Laizistische Muslime

Viele Muslime in Frankreich fühlen sich vom religiös orientierten „Islamrat“ nicht vertreten. Sie haben sich nun zu Wort gemeldet und vor kurzem ihren eigenen "laizistischen Muslimrat" gegründet.

Von Lisa Huth

In Frankreich hängen keine Kreuze in Schulen oder im Gericht. In staatlichen, also öffentlichen Räumen, wird keine Religionszugehörigkeit manifestiert. Der Grund: Die Trennung von Kirche und Staat vor fast 100 Jahren. Religiöse Symbole öffentlich zu tragen, seien es Kreuz, Kippa oder Schleier, befremdet in einem Land, in dem es überhaupt nicht üblich ist, andere nach der Religion oder der Konfession zu fragen. Wer das dennoch tut, wird bezichtigt einen Staat im Staat bilden zu wollen.

Trennung von Kirche und Staat, das betraf damals die christliche Religion. 1905 gab es kaum Muslime in Frankreich. Heute stellen die 4-6 Millionen Muslime die zweitgrößte Religion im Land. Der Islam, das ist das Problem, hat eine andere Tradition. „Wenn man die Geschichte und den Korantext betrachtet, dann trennt der Islam nicht zwischen Politik und Religion", sagt Hannane Harrath, Doktorandin in Politik an der Sorbonne in Paris . Harrath sprach auf dem Gründungskongress des "laizistischen Muslimrates" in Frankreich .

Islamisierung der westlichen Welt

500 Privatleute und Mitglieder von Vereinigungen für soziale Rechte waren gekommen, darunter erstaunlich viele Frauen. "Laizismus" in Frankreich bedeutet nämlich auch, dass der Staat Meinungs- und Religionsfreiheit schützt sowie die kulturellen Unterschiede. "Wir sind in einer Falle, nicht nur wegen des Plans "Vigipirate renforce", sagt Nadja Amiri. Dieser Plan bedeutet eine verschärfte Überwachung von Flughäfen und Bahnhöfen. Den Plan gibt es seit den islamistischen Anschlägen der vergangenen beiden Jahrzehnte. Für alle, die arabisch oder muslimisch aussehen, bedeutet diese Überwachung einen Quell ständiger Erniedrigung. In der Tat, so eine weitere Teilnehmerin, nimmt der Islamismus zu, auch in Frankreich: "Wir erleben heute eine Islamisierung der westlichen Welt. Und wir, die wir an weitere Werte glauben als die der Religion, also an moderne, laizistische, demokratische Werte, wir sind hier um zu sehen, wie wir beides versöhnen können."

Hintergrund

Zahlen zum Hintergrund: der ebenfalls zum Kongress eingeladene christliche - Libanese Antoine Sfeir zeigte auf, dass in Frankreich, etwa genau so viele Katholiken praktizierend sind wie Muslime: etwa 10 Prozent, davon wiederum ist ein kleiner Prozentsatz fundamentalistisch - katholisch wie moslemisch. 90 Prozent aller Muslime in Frankreich sind nicht praktizierend, werden nicht auffällig wie die Jugendlichen in den Vorstädten, gehen einer Arbeit nach, ein gewisser Prozentsatz "hat es auch geschafft"."Dieser Kongress macht diejenigen sichtbar, die bislang unsichtbar waren, nämlich die Mittelklasse.Jetzt werden sie Bürgerrechte voll leben können."

Diese "schweigende Mehrheit" war vor einigen Wochen NICHT eingeladen, als Innenminister Sarkozy sein Projekt umsetzte, einen Islamrat zu gründen. Der neue Rat der laizistischen Muslime will ein Pendant zur Vertretung der Religion werden, eine Vertretung der Franzosen muslimischer Religion, nicht des Kultes. Abdallah Jaber, Präsident des nationalen Verbandes muslimischer Familien in Frankreich: "Die Christen sind gute Demokraten, die Protestanten, die Juden, warum sollen die Muslime nicht demokratisch sein und keine eigene Vertretung haben?"

Gegen Diskriminierung

Eine Vertretung, die gegen die Diskriminierung der Muslime auf politischem wirtschaftlichem und sozialer Ebene vorgehen will. Und eine Vertretung, die im Gegensatz zum offiziellen "Islamrat" und katholischen Bischofskonferenz auch Frauen als Mitglieder haben. Sie soll aber nicht nur eine politische Stimme sein für die bislang schweigende Mehrheit, die vorleben will, das Politik und Religion sehr wohl zu trennen sind, es gibt auch ein weiteres Ziel, so Sabrina Belkhiri-Fadel: "Ich appelliere an alle hier im Saal und auchdraußen in Frankreich, sich uns anzuschließen, damit wir bis zum Ende gehen können, damit wir in den politischen Instanzen vertreten sind, auch bei den Wahlen."

Belkhiri-Fadel ist Vizebürgermeistern in einer Gemeinde nahe Paris. Religion sei Privatsache, sagt sie so wie fast 100 Prozent der Franzosen. Frankreich als Wiege der Menschenrechte nun auch Wiege eines laizistischen Islams? 500 von 10.000 Vereinigungen in Frankreich haben sich dem Rat angeschlossen. Sollte die schweigende Mehrheit ihre Stimmegefunden haben, könnte dies eine Modell werden, auch für andere Länder.

Lisa Huth, © Deutsche Welle, 26. Mai 2003