Ein Kommandant für Kriegszeiten
"Wir nehmen an, dass in der politischen Geographie der Welt eine Realität namens Amerika nicht existiert. Das ist unsere Hypothese und mit dieser Hypothese leben wir. Wegen dieser Ignoranz und Feindschaft könnt ihr von mir aus sterben." Zwar ist dieser Satz bar jeglicher politischer Vernunft und außerdem schon zwei Jahre alt, doch man muss ihn gerade heute ernst nehmen. Sogar sehr ernst, wenn man begreifen will, wohin die Welt sich bewegt. Denn der Mann, der diesen Satz einst sagte, wurde vor zwei Monaten von Ali Khamenei zum Chef der Revolutionsgarden ernannt.
Es war der 21. September 2017, als dieser wahnsinnige Satz als offizielle Antwort auf Donald Trump fiel. Zwei Tage zuvor hatte der US-Präsident vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Führung der Islamischen Republik als gesetzlose Bande bezeichnet, der sein Vorgänger Obama nie hätte vertrauen dürfen.
Nach dieser Rede Trumps hatte in den offiziellen Medien des Iran zwei Tage lang ein für iranische Verhältnisse merkwürdiges Schweigen geherrscht. Die Attacke war ungewöhnlich hart und in dieser Härte auch unerwartet gewesen. Denn die Teheraner Machthaber hatten während des US-Präsidentschaftswahlkampfs mehrmals zu verstehen gegeben, sie zögen Trump seiner Rivalin Hillary Clinton als Präsident vor. Und dann diese Hasstirade. Nach der zweitägigen Schockstarre schlug dann die Stunde von Hossein Salami, damals Vizekommandeur der iranischen Revolutionsgarden.
Eine Ernennung voller Symbolik
Und Salami enttäuschte nicht. Er war immer für pompöse Reden und übertriebene Sprüche bekannt. Deshalb nahm man weder ihn noch seinen Satz von Amerikas Nichtexistenz besonders ernst. Im Internet gibt es eine lange Liste von aberwitzigen Aussagen Salamis nicht nur über Israel, die USA und Europa, sondern auch über die "Konterrevolutionäre" im eigenen Land. Diese Sammlung soll ihn als Meister der leeren Parolen entlarven. Man nannte Salami auch den "Kommandeur der Schwätzer".
Doch die Zeiten solcher Verhöhnung sind nun vorbei. Salami hat die höchste Machtstufe erklommen. Seit dem 21. April dieses Jahres ist er der oberste Kommandant der iranischen Revolutionsgarden. Die Amtszeit seines Vorgängers General Jafari war noch nicht zu Ende, als Revolutionsführer Ali Khamenei Salami ernannte.
Und alle Beobachter fragten sich, was Khamenei vorhat, wenn er einen solchen Mann zu einer solchen Zeit zum Befehlshaber der mächtigsten und wichtigsten Institution des Landes macht – eine Zeit, die offensichtlich nur eine Richtung kennt: Eskalation und Krieg. Zwei Wochen vorher hatte Donald Trump die Revolutionsgarden zu einer terroristischen Organisation erklärt und neue und schärfere Sanktionen gegen den Iran angekündigt. Nun wird im Iran der lauteste und zumindest verbal radikalste Gardist zum Chef dieser Truppe, die ein Staat im Staate ist. Mehr noch: Die Revolutionsgarden sind der eigentliche Staat.
"Der Beginn der amerikanischen Niederlage"
Die Ernennung Salamis haben im Iran alle als das verstanden, was Khamenei mit ihr signalisieren wollte: als ein markantes Zeichen für eine bevorstehende Eskalation. "Ihre Ernennung ist der Beginn der amerikanischen Niederlage", schrieb General Mohammad Bagheri, Chef des Generalstabs der iranischen Armee, in seinem Glückwunschschreiben an Salami. Es sind nur zwei Monate seit diesem Schreiben vergangen. Eine amerikanische Niederlage ist zwar noch nicht in Sicht, doch ein Krieg mit den USA scheint möglich geworden. Dies hat nicht nur Trumps Politik verursacht, sondern auch die Unnachgiebigkeit Ali Khameneis, des mächtigsten Mannes des Iran und obersten Befehlshabers aller Streitkräfte.
