Die Verbändegesellschaft ist der Schlüssel
Wie sieht die islamische Lobby in Deutschland aus?
Wolf Ahmad Aries: Die islamische Lobby versucht in kleinen Gesprächen und am Rande von Konferenzen, durch Doppelmitgliedschaften in Verbänden und anderen Institutionen, also immer dort, wo sich eine Möglichkeit bietet, das Thema Islam anzusprechen.
Dabei geht es um das Vermitteln von Fakten, darum, Entwicklungen zu erläutern, Zusammenhänge zu erklären sowie Konferenzen, Symposien bzw. Gespräche zwischen Funktionsträgern der islamischen Verbände mit Entscheidungskräften der Politik und des gesellschaftlichen Lebens anzuregen.
Hierbei gilt es, Vertrauen aufzubauen, um so Koalitionspartner zu gewinnen, denn die Muslime in diesem Lande werden stets eine Minderheit bleiben, die zum Durchsetzen ihrer Interessen Partner brauchen. Ich mache dies seit dreißig Jahren.
Sie gehören zu den erfahrensten muslimischen Lobbyisten in Deutschland. Seit Beginn der 70er Jahre haben Sie versucht, eine muslimische Lobby-Arbeit aufzubauen. Viel Einfluss scheint diese Lobby nicht zu haben. Woran liegt das?
Aries: Das große Problem, das die muslimische Minderheit in Deutschland hat, ist, dass die geeigneten Vorraussetzungen nicht geschaffen werden. Das liegt zum großen Teil daran, dass diejenigen, die nach Deutschland zum Studium kommen, solche Fächer wählen, die ein großes Verdienst in Aussicht stellen, aber nicht diskursfähig machen.
Man studiert Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Medizin, vielleicht noch Jura, aber genau dort, wo die Fähigkeit zum Diskurs erworben wird, auch zum Aufbauziel einer Lobby – nämlich in den Sozialwissenschaften – diese Fächer werden nicht gewählt, so dass uns die Expertise zur Führung des Diskurses in einem hohen Maß fehlt. Das wird jetzt mit der jüngeren Generation nach und nach aufgebaut werden.
Das heißt, man braucht eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Einbindungen in die Verbändegesellschaft, um daraus etwas gezielt für den Islam tun zu können. Also …, man ist im Fußballverein und spricht über Sport in der türkischen Mannschaft der Moschee XY.
Oder man ist als engagierter Kommunalpolitiker in einer bestimmten Partei und trifft dort bei einer Veranstaltung einen Vertreter des höheren Außenparteibereiches oder der Verwaltung und sagt: Ich bin Muslim und habe eine Frage. Auf diese Art und Weise kann man eine Lobby aufbauen. Das fehlt bisher im breiten Stil.
Wenn man in einer Verbändegesellschaft lebt – wie in der deutschen Gesellschaft und wie in allen modernen Gesellschaften – muss man Mitglied sein in einem Berufverband, in einer Partei, im Moscheeverein, im islamischen Verband. Wenn man ein Musikinstrument spielt, sollte man möglicherweise am nächsten Konzert teilnehmen. Oder man sollte sich in Vereinen wie im Lions- und Rotary-Club engagieren. Auf diese Art und Weise kann man viele verschiedene Kontakte aufbauen.
Welchen Nachholbedarf gibt es bei den islamischen Verbänden in Deutschland?
Aries: Es müssen islamische Strukturen in den 16 Bundesländern aufgebaut werden. Es sollte einen juristischen und einen politischen Partner in jedem Land geben. Aber die Muslime wollen das nicht. Sie wollen Zentralismus, keinen Föderalismus.
Die Erfahrung mit Lobby-Arbeit ist nicht etwas, das man von heute auf morgen bekommt. Dazu gehören viele kleine Gespräche und manchmal ein Abendessen dazu, und manchmal das Abklappern von Empfängen der Botschaften.
Es gehört auch der Besuch eines Vortrages dazu, bei dem man weiß, dass es dort andere Leute gibt, die man ansprechen kann. Für diese Lobby-Arbeit bezahlt niemand etwas, und man wird dafür nicht belohnt.
Interview: Sherin Fahmy
© Qantara.de 2006
Herr Ahmad Aries ist seit fast zwanzig Jahren Lehrbeauftragter in Paderborn, seit etwa zehn Jahren in Kassel und einige Jahre in Bielefeld.
Qantara.de
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