwei-Staaten-Lösung in Betracht. "Alle anderen Angebote und Vorschläge sind nicht mehr gültig“.

Grafik Zypern; Quelle: DW
Die Teilung Zyperns geht auf das Jahr 1974 zurück. Damals versuchten zunächst griechische Putschisten gegen die Regierung von Erzbischof Makarios vorzugehen, um den Anschluss der Insel an Griechenland zu erreichen. Daraufhin intervenierte die Türkei militärisch und es kam zu einer faktischen Zweiteilung der Insel in einen mehrheitlich griechisch-zypriotischen Süden und einen mehrheitlich türkisch-zypriotischen Norden. Seitdem steht das Zypern-Thema regelmäßig auf der Agenda der Vereinten Nationen. Einer Lösung nähergekommen ist man bisher nicht.

Einhergehend mit der Absage an das bis dato verbindliche Verhandlungsziel, im Rahmen der UN-Vermittlung eine bi-kommunale, bi-zonale Föderation zu erreichen, werde – so Erdogan – die Türkei alles daransetzen, die allein von Ankara anerkannte "Türkische Republik Nordzypern“ international aufzuwerten: "Wir werden alles Mögliche tun, damit der türkisch-zypriotische Staat so bald wie möglich anerkannt wird“.   

Nach Erdogans Ankündigungen im Vorfeld des Besuches auf Zypern war allgemein erwartet worden, dass Ankaras engste diplomatische Verbündete – in der türkischen Presse war vor allem von Aserbaidschan und Pakistan die Rede -  pünktlich zum 47. Jahrestag der türkischen Invasion den international isolierten Teilstaat diplomatisch anerkennen würden. Ein derartiger Schritt ist jedoch bislang ausgebleben.

Derweil hat die Europäische Union im Vorfeld zu verstehen gegeben, dass für sie die Souveränität der Republik Zypern sakrosankt sei: "Ich möchte wiederholen, dass wir niemals eine Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren werden. In diesem Punkt sind wir fest entschlossen und sehr einig“, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Besuch in Nikosia Anfang Juli.  

Zu den im Vorfeld seines Besuches angekündigten "guten Nachrichten“, die Erdogan in Zypern überbringen würde, zählte die Ankündigung, den seit 1974 im Zuge der Invasion entvölkerten Badeort Varoscha wieder zu öffnen. Damit schafft Erdogan Fakten entgegen den UN-Resolutionen, die vorsehen, dass Varosha unter die Verwaltung der Vereinten Nationen gestellt und an die griechisch-zypriotischen Besitzer zurückgegeben wird.

In den Verhandlungen der zurückliegenden Jahre hat die "Geisterstadt“ immer wieder eine wichtige Rolle gespielt. Zuletzt hatten die Griechen die Wiederbesiedlung des Ortes unter UN-Aufsicht als vertrauensbildende Maßnahme ins Spiel gebracht. Die Weltorganisation verlangt seit Jahr und Tag, dass der von türkischem Militär kontrollierte Ort unter ihre Kontrolle gestellt und für eine Rückkehr der rechtmäßigen Besitzer freigegeben wird.

Verlassene Gebäude im "Geisterort Varosha“; Foto: Christina Assi/AFP/Getty Images
Bereits im Vorfeld seines Besuches auf Zypern hatte Erdogan angekündigt, den seit 1974 abgeriegelten Badeort Varoscha wieder für türkische Zyprioten zu öffnen. Damit schafft Erdogan Fakten entgegen den UN-Resolutionen, die vorsehen, dass Varosha unter die Verwaltung der Vereinten Nationen gestellt und an die griechisch-zypriotischen Besitzer zurückgegeben wird. Die Vereinten Nationen verlangen seit Jahr und Tag, dass der von türkischem Militär kontrollierte Ort unter ihre Kontrolle gestellt und für eine Rückkehr der rechtmäßigen Besitzer freigegeben wird.

Einseitige Ankündigung der Türkei

Kaum hatte Erdogan auf Zypern seinen Plan veröffentlicht, befasste sich in New York der Weltsicherheitsrat mit der Varoscha-Thematik. Das Gremium verurteilte die türkischen Pläne für Varoscha und äußerte sein "tiefes Bedauern“ über Ankaras Vorgehen. Zuvor hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die "einseitige Entscheidung“ der Türkei kritisiert, da sie zu neuen Spannungen auf der Insel führen und die Wiederaufnahme von Gesprächen über eine umfassende Lösung der Zypern-Frage gefährden würde.

Erdogans wichtigster Verbündeter in Sachen Zwei-Staaten-Politik ist der im Oktober letzten Jahres ins Amt gewählte Präsident des türkisch-zypriotischen Teilstaates Ersin Tatar, der sich damals in einem Kopf-an-Kopf-Rennen im zweiten Wahlgang gegen den gemäßigten Amtsinhaber Mustafa Akinci durchsetzte. Erdogan und die AKP haben aus ihrer Unterstützung für Tatar, der streng nationalistische Positionen vertritt, nie einen Hehl gemacht: "Wir werden niemals zulassen, dass unsere Beziehungen zur Türkei abgebrochen werden“, sagt Tatar, den seine politischen Gegner als gefälligen Vasallen Erdogans kritisieren:

"Erdogan behandelt ihn wie seinen Privatsekretär“, kommentiert Fehim Tastekin im Online Portal Al Monitor. "Diese Einstellung führt unweigerlich dazu, dass er die Annexion Nordzyperns durch die Türkei als ultimatives Szenario im Sinn führt."

