Verständigung in europäischem und türkischem Interesse
Die Türkei ist nicht nur ein besonderer, sondern mitunter auch ein schwieriger EU-Beitrittskandidat. Der Wunsch des Landes, Mitglied der EU zu werden, spaltet die öffentliche Meinung in Deutschland und Europa – auch wenn der Beitritt noch in weiter Ferne liegt und die Türkei bis dahin zahlreiche Reformen umsetzen muss, die das Land maßgeblich verändern werden.
Eine zu erfüllende Bedingung auf dem Weg in die EU ist die immer noch ausstehende Umsetzung des Ankara-Protokolls bzw. die Anerkennung Zyperns durch die Türkei. Deshalb haben sich die EU-Außenminister in Anlehnung an einen Vorschlag der Kommission nun darauf geeinigt, acht Verhandlungskapitel, die mit dem freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen zusammenhängen, auszusetzen.
Die Regierung in Ankara mag den Beschluss der EU-Außenminister als "unfair" kritisieren, doch angesichts der nach wie vor ungelösten Zypernfrage ist er ein Kompromiss, mit dem man einstweilen leben kann. Ferner wird so vermieden, dass die Frage des Türkeibeitritts bei den anstehenden Wahlen in Frankreich und der Türkei instrumentalisiert wird.
Aus europäischer Perspektive löst die Vorgehensweise der Türkei zu Recht Verwunderung, wenn nicht gar Unverständnis aus. Denn selbstverständlich hat die Türkei eine durch die Zollunion bedingte rechtliche Verpflichtung, ihre Häfen für den zyprischen Inselsüden zu öffnen.
Doch das ist eben nur die halbe Wahrheit, die gerne als die Ganze verkauft wird. Denn die türkischen Zyprer stimmten in einem 2004 getrennt abgehaltenen Referendum für den so genannten Annan-Plan, der die Wiedervereinigung Zyperns vorsah, während die griechischen Zyprer dagegen stimmten. Damit ist eine neue Realität entstanden.
Die Inselgriechen wurden unmittelbar danach mit der EU-Mitgliedschaft belohnt, die sie aufgrund ihres Vetorechts auch noch zum Richter über türkische EU-Ambitionen macht. Die türkischen Zyprer hingegen warten bis heute auf die per EU-Ratsbeschluss offiziell versprochene Aufhebung ihrer Isolation.
Zypern blockiert jedoch den bereits 2004 beschlossenen Direkthandel und die EU-Finanzhilfen für den Norden der Insel. Wer diese Seite des Problems nicht anerkennt, hat vermutlich ohnehin kein Interesse an einem EU-Beitritt der Türkei, dem dürfte der Zypernkonflikt sogar äußerst willkommen sein.
Für eine Lösung der Zypernfrage müssen sich alle beteiligten Parteien bewegen. Die jüngste Politik im griechischen Inselsüden unter Präsident Papadopoulos erinnert jedoch an eine Phase der Dunkelheit, wie zuvor der türkische Inselnorden unter Denktas erfahren musste.
Jüngste Beispiele für die Blockadehaltung des Südens gegen eine Annäherung der Konfliktparteien ist die Zensur des Films "Akamas" vom griechischen Zyprer Panicos Chrysanthou, der entlang einer Liebesgeschichte die Konflikte von den 1950er bis hin zu den 1970er Jahren erzählt:
die Verhinderung des bi-kommunalen Kunstprojekts der Internationalen Manifesta Stiftung, die Bedrohung ausländischer Stiftungen im Norden, die Verschärfung des Gesetzes im Rahmen des Eigentumsrechts, welches das Wohnen auf ehemals griechischem Eigentum im Norden mit einer Haft von sieben Jahren bestraft.
Eine endgültige Lösung des Zypernkonflikts kann nur unter Führung der Vereinten Nationen erreicht werden. Doch auch die deutsche Bundesregierung ist gefordert, sich während der Ratspräsidentschaft für eine Annäherung der Konfliktparteien einzusetzen.
Die türkische Regierung unter Ministerpräsident Erdogan hat sich mit ihrem jüngsten Vorstoß, einen Hafen für zyprische Schiffe zu öffnen, weit aus dem Fenster gelehnt. Denn innenpolitisch steht Erdogan durch das Militär und die Nationalisten – auch angesichts der bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen – erheblich unter Druck.
Welche Regierung in Ankara könnte es wagen, die Häfen für die griechischen Zyprer zu öffnen, ohne zugleich etwas für den türkischen Norden der Insel erreicht zu haben? Für die ohne Zweifel pro-europäische Regierung Erdogan wäre das politischer Selbstmord und würde letztlich nur die Nationalisten stärken. Das kann in Europa nur denjenigen gleichgültig sein, die einem Beitritt der Türkei ohnehin ablehnend gegenüber stehen.
Die europäische Erweiterungsdebatte ist derzeit vor allem durch innenpolitisches Kalkül und eine geradezu autistische Europapolitik geprägt. Dabei hat die EU mit gutem Grund die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschlossen – und zwar einstimmig.
Die Regierungschefs haben sich dabei nicht etwa von türkischem Interesse, sondern vielmehr von europäischem Interesse leiten lassen. Es geht um eine mehrheitlich islamisch geprägte, demokratische Türkei, die die Menschenrechte achtet, Minderheiten schützt und auf Basis politischer Stabilität auch wirtschaftlich prosperiert. Es ist offenkundig, dass eine solche Türkei auch im Interesse der EU ist.
Cem Özdemir
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