Der Islam in Europa zwischen den Weltkriegen

Bereits in den 1920er Jahren wurde in einigen europäischen Ländern kontrovers über Möglichkeiten einer "Europäisierung des Islams" diskutiert. Ein Thema unter vielen bei dem Workshop "Der Islam in Europa in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen" in Paris.

Goetz Nordbruch war dabei.

Foto: Deutsches Historisches Museum
Kriegspolitische Instrumentalisierung des Islam: Kaiser Wilhelm II. auf Staatsbesuch in Konstantinopel

​​Der Workshop "Der Islam in Europa in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen", der vom Institut d’Etudes de l’Islam et des Sociétés du Monde Musulman (IISMM) und der Forschungsgruppe Etudes Turques et Ottomanes des Centre Nationale de la Recherche Scientifique (CNRS) in Paris organisiert wurde, machte die Parallelen zu vergangenen Kontroversen in der Zwischenkriegszeit deutlich.

Während sich die bisherige Forschung zur Geschichte des Islam in Europa weitgehend auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beschränkte und die Situation der muslimischen Einwanderer aus den ehemaligen europäischen Kolonialreichen und aus der Türkei in den Blick nahm, gibt es zur Situation der Muslime in den 1920er und 1930er Jahren in den Ländern des Balkans, aber auch in Mittel- und Westeuropa kaum umfassende Studien.

Kopftuchverbot als Signal der Modernisierung

Gerade aus heutiger Perspektive sind die Ergebnisse der Forschungen, die während des Workshops vorgestellt wurden, erstaunlich. So zeigte Nathalie Clayer (CNRS, Paris) in ihrem Überblick über die Auseinandersetzungen im überwiegend muslimischen Albanien der 1920er Jahre, wie bereits zu jener Zeit die Frage des Kopftuches einen offenen Konflikt zwischen dem "nicht-religiösen" Selbstverständnis des albanischen Staates und einzelnen islamischen Strömungen begründete.

Das endgültige Verbot des Kopftuches im Jahr 1937 war dabei ebenso wenig wie die Einführung eines laizistischen Personenstandsrechts oder die Abschaffung von islamischen Schulen allein innenpolitischen Überlegungen geschuldet. Die Maßnahmen verstanden sich ausdrücklich auch als außenpolitische Signale, die eine Modernisierung des Landes verkünden sollten.

Ähnliche Debatten in Griechenland über die Einführung des lateinischen Alphabetes in islamischen Schulen, die unter dem Einfluss der kemalistischen Reformen in der Türkei forciert wurde, aber auch um islamische Bestattungen in Frankreich verweisen auf die Spannungen, die sich während und nach dem Ersten Weltkrieg zwischen den muslimischen und nicht-muslimischen Bevölkerungen in Europa entwickelten.

Deutlich wurde in den Beiträgen allerdings auch, dass sich diese Konflikte bereits in den 1920er Jahren nicht auf eine Konfrontation zwischen nicht-muslimischer Bevölkerungsmehrheit und muslimischer Minderheit beschränkten.

Die zum Teil widersprüchlichen Fatwas, die von islamischen Gelehrten zum Kopftuch, aber auch zu Fragen der Loyalität gegenüber der muslimischen Gemeinschaft und dem Nationalstaat erlassen wurden, verweisen auf die tiefen Brüche, von denen die muslimischen Bevölkerungen selbst gezeichnet waren.

Kriegspolitische Instrumentalisierung des Islam

Wichtiger noch als diese Beschreibungen eines innerislamischen Pluralismus waren die Ergebnisse hinsichtlich vergangener Versuche der nicht-muslimischen Mehrheitsbevölkerungen, den Islam zu "domestizieren", wie es in einem Beitrag pointiert formuliert wurde.

Der von Michel Renard (Université de Paris VIII) für Frankreich nachgezeichnete Versuch, mit der Institutionalisierung des Islam beispielsweise durch den Bau der Pariser Moschee in den 1920er Jahren eine polizeiliche Kontrolle der Muslime zu erwirken, steht ebenso wie die von Wolfgang Schwanitz (Deutsches Orient Institut, Hamburg) beschriebene kriegspolitische Instrumentalisierung des Islam in Deutschland für innen- und außenpolitische Erwägungen, von denen die staatliche Islampolitik der europäischen Staaten bereits in jener Zeit geprägt war.

Während in Frankreich eine Entpolitisierung des Islam verfolgt wurde, orientierte sich die während des Ersten Weltkrieges in Deutschland entwickelte Konzeption eines "Euro-Islam" daran, die Muslime im kolonialen Hinterland der europäischen Kriegsgegner zum Dschihad gegen die Kolonialherrschaft anzustacheln.

Islampolitik paternalistischer Prägung

Ohne dass der aktuelle Bezug dieser historischen Forschungen während der zweitägigen Veranstaltung offen thematisiert wurde, drängte er sich in zahlreichen Beiträgen geradezu auf.

Das Scheitern einer Politik des "Paternalismus und der polizeilichen Kontrolle", von der die französische ebenso wie die deutsche Islampolitik bereits in den 1920er Jahren geprägt war, wirft wichtige Fragen hinsichtlich heutiger Verhältnisbestimmungen zum Islam in Europa auf.

Die Diskussionen um die Einrichtung eines Muslimischen Rates in Frankreich oder die deutsche Debatte um die Einführung von islamischem Religionsunterricht in staatlichen Schulen lassen sich in diesem Licht um wichtige Argumente ergänzen.

Die Tatsache allerdings, dass seit Beginn der 1920er Jahre in Europa fortwährend sowohl unter Muslimen als auch unter Nicht-Muslimen kontrovers über Möglichkeiten einer "Europäisierung des Islams" diskutiert wird, könnte dazu beitragen, dieses Projekt selbst endgültig in Frage zu stellen.

Als Objekt, vor allem aber auch als Akteur ist der Islam schließlich bereits seit Jahrzehnten wesentlicher Teil kultureller und politischer Auseinandersetzungen, die um das europäische Selbstverständnis geführt werden.

Goetz Nordbruch

© Qantara.de 2004