In der politischen Klasse der türkischen Zyprioten ist das Verhältnis zum türkischen Mutterland aber keinesfalls unumstritten. Dass längst nicht alle Inseltürken Anhänger von Erdogans Zwei-Staaten-Politik sind, zeigt das demonstrative Fernbleiben von zwei Oppositionsparteien während der Rede des türkischen Präsidenten in der türkisch-zypriotischen Volksvertretung. Ungeachtet der überwältigenden Abhängigkeit der türkischen Zyprioten vom mächtigen Nachbarn, zu der die internationale Isolation beiträgt, und der fortgeschrittenen Integration mit der Volkswirtschaft des Festlandes bleibt der Wille zur zypriotischen Eigenständigkeit auch im Norden der Insel erhalten.

Umfrage-Mehrheiten für Bundesstaat

Das belegen nicht zuletzt aktuelle Umfragen. Demnach wünscht sich eine deutliche Mehrheit der Zyprioten für den Norden der Insel eine Vereinbarung auf der Grundlage der auch von den Vereinten Nationen favorisierten bi-kommunalen, bi-zonalen Föderation. Unter türkischen Zyprioten unterstützen 64 Prozent der Befragten diese Lösung, im Süden liegt dieser Anteil bei 67 Prozent.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der Präsident des türkisch-zypriotischen Teilstaates Ersin Tatar in Nikosia; Foto: Mustafa Oztartan/Presidential Press Office/Reuters
Erdogan und der Präsident des türkisch-zypriotischen Teilstaats Ersin Tatar: Der im Oktober 2020 gewählte Nationalist Tatar gilt als wichtigster Verbündeter des türkischen Präsidenten in Sachen Zwei-Staaten-Politik. Doch noch nicht einmal alle türkischen Zyprioten stünden hinter dieser Politik, schreibt Ronald Meinardus in seine Analyse. „Ungeachtet der überwältigenden Abhängigkeit der türkischen Zyprioten vom mächtigen Nachbarn, zu der die internationale Isolation beiträgt, und der fortgeschrittenen Integration mit der Volkswirtschaft des Festlandes bleibt der Wille zur zypriotischen Eigenständigkeit auch im Norden der Insel erhalten.“

Dass die griechisch-zypriotische Seite es über Jahrzehnte versäumt hat, aus dieser durchaus versöhnlichen Stimmung im Norden politisches Kapital zu schlagen und so die Grundlage für ein einheitliches zypriotisches Gemeinwesen zu schaffen, hat den Stillstand mit befeuert.

In griechischen Diskussionen über die Zypern-Frage ist oft von "verpassten Chancen“ (chamenes evkairies) die Rede. Tatsächlich gab es in der Geschichte der Zypern-Verhandlungen mehr als einmal Momente, in denen die türkische Seite – in Ankara und auf der Insel – weitaus entgegenkommender war, als das heute der Fall ist. Ein viel zitiertes Beispiel ist der so genannte Annan-Plan von 2004, der auf eine bundesstaatliche Lösung nach Schweizer Vorbild abzielte. In einer Volksbefragung stimmte eine Mehrheit der türkischen Zyprioten damals für den Plan; im Süden der Insel votierte nach hitzigen Debatten eine Mehrheit gegen den Annan-Plan.

Das Jahr 2004 steht aber nicht nur für das Scheitern der seit der Teilung wichtigsten und aufwendigsten internationalen Vermittlung. In jenem Jahr trat die Republik Zypern als Vollmitglied der Europäischen Union bei. Seither ist die ungelöste Zypern-Frage vollumfänglich auch ein europäisches Problem.

Die Hoffnungen, Zyperns Vollmitgliedschaft werde eine Einigung auf der Insel erleichtern, haben sich nicht erfüllt. Das Gegenteil ist der Fall: Das Zypern-Thema hat zu weiteren Verwerfungen im ohnehin angespannten Verhältnis zwischen der Türkei und der EU geführt. Brüssel vertritt – dies liegt in der Logik der Gemeinschaft – konsequent die Positionen Griechenlands und der griechisch-zypriotisch dominierten Republik Zypern. Als Folge akzeptiert Ankara die EU nicht als Mittlerin, sondern betrachtet die Europäer als Konfliktpartei.

Ein Ausweg aus dem Dilemma böte aus europäischer Sicht allein eine stärkere Ein- und Anbindung der Türkei an die EU. Im Lichte der aktuellen politischen Gemengelage ist dies allenfalls eine hypothetische Perspektive – ein Gedankenspiel.

Doch wie sagte der Generalsekretär der Vereinten Nationen noch: In der Politik ist die Quadratur des Kreises durchaus möglich. In der Zypern-Frage warten wir seit einem halben Jahrhundert auf eine Bestätigung dieser These.

Ronald Meinardus

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