Muhammad als christologischer Würdenname?
Eines Ihrer Bücher trägt den Titel "Die dunklen Anfänge". Was ist dunkel an der Entstehung des Islam?
Karl-Heinz Ohlig: Alle Informationen über die Anfänge des Islams wurden erst späteren Texten entnommen – "Biographien", die im 9. und 10. Jahrhundert aufgeschrieben wurden. Aus einem dieser Texte, den Annalen des at-Tabari (10. Jahrhundert) stammen auch die Schilderungen der weiteren Geschichte. So fehlen für die ersten zwei Jahrhunderte zeitgenössische Texte, auf die man sich stützen könnte.
Kann man diese späten Aufzeichnungen noch akkurat nennen? Kommen sie aus wissenschaftlicher Sicht nicht einer Fälschung gleich?
Ohlig: Diesen Entwurf als Fälschung zu bezeichnen, ist – ebenso wie bei den Büchern Mose oder der Romulus-Remus-Erzählung – falsch, weil dabei die literarischen Gattungen nicht berücksichtigt werden. Religiös-politische Gründungsmythen sind keine Geschichtsschreibung, und wollen dies auch nicht sein.
Sie vertreten die These, dass der Islam nicht als eigenständige Religion gedacht war. Welche Beweise haben Sie dafür?
Ohlig: Laut Zeugnis der christlichen Literatur unter arabischer Herrschaft im 7. und 8. Jahrhundert, aber auch der arabischen Münzprägungen und der Inschriften, wie z.B. im Felsendom in Jerusalem, vertraten die neuen Herrscher ein syrisch-persisches Christentum, das die Beschlüsse des Konzils von Nizäa nicht anerkannte: Jesus ist für sie Gesandter, Prophet, Knecht Gottes, aber nicht physischer Sohn Gottes, und Gott ist unitarisch einer – ohne "Beigesellung". Deswegen ordnet sie der Kirchenvater Johannes von Damaskus (gestorben um 750) unter die christlichen Häretiker ein, weil sie seinem griechischen Verständnis von Christentum nicht entsprachen. Vor dem 9. Jahrhundert ist von einer neuen, eigenständigen Religion der Araber nicht die Rede.
Das heißt, der Islam wurde erst später zu einer eigenständigen Religion gemacht?
Ohlig: Diese Formulierung klingt ein wenig nach Willkür oder bewusster Aktion. Es ist vielmehr so, dass Religionen oft entstehen, indem sie bei religiösen Vorstellungen der Tradition, aus der sie kommen, eine neue Gewichtung des Ererbten vornehmen, dieses anders interpretieren und in spezifischer Weise verfestigen und systematisieren.
Sie haben auch über den Propheten Mohammed historisch-kritisch geforscht. Welche Aussagen lassen sich über seine Person machen?
Ohlig: Nachweisen lässt sich, dass die frühesten Münzprägungen mit dem Motto MHMT im Osten Mesopotamiens um 660 auftauchten, ihren Weg nach Westen nahmen und dort bilinguale Münzen geprägt wurden, in deren Mitte MHMT und am Rand in arabischer Schrift muhammad steht. Diese Münzen tragen eine christliche Ikonographie, z.B. immer wieder Kreuze, so dass muhammad offensichtlich, wie im Sanctus der Messe ("hochgelobt sei, der da kommt ...") als ein Prädikat Jesu verstanden wurde; muhammad heißt der Gelobte, Gepriesene oder der zu Lobende, zu Preisende. Dies entspricht auch dem Text der Inschrift im Felsendom, wo der Titel muhammad auf den Messias, Jesus, Sohn der Maria und Knecht Gottes bezogen ist, ebenso auf die Polemik des Johannes Damascenus gegen diese für ihn häretische Aussage.
Später scheint sich dieses christologische Prädikat von seinem Bezugspunkt gelöst zu haben, so dass es auf den im Koran häufig angesprochenen, namenlosen Propheten bezogen und somit in der Gestalt eines arabischen Propheten historisiert werden konnte. Diese Historisierung ist ebenfalls, die früheste Quelle, von Johannes von Damaskus bezeugt, der von dem Pseudopropheten Mamed spricht. Erst danach konnten die reichhaltigen Erzählungen von diesem Mohammed die historischen Defizite auffüllen.
Bleibt festzuhalten, dass mit muhammad möglicherweise auch Christus gemeint sein könnte?
Ohlig: Es ist durchaus möglich – wenn auch bisher nicht historisch beweisbar –, dass es am Anfang oder auch an einer anderen Stelle in der Geschichte der koranischen Bewegung einen wichtigen Prediger gegeben hat. Nach dem Zeugnis der arabischen Münzen oder z.B. der Inschrift im Felsendom aber muss angenommen werden, dass der Begriff muhammad, der Gelobte oder zu Lobende, ursprünglich ein christologischer Würdenname war.
Warum wurde bisher nicht über diese Zusammenhänge nachgedacht?
Ohlig: In der muslimischen Theologie sind Fragestellungen dieser Art verboten. Sie hat bisher noch keine Aufklärung durchlaufen. Die westliche Islamwissenschaft beschäftigt sich weithin mit Philologie, ohne die in der Geschichtswissenschaft etablierten Methoden anzuwenden. Ebenso wenig untersuchen sie den religionsgeschichtlich und christlich-theologisch äußerst differenzierten kulturellen Raum des Vorderen Orients, so dass die Wurzeln und Motive aus diesen Traditionen nicht erkannt werden.
In Ihrem Buch "Der frühe Islam" schreiben Sie, dass Sie diese Religion nicht schädigen wollen. Viele Muslime werden genau das Gegenteil empfinden.
Ohlig: Die Aufklärung wurde seit dem 18. Jahrhundert von vielen Christen – von manchen bis heute – als Angriff und Destruktion ihrer Religion empfunden und angesehen. In Wirklichkeit aber hat sie es dem Christentum ermöglicht, in der Moderne zu bestehen und auch für moderne Menschen lebbar zu sein. Diese Schritte hat der Islam noch vor sich, aber sie sind auch für ihn unausweichlich, wenn er eine Zukunft nicht nur in ghettoartig abgeschlossenen Gesellschaften haben will.
Alfred Hackensberger
© Qantara.de 2008
Karl-Heinz Ohlig ist Professor für Religionswissenschaft und Geschichte des Christentums an der Universität des Saarlandes.
Qantara.de
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