Labiler Frieden droht zu brechen
Es habe keine Unruhen gegeben, auch von Spannungen mit dem Islam habe sie noch nie etwas gehört, und überhaupt, im Fergana-Tal sei alles friedlich, sagt Muhiba Jakubaba, die Bürgermeisterin der tadschikischen Bezirkshauptstadt Isfara.
Beobachter der OSZE erzählen eine andere Geschichte. In den vergangenen Jahren sei es in der Oasenstadt Isfara immer wieder zu Streit zwischen den Behörden und Islamisten gekommen. Als acht Imame von der Stadtregierung abgesetzt wurden, weil sie Mitglieder in der "Partei der Islamischen Wiedergeburt" waren (was laut Verfassung verboten ist), sei es zu gewaltsamen Ausschreitungen mit zahlreichen Toten gekommen.
Erst der Besuch des Präsidenten Emomali Rahmonov und der Einsatz der Sicherheitskräfte habe die Lage beruhigt. Ja, Emomali Rahmonov sei in Isfara gewesen, soviel gibt auch Muhiba Jakubaba zu, der Grund aber sei gewesen, dass der Präsident die Gärten der Stadt liebe.
Machtbeteiligung der Islamisten
Bürgermeisterin Jakubaba hat allen Grund, vorsichtig zu sein. Das Fergana-Tal, das seine Bewohner "Paradies der Welt" nennen, ist eine unruhige Gegend. Noch unter Gorbatschow forderten Prediger in den Moscheen des Tals die Einführung der Scharia, des islamischen Rechts.
Als nach der Unabhängigkeit 1991 die Islamisten nach der Macht griffen, riefen die alten Kader russische Panzer zur Hilfe. Die beherrschten zwar die Ebene, doch die islamischen Fundamentalisten verschanzten sich in den schwer zugänglichen Bergen. Tadschikistan versank für Jahre in einem blutigen Bürgerkrieg, der 100.000 Menschen den Tod brachte.
Der Konflikt endete 1997 mit der Regierungsbeteiligung der Islamisten. Die aber haben sich mittlerweile gespalten: Während ihre gemäßigten Führer an den Annehmlichkeiten der Macht Gefallen gefunden haben, kämpfen die jungen Radikalen für ein Kalifat, einen Gottesstaat in Zentralasien.
Nach dem Bolschewismus kommt der Koran
So ist das Fergana-Tal Rückzugsraum für militante Islamisten geblieben. Die künstlichen Grenzen, die einst Stalin zwischen Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisistan ziehen ließ, zerstückeln das Tal im Schatten der gewaltigen Hochgebirgsketten des Tian Shan und des Alay.
Das Gebiet, in dem knapp zehn Millionen Menschen leben, ist von einer Staatsmacht kaum zu kontrollieren, religiöse Eiferer wechseln trotz strenger Grenzkontrollen unbemerkt über versteckte Pässe zwischen den Ländern hin und her. Ihre Anhängerschaft wächst stetig. Die Prediger füllen mit dem Koran das weltanschauliche Vakuum nach dem Bolschewismus.
Wirtschaftlicher Verfall
Mit dem Zerfall der Sowjetunion tun sich die Mächtigen immer noch schwer. In Chudschand, der größten Stadt im tadschikischen Teil des Fergana-Tals, sitzt Abduchakim Scharipow in einem alten Bezirksamt, dessen Eingang weiter Hammer und Sichel schmücken.
Wenn der Politiker, zuständig für "gesellschaftliche Kontakte", während des Gesprächs in seinem Büro aus dem Fenster schaut, grüßt ihn Lenin von seinem Sockel. Überall in der Stadt stehen die Helden der Arbeiterklasse auf ihren angestammten Plätzen. In Chudschand scheint die Zeit irgendwann in den achtziger Jahren stehen geblieben zu sein.
"Wir erinnern uns gerne an unsere Geschichte", bestätigt Scharipow. "Moskau hat unser Land industrialisiert." Mit bis zu einer Milliarde Dollar jährlich unterstützte die Sowjetunion die Republik.
Heute haben die meisten veralteten Fabriken geschlossen. Tadschikistan verfügt zwar über Rohstoffe wie Öl und Kohle, aber nicht über die finanziellen Mittel, um seine Schätze abzubauen.
Der monatliche Durchschnittslohn liegt bei 20 Dollar. Viele Jugendliche sind ohne Job. Eine Katastrophe für ein Land, in dem fast die Hälfte der sechs Millionen Menschen unter 30 Jahre alt ist.
Als würde er den Stand eines sowjetischen Fünf-Jahres-Plans vorstellen, rattert Scharipow Zahlen herunter, so als ob ihre bloße Nennung das Land heilen könnte. Doch manche der neuen Technischen Hochschulen existieren nur auf dem Papier, hinter den vermeintlichen Joint-Ventures mit ausländischen Unternehmen stehen meist bloß vage Absichtserklärungen.
