Am Gängelband des Regimes
Die "Grüne Welle" des Aufbegehrens gegen die Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad 2009 ist im Schatten des anhaltenden Atomkonfliktes in Vergessenheit geraten. Bei den Schlagwörtern "Aufstand" und "Revolution" denkt man mehr an den Arabischen Frühling von 2011 als an den heißen iranischen Sommer des Jahres 2009.
Das Regime hat den Ruf nach Wandel erstickt, die Anführer der Reformbewegung unter Hausarrest gestellt, die freie Meinungsäußerung in Presse, Internet und Kunst noch stärker geknebelt.
Das iranische Kino, das über Jahre Kritikerpreise auf internationalen Festivals abräumte und die glaubwürdigste iranische Gegenstimme zum Regime darstellte, liegt in Trümmern. Ins Ausland abgedrängte iranische Cineasten versuchen, die Kulisse ihrer Heimat im Exil aufzubauen und so "iranische Geschichten" zu erzählen.
Viel Authentizität bleibt dabei auf der Strecke. Im Iran wird fast nichts Unabhängiges mehr produziert. Gegen führende Filmemacher wie Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof hat das Regime Arbeitsverbote verhängt.
Agenten und Verschwörer
Gleichzeitig hat das Regime nun einen aufwendigen Film produzieren lassen, in dem es sowohl das Sagen über diese Kunstform als auch die Deutungshoheit über die innenpolitischen Ereignisse rund um die Präsidentschaftswahlen 2009 quasi mit der Pistole im Anschlag zurückgewinnen will.
Die staatliche Werbetrommel preist den Film "Die goldenen Halsketten" (qalladehaye-tala) von Abu-l Qasem Talebi als "politischsten Film der iranischen Kinogeschichte" an. In den iranischen Kinos lief der plumpe Thriller bereits vor Monaten, jetzt ist er auch auf DVD herausgekommen. Wer wissen will, welche Geschichte das Regime dem eigenen Volk, dem es Zehntausende Kinofreikarten spendiert hat, erzählen will, kann sich kein besseres Lehrstück vorstellen.
Es geht um nichts anderes als die "Grüne Bewegung". In den "goldenen Halsketten" erscheint deren Protest nicht als authentisches Aufbegehren breiter Schichten gegen die autoritäre politische Kultur in der Islamischen Republik – und konkret gegen die umstrittene Wiederwahl Ahmadinedschads –, sondern als vom westlichen Ausland mit Hilfe von Spionen manipulierte Bewegung, die das Ziel verfolgt, Chaos im Land zu verbreiten und letztlich das Regime gewaltsam zu stürzen.
Dabei hat das verhasste Großbritannien die Federführung. Irans Geheimdienst und Polizei treten folgerichtig nicht als Unterdrücker, sondern als Retter der Nation in Erscheinung.
Bösewicht des Films ist ein Agent des britischen Geheimdienstes MI6. Aus der Sicht des Regimes verdichtet der Mann iranischer Herkunft in seiner Person "das Böse" auf die denkbar drastischste Weise.
Er stammt aus einer Flüchtlingsfamilie – "seine Eltern haben sich ins europäische Exil verirrt", erfährt der Zuschauer – und schloss sich zunächst der mit dem Erzfeind Saddam Hussein kollaborierenden oppositionellen Volksmudschahedin an. Von dort warben ihn die Briten ab und brachten ihm bei, wie man den Feind "an goldenen Halsketten" in die Richtung führt, in der man ihn haben will.
Der Agent wird kurz vor den Präsidentschaftswahlen in den Iran eingeschleust. Dort ist er Rädelsführer einer hochgeheimen, skrupellosen Zelle von Umstürzlern, die das Wahlduell zwischen Ahmadinedschad und Mussawi, dem Kandidaten der Reformbewegung, für ihre Zwecke nutzen will.
Der Spion und seine Helfershelfer
Als die Wahlen mit dem klaren Sieg Ahmadinedschads enden, mischen sich der Spion und seine Helfer als agents provocateurs unter die Demonstranten, werfen Brandbomben auf Fahrzeuge und Gebäude. So sorgen sie dafür, dass die Proteste in eine Gewaltorgie münden. Sie geben den Demonstranten die Parole "taghallob" – Fälschung – für die Sprechchöre vor.
