Die Stimme, der die Taliban lauschten

Matiullah Turab spricht während eines Interviews
Von Beruf Schmied: der Dichter Matiullah Turab (Foto: Screenshot/Afghanistan Cricket Board/YouTube)

Der afghanische Poet Matiullah Turab ist unerwartet verstorben. Über einen Mann, der sich als einfache Stimme eines gemarterten Volkes verstand – und dem selbst Extremisten Gehör schenkten.

Von Emran Feroz

“Von den Bürden meines Lebens
bin ich müde

Von meinen angehäuften Sünden
bin ich müde

Von der Reise, deren Weg so lange ist
Gib mir deine Hand nach der ich greife
bin ich müde”

Immer wenn Matiullah Turab solche Verse von sich gab, hörte das Publikum gebannt zu. In den letzten zehn Jahren wurde Turab zu den bekanntesten Dichtern Afghanistans. Er sprach einfach, ungeschönt und in einem harten, südöstlichen Paschto-Dialekt, den viele Menschen im Land gar nicht verstanden.

Das machte Turab allerdings keineswegs weniger beliebt. Denn Turab, der einfache Arbeiter aus einem bitterarmen Haushalt im mehrheitlich paschtunischen Osten Afghanistans, trug vor, was die meisten Menschen im Land fühlten. Und er sprach alle von ihnen an: Arme und Reiche, Religiöse und Säkulare, Islamisten und Nationalisten.

Dichtkunst hat in Afghanistan eine lange Geschichte. Die wohl berühmtesten Poeten des Landes sind Rabia Balkhi (10. Jh.), Jalaluddin Rumi (13. Jh.) oder auch der einstige Herrscher Ahmad Shah Durrani (18. Jh.), der als eine Art Gründungsvater des modernen Afghanistans betrachtet wird.

Die Poesie im Land war meist persophon. Auch paschtunische Herrscher wie Durrani oder nationalistische Intellektuelle wie der bekannte Abdul Hai Habibi, der in der Mitte des 20. Jahrhunderts wirkte, dichteten mehr auf Farsi als auf Paschto. Das hatte auch mit der kulturellen und sprachlichen Vermengung Afghanistans zu tun.

Viele Menschen hatten nicht die eine Muttersprache, sondern wuchsen zwei- oder gar dreisprachig auf. Dost Mohammad Khan (19. Jh.), ein weiterer König, der einst gegen die Briten kämpfte, sprach neben Farsi und Paschto auch Turkmenisch, eine Sprache, die er von seiner Mutter gelernt hatte, die der turkmenischen Minderheit angehörte.

Mohammad Zahir Shah (1914-2007), der letzte König Afghanistans, beherrschte hauptsächlich Farsi, während er die Sprache seiner paschtunischen Ahnen kaum verstand und ohnehin nicht einsehen wollte, warum man überhaupt erst in irgendeiner anderen Sprache dichten müsse als in jener Rumis.

Auf Kritik folgte Applaus

Später fand Poesie in allen politischen Lagern Afghanistans Anklang. Die afghanischen Kommunisten verbreiteten nationalistische und vermeintlich anti-imperialistische Lyrik. Die islamistischen Mudschaheddin-Rebellen schrieben Verse über ihren Kampf gegen die Rote Armee.

Später wurden auch die Taliban zu Dichtern und schrieben über den Märtyrertod, die Bomben und Drohnen des US-Militärs oder über ihre Zeit in den Foltergefängnissen von Bagram und Guantanamo. Umso weniger überraschend ist der Umstand, dass sich in all diesen Lagern auch die Bewunderer Matiullah Turabs finden lassen.

Turab, der ganz dem afghanischen Zeitgeist entsprechend alle Seiten für ihr Scheitern, ihre Korruption und ihr Blutvergießen kritisierte, wurde vom ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai (reg. 2001-2014) des Öfteren zum Dichten in dessen Palast eingeladen. Er kritisierte Karsai auf der Bühne – und erntete im Anschluss Applaus dafür. Ein Umstand, den er anfangs nicht verstand und der sich später auch unter den Taliban wiederholte.

Turab, der einst wie viele einfache Afghanen der islamistischen Mudschaheddin-Gruppierung Hizb-e Islami angehörte, kritisierte die Taliban immer wieder und meinte lange vor ihrer Rückkehr 2021, dass sie keine Lösung für das von Leid und Zerstörung geplagte Land parat hätten.

Doch bis zu seinem Tod wurde er von den neuen, alten Machthabern für seine Kritik nicht verhaftet, sondern respektiert. Intellektuellen in der Diaspora gefiel das nicht. Sie warfen Turab eine zu große Nähe zu den Taliban vor.

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Doch vielleicht hatte die Bewunderung der Taliban nicht nur mit den Inhalten von Turabs Poesie zu tun, sondern auch mit seiner Performance, seiner Sprache und seinem Charakter. Für viele war er nämlich nur ein einfacher, gottesfürchtiger Mann, der die Wahrheit sprach. Turabs Stimme klang hart und eisern und sie erinnerte in vielerlei Hinsicht an seinen echten Brotjob.

Der Dichter arbeitete jahrelang in der östlichen Stadt Khost in seiner Garage als Schmied und Handwerker. Und so wie er auf das Eisen schlug, so schlug er auch auf seine Wortwahl. Umso weniger griff Turab zur Feder, denn er war praktisch Analphabet. 

Vieles, was er vortrug, hatte er in seinem Gedächtnis gespeichert. Seine Gedichtbände, so heißt es, wurden von anderen Männern verfasst. Auch diese Tatsache verdeutlicht, dass Turabs Worte von Herzen kamen und vor allem in diesen Zeiten eine große Lücke hinterlassen werden.

Turab trug Vollbart und Pakolmütze und kam aus jener Gesellschaftsschicht, der auch viele Taliban-Mitglieder angehören. Auf Männer wie Turab hörten die Extremisten mehr als auf verwestlichte und privilegierte Künstler, die in den letzten Jahren mit Tausenden von Dollarn überschüttet wurden und sich bei der erstbesten Möglichkeit evakuieren ließen.

Auch das ist eine afghanische Realität, über die viel zu wenig gesprochen wird – und die in den nächsten Jahren in Afghanistan entscheidend sein wird.

 

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