Er hat in dieser Eigenschaft jegliche Verhandlungen mit Trump verboten. Unfruchtbar waren deshalb alle bisherigen internationalen Vermittlungsversuche. Weder der deutsche Außenminister Heiko Maas noch der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe haben in Teheran ein Umdenken bewirken können. Und Khamenei allein entscheidet, was in dieser gefährlichen Eskalationslage zu tun ist – der Abschuss der amerikanischen Drohne am vergangenen Donnerstag inklusive.
Weder Verhandlungen noch Krieg
Aber warum tut er das? Öffentlich erklärt Khamenei immer wieder, es werde keinen Krieg geben. Jeder, der behaupte, der Iran habe nur zwei Alternativen, Krieg oder Verhandlung, sei ein Verräter. Der Iran habe eine dritte Möglichkeit: Widerstand. Trump werde sich hüten, einen Krieg mit dem Iran anzuzetteln. Das ist seine offizielle Marschroute.
Der Weg, den der Revolutionsführer weise, sei der zu Größe und Unbesiegbarkeit, schrieb die Zeitung Javan, das Organ der Revolutionsgarden, vergangenen Sonntag. Das Morgengrauen des 20. April 2019 sei eine historische Wende in Asien, so die Zeitung weiter. Und jeder weiß, was damit gemeint ist: Es war der Zeitpunkt des Abschusses der Drohne.
Liest man die offiziellen Medien und hört den Entscheidungsträgern in Teheran zu, hat man den Eindruck, die Machthaber dort seien Gefangene ihrer eigenen Parolen. Als ob die Nichtexistenz Amerikas, von der Salami sprach, tatsächlich seine Handlungsmaxime und die seines Chefs Khamenei sei.
Außenminister Javad Zarif, der mehr als zwei Jahrzehnte in den USA lebte, kann sich nicht erlauben, von deren Nichtexistenz zu sprechen. Er hat andere Erklärungen parat: "Das 'B-Dreieck' war, ist und wird auch künftig an allem schuld sein, was geschieht. Es stand hinter Trumps Absicht, aus dem Atomabkommen auszusteigen, es ist für die Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran verantwortlich, es hat mit Sicherheit etwas mit den Attacken auf Öltanker im Persischen Golf zu tun und es wird die Hauptverantwortung für alles Schlimme tragen müssen, das möglicherweise bald im Nahen Osten geschieht", erklärte Zarif am 14. Juni, einen Tag nach den Attacken auf drei Öltanker im Persischen Golf. Benjamin Netanjahu, John Bolton und Mohammad Ben Salman seien die drei Schenkel dieses Dreiecks.
Doch seit dem Abschuss der US-Drohne ist dieses Dreieck nicht mehr brauchbar. Zarif muss sich ein neues und am besten eines mit noch mehr Ecken suchen. Aber ob der iranische Außenminister alles und alle überblickt, die einen Krieg mit dem Iran wollen? Und wenn ja: Hat er die Macht dazu, diesen zu verhindern? Zarif ist ein Kenner der USA und wie Trump twittert er unaufhörlich. Er gibt zu verstehen, er wolle reden. Doch er wird nicht ernst genommen – weder in Amerika noch in seinem eigenen Land.
Dicht am Abgrund
Zarif steht nun da, wo er niemals sein wollte. Und mit ihm stehen alle so nah am Abgrund, dass sie jeden Augenblick hinabstürzen können. Sie werden dabei gewollt oder ungewollt die Region mit sich in die Tiefe ziehen und die weltpolitische Konstellation erschüttern. Die Machthaber der Islamischen Republik sind Meister der Geheimdiplomatie. Das haben sie in ihrer vierzigjährigen Herrschaft bewiesen.
Doch die Zeiten haben sich offenbar geändert. Mit Trump sind sie an jemanden geraten, der die Bühne liebt. Er will Bilder. Und wenn es nicht eines mit Ali Khamenei, dem mächtigsten Mann in Teheran, ist, so doch zumindest mit Hassan Rohani, dem machtlosen Präsidenten des Iran.
Aber der Iran kann solche symbolischen Bilder, wie Trump sie sich wünscht, momentan nicht liefern. Zudem geht es mehr als um Symbolik. Es geht um Syrien, den Libanon, den Irak, um Jemen: um all das, was die Islamische Republik als ihre "strategische Tiefe" bezeichnet. Ein Ausdruck, den zuerst übrigens Hossein Salami benutzte, als er noch nicht Oberster Garde-Kommandant, sondern Professor an der Militärakademie der Revolutionsgarde war.
Ali Sadrzadeh