Und auch vor Mord schrecken die Agenten nicht zurück. Sie erschießen eine Frau aus ihren Reihen, die Kontakt zur britischen Botschaft hatte, und schieben die Tat den Sicherheitskräften des Regimes in die Schuhe – eine Anspielung auf die bei den Unruhen getötete Studentin Neda Agha Soltan, die zu einer Ikone der "Grünen Bewegung" avancierte. Das Bild ihres blutüberströmten, leblosen Körpers, hingestreckt auf offener Straße in Teheran, ging im Juni 2009 um die Welt und wurde zum Symbol der brutalen Niederschlagung der Grünen Protestbewegung durch das Regime.
Der Propagandafilm kehrt nun die Vorzeichen um: Er stellt die Massendemonstrationen als Ergebnis einer gewieften Spionagetaktik des Westens dar. Die Demonstranten sind demnach ein wohlmeinender, aber irregeleiteter und naiver Haufen, der auf eine Zelle imperialistischer Agenten hereingefallen ist.
Am Ende des Films wird der Plan des westlichen Auslands wie zu erwarten durchkreuzt. Der Held, ein junger idealistischer Mitarbeiter der iranischen Spionageabwehr, schlägt den MI6-Agenten in die Flucht. Nebenbei säubert er den iranischen Geheimdienst, der von Spitzeln des Westens durchsetzt ist. Der Spuk ist vorbei.
Der Staatsstreich von 1953, als die CIA die Fäden zog, um den nationalistischen Premierminister Mosaddeq zu stürzen, ist Legende. Auf diese Erfahrung, die sich tief in das kollektive Gedächtnis der Iraner eingebrannt hat, baut die Islamische Republik mit ihrem propagandistischen Film auf.
Ironischerweise orientiert sich die Darstellungsform am billigsten Hollywoodkino: laut und direkt, kein Klischee wird ausgelassen. Insofern ist der Film künstlerisch ein Gegenentwurf zu den leisen Tönen und den allegorischen Erzählweisen des international erfolgreichen iranischen Kinos, das die Machthaber im Iran offenbar begraben wollen.
In "Die goldenen Halsketten" erscheint der frühere reformorientierte Präsident Khatami als Liebling und Marionette des Westens. Der Zuschauer erfährt, zu welch gefährlichen Zwecken Internet und soziale Netzwerke missbraucht werden können, wenn der Staat sie nicht genau kontrolliert. Der Bösewicht vom MI6 sucht seine Helfer unter den schlimmsten Feindbildern der Exilopposition: den Schah-Anhängern und den Volksmudschahedin.
"Radjawi ist überall"
Ein Monarchist und Englandfreund aalt sich auf seiner Luxusyacht im Bosporus und koordiniert von dort per Mobiltelefon den geplanten Staatsstreich, während er üppige Speisen und Wein serviert bekommt – von einer unverschleierten Frau. Eine Agentin erinnert in Aussehen und Diktion an Mariam Radjawi, die Anführerin der Volksmudschahedin, die sich vor Jahren in Paris von den Anhängern ihrer Politsekte zur „Präsidentin des Iran“ hat küren lassen. Es wird also einiges aufgeboten, um die Protestbewegung von 2009 zu diskreditieren.
Der syrische Präsident Baschar al-Asad wird wohl nicht mehr die Muße haben, einen solchen Film drehen zu lassen, um seine Version der syrischen Volkserhebung unter die Leute zu bringen. Die iranischen Machthaber führen vor, wie die Kultur in einer Diktatur aussieht, die den Aufstand niedergeschlagen hat: bleierner, dumpfer und zynischer als je zuvor.
"Das Bestürzende ist, dass viele Menschen im Iran die Botschaft des Filmes glauben", sagt ein Regisseur im Exil. Aber wohl nicht alle, zumindest nicht diejenigen, die 2009 auf die Straße gegangen sind. Genau dort kann sich der Hauptdarsteller des Films, Amin Haya'i, offenbar nicht mehr blicken lassen, ohne angefeindet zu werden, seit er die Rolle des MI6-Agenten gespielt hat.
Viele Menschen nehmen es dem wohl bekanntesten Kinostar und Schauspieler des Landes übel, sich für einen solchen Propagandastreifen hergegeben zu haben. In dieser Nachricht liegt ein gewisser Trost: die Protestbewegung scheint doch nicht ganz tot zu sein.
Stefan Buchen
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de