Eine neue Dimension der Gewalt
In Thailand wächst die Angst vor jungen Islamisten: In den südlichen Provinzen kommen täglich Menschen bei Überfällen ums Leben. Dabei kämpfen die jungen Islamisten, nach Ansicht von Menschenrechtlern nicht für die Autonomie der Region Pattani, sondern für einen selbst erklärten Jihad. Henriette Wrege informiert
In Thailand gehört Gewalt zum Alltag, erklärt der Menschenrechtsaktivist Farish Noor. Der Politologe vom Zentrum Modernen Orient in Berlin beschäftigt seit langem mit den Unruhen im Süden Thailands. Seit Januar 2004 sind ungefähr 800 Menschen getötet und über 1000 verletzt worden. In den Provinzen nahe der Grenze zu Malaysia versuchen Armee und Polizei mit 20 000 Mann Frieden zu schaffen.
Krieg an zwei Fronten
Diesem Einsatz werden vor allem Unbeteiligte zum Opfer fallen, meint Farish Noor. Als er vor einigen Jahren Premierminister Thaksin an die Macht kam, habe er sich vorgenommen, die beiden größten Bedrohungen für die thailändische Sicherheit zu beseitigen: die Zerstörung des Drogenkartells in Thailand und den Aufstand der Muslime im Süden Thailands.
Beim Kampf gegen die Drogenmafia, bei dem mehrere Tausend Menschen ums Leben gekommen seien, protestierten nur die Medien und Menschenrechtsgruppen gegen die gewaltsamen Übergriffe der Regierung, so Noor. Danach habe sich Thaksin dem Süden zugewandt:
"Im Süden leben sehr viele Muslime", erklärt der Politologe und Menschenrechtsaktivist, "dabei handelt es sich einfach nur um normale Staatsbürger und nicht um Kriminelle. Außerdem ist der Süden die Hochburg der oppositionellen demokratischen Partei."
Ins Visier von Polizei und Armee sind die Religionsschulen - die "Madrassas" - in Pattani geraten. Im Oktober vergangenen Jahres wurden sechs Lehrer der "Madrassa" unter dem Vorwurf verhaftet, in ihrer Religionsschule würden die jungen Kämpfer ideologisch auf den Heiligen Krieg gegen die buddhistische Mehrheitsbevölkerung Thailands vorbereitet. Bei einer Mahnwache vor der Polizeiwache, in der die Lehrer festgehalten wurden, kamen 86 Demonstranten ums Leben.
Der Tod so vieler friedlicher Menschen schockierte die muslimische Bevölkerung, erklärt Farish Noor. Die "Madrassas" seien alles andere als Rekrutierungszentren für islamistische Fanatiker:
"Alles, was wir darüber hinaus wissen, ist, dass das eine lokale Angelegenheit im Süden Thailands darstellt. Was wir noch wissen ist, dass in den "Madrassas" in dieser Gegend ein sehr moderater, traditioneller Islam gelehrt wird. Die im Süden Thailands lebenden Malayen wollten nie den arabisch geprägten Islam übernehmen. Deshalb hatten auch die mit arabischem Geld finanzierten Programmen in Pattani nie Erfolg."
Gegen wahabitische Einflüsse
Die thailändischen Muslime stünden auch dem saudi-arabischen Wahabismus kritisch gegenüber. Der Islam, der in den "Madrassas" gelehrt wird, könne vielleicht als konservativ oder unmodern gelten, niemals aber als gewalttätig, so Noor.
Die Region Pattani galt schon seit Jahren als "rechtsfreier Raum". Der tropische Regenwald diente früher malayischen Kommunisten als Unterschlupf und im Dschungel versteckten sich ebenfalls die Separatisten in den 60er und 70er Jahren.
Außerdem gibt es wohl kaum eine Region in Thailand, in der die Dichte an Geheimdienstmitarbeitern so hoch ist wie in Songkhla, Pattani und Yala. Trotzdem steht die Regierung dem Phänomen dieser unabhängig voneinander operierenden, gewalttätigen Zellen machtlos gegenüber.
"Am Anfang, speziell nach dem Bombenanschlag auf Bali, gab es viele Spekulationen darüber, woher diese Gruppen kommen und wer sie finanziert", berichtet Noor. "Die Aktivisten der 60er und 70er Jahre waren Separatisten, die für die Unabhängigkeit Pattanis kämpften. Aber die heutigen Militanten haben völlig andere Ziele. Sie sind in der Regel noch nicht einmal 20 Jahre alt, sie alle sind thailändische Staatsbürger, und es gibt keine Hinweise auf eine externe Finanzierung."
Blindwütiger Terror gegen die Zivilbevölkerung
Im Gegensatz zu den Separatisten, die für eine autonome Provinz Pattani kämpften und vor allem gegen Militär und Polizei vorgingen, töten heute die extrem militanten, aggressiven jungen Islamisten ihre Nachbarn. Das Neue an der Gewalt im Süden Thailands ist, dass unbeteiligte Zivilisten, Ladenbesitzer, arme Bauern, Lehrer und buddhistische Mönche wahllos umgebracht werden.
"Der Süden Thailands ist sehr arm und hat eine lange Tradition von Korruption und Machtmissbrauch durch lokale Eliten, Armee und Polizei. Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung", sagt Farish Noor. "Das hat dafür gesorgt, dass die Bevölkerung der Regierung ziemlich feindlich gegenübersteht. Die Menschen in der Gegend haben das Gefühl, in ihrem eigenen Land wie Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden."
Vor diesem Hintergrund ist Noors Hauptsorge, dass die Situation weder besser noch schlechter wird, sondern dass alles so weiter geht wie bisher: Kein Tag ohne Mord und Totschlag, kein Tag ohne Überfall im Süden Thailand."
Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Bevölkerung gelernt hat, nichts zu sehen, nichts zu hören und Geheimnisse für sich zu behalten - egal ob es um Drogenhandel, Geheimdienstoperationen oder Terrorismus geht.
Henriette Wrege
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005
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