Das Land blutet aus. Die Männer versuchen, Arbeit in Russland zu finden. Die Last tragen die Frauen und Kinder. Die Analphabeten-Rate steigt, weil die Kinder nicht mehr in die Schule gehen. Immer wieder verbrennen sich verzweifelte Frauen auf den Plätzen der Dörfer, weil ihre Männer sie verlassen haben.
Islamisten erhalten Zulauf
Von der desolaten Lage profitieren die Islamisten. Die verbotene islamistische Partei Hisb al-Tahrir gewinne jeden Monat neue Anhänger dazu, sagt Bobojon Ikromov. Der Herausgeber der Zeitung "Varorud" (Tadschikisch für "Hinter dem großen Fluss") hat zum Gespräch in den Garten vor der kleinen Redaktion im Zentrum von Chudschand eingeladen.
In den letzten zwei Jahren mussten die sieben Redakteure des Wochenblatts acht Mal umziehen, weil Strom und Wasser abgestellt wurden. Wer in Tadschikistan nicht die offizielle Meinung aus dem Präsidentenpalast in der Hauptstadt Duschanbe teilt, kann froh sein, wenn er überhaupt seine Zeitung veröffentlichen darf.
Ikromov ist kein Anhänger der Islamisten, trotzdem kritisiert er das Vorgehen des Staates. "Allein der Besitz eines Flugblatts von Hisb al-Tahrir bringt dich für fünf Jahre ins Gefängnis", sagt Ikromov. "Solche absurden Maßnahmen machen die Islamisten zu Märtyrern."
Es sei schwierig, sichere Zahlen zu nennen, da Hisb al-Tahrir sich in voneinander unabhängigen Zellen von maximal fünf Männern organisiere. Ikromov aber schätzt, dass allein im tadschikischen Teil des Fergana-Tals Hisb al-Tahrir 10.000 Mitglieder hat:
"Die Organisation wird aus den Golfstaaten finanziell unterstützt. Jedes Mitglied erhält zwischen 20 und 50 Dollar im Monat." Viel Geld in einem Land, in dem Lehrer und Ärzte monatlich zwischen 2 bis 7 Dollar verdienen.
Kontakte zu al-Qaida?
Aber nicht nur die soziale Not treibt den Radikalen Anhänger zu. "Die Islamisten geben den Leuten ein Ziel, für das sie sich einsetzen", sagt Ikromov, "ein Kalifat mit dem Zentrum im Fergana-Tal."
Bisher hat Hisb al-Tahrir immer erklärt, dieses Ziel ohne Waffengewalt erreichen zu wollen. Auch internationale Beobachter im Fergana-Tal geben zu, dass Hisb al-Tahrir bisher keine Terroranschläge nachgewiesen werden konnten.
Doch seit die Regierung die Religionsfreiheit einschränkt und die Moscheen strenger überwacht, radikalisieren sich die Forderungen der Islamisten. Tatsächlich warnen vor allem amerikanische Terror-Experten davor, dass einzelne Gruppen von Hisb al-Tahrir Kontakte zum Netzwerk von Al-Quaida unterhalten könnten.
Labiler Frieden droht zu brechen
Solche Spekulationen liefern Emomali Rahmonov, dem Mann, der die Gärten von Isfara liebt, den passenden Vorwand, schärfer gegen islamistische Gruppen vorzugehen. Seit 1994 ist der frühere kommunistische Funktionär Präsident von Tadschikistan.
Zwar hat er den Friedensvertrag von 1997 unterzeichnet, doch das Verhältnis zwischen der säkularen Staatsmacht und den Islamisten blieb auch nach dem Bürgerkrieg angespannt. Seit Rahmonovs Sicherheitskräfte mit Verhaftungen und Verboten gegen Hisb al-Tahrir vorgehen, droht der labile Frieden zu brechen.
Vorbild in der Nachbarschaft ist Usbekistan, wo unter dem Deckmantel des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus tausende Islamisten ohne Prozess im Gefängnis sitzen, und Organisationen wie Human Rights Watch brutale Foltermethoden und staatliche Schauprozesse kritisieren.
Bisher hat die staatliche Verfolgung den Islamisten in Usbekistan nur neue Anhänger verschafft. Und die Lage spitzt sich weiter zu, wie die Bombenanschläge auf die amerikanische und israelische Botschaft in Taschkent vom Juli 2004 zeigen.
'Kampf gegen den Terrorismus'
Journalist Ikromov fürchtet, dass Tadschikistan einen ähnlichen Weg gehen werde. Der Staat wolle mit den Islamisten aufräumen. Solange der Westen aber sämtliche Mittel entschuldige, weil sie ja im Kampf gegen den Terrorismus angewendet würden, drohe das Schlimmste. "Die Lage erinnert mich an die Zeit vor dem Bürgerkrieg", sagt Ikromov.
In Isfara verläuft die Front schon jetzt quer durch die Moschee. Während der Imam seine Gebete spricht, beobachten zwei Polizisten die knienden Gläubigen. Das habe alles seine Richtigkeit, versichert Bürgermeisterin Muhiba Jakubaba. Die Polizisten regelten in den unbelebten staubigen Gassen vor der Moschee den Verkehr.
Tobias Asmuth
© Qantara.de 2005