Hetzern Paroli bieten
Am vergangenen Sonntag (28.7.2014) wollte ich eigentlich putzen, aufräumen und Staub wischen, so wie ich es von meiner Mutter gelernt habe. Am Vortag des Ramadan-Festes wird nämlich stets Reine gemacht. Das gehört zur Vorbereitung – wie auch das Zubereiten von Backwaren. Backen stand nicht auf meinem Programm, weil ich den ersten Tag des Festes keine Gäste empfangen, sondern heute zu meiner Familie nach Hannover fahre.
An jenem Sonntag habe ich mich dann aber noch mit etwas ganz anderem als mit dem Haushalt beschäftigt. Ich saß viele Stunden vor dem Computer, verfolgte Nachrichten und Reaktionen in den Sozialen Netzwerken und kommentierte selbst sehr viel. Weil mich empörte, wie Nicolaus Fest in der "Bild am Sonntag" (BamS) gegen uns Muslime und den Islam hetzte. Ungefragt ließ der "BamS"-Vizechef sich über eine Religion aus, der sich in diesem Land mehr als drei Millionen Menschen zugehörig fühlen: Der Islam sei frauen- und homosexuellenfeindlich, gewalttätig und integrationshemmend.
Welle der Empörung
Im Netz setzte daraufhin eine Welle der Empörung ein, vor allem von jungen Muslimen in Deutschland, die anders als ihre eingewanderten Eltern oder Großeltern es nicht schweigend hinnehmen, wenn sie oder ihre Religion beschimpft wird. Der Tenor der Kommentare: Nein, einen solchen Rassismus brauchen wir nicht zu importieren, Herr Fest. Den liefern Sie uns ja als "autochtoner" Deutscher in unmissverständlichen Worten!
Fest zeigte sich unbeeindruckt von diesem "Shitstorm", der auf seinen Kommentar folgte. Eine Reaktion erfolgte stattdessen Bild-Chefredakteur Kai Diekmann – zunächst via Twitter: "Nicolaus Fest ist kein Hassprediger! Seinen Kommentar heute halte ich für falsch."
Am Abend war dann auch auf Bild.de Diekmanns Distanzierung in seinem Kommentar mit der Überschrift "Keine Pauschalurteile über den Islam" zu lesen.
Unter Rechtfertigungsdruck
Über den Islam seien in den letzten Jahren viele gesellschaftlich wichtige Debatten geführt worden, heißt es darin. "Für Bild und Axel Springer gab und gibt es bei all diesen Debatten eine klare, unverrückbare Trennlinie zwischen der Weltreligion des Islam und der menschenverachtenden Ideologie des Islamismus", schrieb Diekmann. Und auch: "Wer eine Religion pauschal ablehnt, der stellt sich gegen Millionen und Milliarden Menschen, die in überwältigender Mehrheit friedlich leben".
Dass Diekmann in seinem Kommentar jedoch mit keinem Wort erwähnte, dass sein Kollege Nicolaus Fest dies ein paar Stunden zuvor via "Bild am Sonntag" getan hatte, sorgte einmal mehr für Empörung.
Und dass Diekmann bei Ozcan Mutlu, Bundestagsabgeordneter der Grünen, in einem Gast-Kommentar auf Fest antworten ließ, hat die Stimmung gewiss auch nicht verbessert. Angemessener wäre wohl eine Entschuldigung der Verantwortlichen des Mediums gewesen, waren sich viele Muslime einig, die den Kommentar von Mutlu gelesen hatten.
Eines steht fest: Es hat sich viel geändert hierzulande. Auch dank des Internets und der sozialen Netzwerke, über die sich Muslime ein eigenes Sprachrohr geschaffen haben, weil sie in den Mainstream-Medien zu wenig Raum für ihre Sicht der Dinge bekommen. Immer mehr Muslime melden sich zu Wort, ihre Reaktionen bleiben nicht folgenlos.
Alltäglich erfahrener Rassismus
Von den Diskussionen im Netz hat meine türkischstämmige Nachbarin aber nichts mitbekommen. Sie gehört nämlich zu den Muslimen, die zwar hier leben, aber am Leben hier nicht wirklich teilnehmen. Meine Nachbarin ist eine sehr religiöse Frau. Sie ist mit 48 Jahren so alt wie ich, kam aber anders als ich nicht als Kind nach Deutschland, sondern als Erwachsene hierher. Mit ihr hatte ich, als ich mir am späten Sonntagnachmittag (27.7.2014) eine Pause von der Arbeit am Computer verordnet hatte, einen kleinen Plausch am Gartenzaun: Sie sprach davon, wie erschöpft sie von der Hausarbeit am Vorabend des Ramadan-Festes sei. Und sie erzählte, dass sich bei ihr – anders als sonst am Vorabend des Festes – keine Freude aufkomme. Sie sei sehr traurig wegen der vielen Menschen im Gazastreifen, die den höchsten muslimischen Feiertag im Kriegszustand verbringen müssten.
Von meinem Gemütszustand habe ich ihr nichts erzählt. Dass ich den ganzen Tag über Medienberichte verfolgte, kommentierte, auf Postings antworte, weil ich empört war über den via "Bild am Sonntag" verbreiteten Rassismus – all das hätte meine Nachbarin nicht verstanden. Ablehnung zu erfahren gehört zu ihrem traurigen Alltag, das erlebt sie als Kopftuchträgerin immer wieder – angefeuert durch Pauschalurteile, wie sie unter anderem das Massenblatt verbreitet.
Neues Selbstbewusstsein
Dass sich just am Vortag des Ramadan-Festes ein Journalist der Bild-Chefredaktion erlaubt, über Muslime in Deutschland herzuziehen und eine Grundsatzdebatte über die Integrationsfähigkeit von Menschen muslimischen Glaubens anzuzetteln, das hätte früher höchstens die Funktionäre der islamischen Verbände dazu veranlasst, Kritik via Pressemitteilungen zu üben – und dies erst nach einigen Tagen der Verzögerung.
Doch heute ist das anders! Von solcher Hetze erfahren viel mehr Muslime als zuvor und sie wird auch nicht mehr schweigend hingenommen.
Eines steht nämlich auch fest: Meine türkischstämmige Nachbarin, eine fromme Frau, die regelmäßig in die Moschee geht, bei jeder Gelegenheit den Koran liest, aber keine deutschsprachigen Medien verfolgt, gehört zu der Gruppe von Muslimen, die immer mehr zur Minderheit in diesem Land wird. Die Aktivitäten im Netz gestern sind bestes Beispiel dafür, wie sehr Muslime integriert und Teil dieser Gesellschaft sind.
Am vergangenen Sonntag (28.7.2014) wurde einer der höchsten islamischen Feiertage begangen. Zu diesem Anlass wäre in der "BamS" eine Grußbotschaft angebracht gewesen und keine rassistischen Äußerungen. Ich richte von hier aus das Wort an sie: Gesegnetes Fest! Eid Mubarak! Bayramınız kutlu olsun!
Canan Topçu
© Qantara.de 2014
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Canan Topçu, Jahrgang 1965, ist türkischstämmige Journalistin und Autorin und lebt seit 1973 in Deutschland.