Spagat zwischen Demokratisierung und Islamisierung

Welche Rolle spielt der Islam in Zentralasien? Wie weit ist der Prozess der Demokratisierung fortgeschritten und welche Rolle kommt der EU dort zu?

Interview von Tobias Asmuth

Georgien, Ukraine, Kirgistan – passt die Tulpenrevolution von Bischkek tatsächlich in diese Kette?

Reinhard Krumm: Eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen der Ukraine und Kirgistan ist die Tatsache, dass der Umsturz durch Wahlen ausgelöst worden ist. Der Ausschluss von Kandidaten und die Förderung der eigenen Kinder durch Präsident Askar Akajew war selbst für die politisch nicht sonderlich interessierte Bevölkerung ein allzu simples Manöver. Das gefügige Parlament sollte - so wohl die Idee - dem Präsidenten die in der Verfassung nicht vorgesehene dritte Amtszeit ermöglichen, akzeptieren.

Eigentlich aber erklärt dieser Ansatz nicht viel, weil er zu politisch ist. Das wurde auch nach der Revolution schnell deutlich. Die Oppositionsparteien verfügen bis auf wenige Ausnahmen über kein wirkliches politisches und wirtschaftliches Programm. Sie sind von den Ereignissen selbst überrascht worden.

Wo liegen dann die tieferen Ursachen für den Umsturz?

Krumm: Die wirtschaftliche und soziale Lage spielt eine herausragende Rolle. Tatsächlich ist es so, dass es dem Land seit Jahren schlechter geht. Besonders der Süden leidet Not. Hier hat sich viel Unmut aufgestaut, und es überrascht deshalb nicht, dass die Unruhen in den südlichen Provinzen begannen.

Außerdem gibt es zwei weitere Gründe, die nicht unbedingt der ukrainischen Bauanleitung für einen demokratischen Wandel folgen: Einmal sagt man Politikern aus dem Süden gute Kontakte zur organiserten Kriminalität nach. Sie hatte ein starkes Interesse an mehr Einfluss im Parlament, um ihre Geldflüsse zu legalisieren.

Außerdem scheint es konkrete Hinweise zu geben, dass die militante islamische Organisation Hisb al-Tahrir Einfluss auf die Aufstände genommen hat. Hisb al-Tahrir ist vor allem in Usbekistan aktiv, weil aber im Süden Kirgistans bis zu 15 Prozent Usbeken leben, verfügt die Organisation dort über Sympathisanten.

Und schließlich war das Regime geschwächt. Die Polizei hat vor zwei Jahren bei Unruhen im Süden auf Demonstranten geschossen. Für die Führung der Sicherheitskräfte stand fest, dass sich so etwas nicht wiederholen sollte – und tatsächlich hat sich die Polizei bei der Erstürmung von Bürgermeisterämtern in der Provinz und selbst der Besetzung des Parlaments passiv verhalten.

Welche Rolle kommt dem Islam in der Region zu?

Krumm: Bei den Ereignissen in Kirgistan hat der Islam zwar eine Rolle gespielt, man sollte aber den Einfluss von Hisb al-Tahrir nicht überbewerten. Die eigentlich islamischen Länder in Zentralasien sind Usbekistan und Tadschikistan.

In Usbekistan ist der Islam im öffentlichen Leben überall präsent, auch wenn das Land sich eine säkulare Verfassung gegeben hat. Trotzdem fördert der Staat den Islam, er baut Moscheen und Medressen und gibt Islamunterricht. Das alles geschieht freilich unter der strengen Kontrolle des Staates. Nur langsam beginnt eine gesellschaftliche Diskussion über die Rolle des Islam. Wer sich der staatlichen Kontrolle nicht beugt, befindet sich schon sehr nah an der Rechtlosigkeit.

Was sind die Folgen dieser Politik?

Krumm: Die Zahl der radikalen Islamisten wächst. Es ist schwer zu sagen, wie viele Mitglieder Hisb al-Tahrir hat – klar ist aber: es werden immer mehr. Human Rights Watch hat vor kurzem ein Buch herausgegeben mit dem Titel Creating your own Enemy. Die usbekische Regierung unterstützt den Islam und geht gleichzeitig gegen Islamisten vor. Sie weiß nicht wie man diesen Spagat schafft. Der Staat ist überfordert und reagiert in alten sowjetischen Mustern: man verhaftet. Damit wässert die Politik das Umfeld der Sympathisanten.

Gleichwohl hat die Führung auch ihre verständlichen Gründe, gegen den radikalen Islam vorzugehen. So scheint es tatsächlich Kontakte zwischen radikalen Usbeken und internationalen Organisatoren gegeben zu haben, die für die Bombenanschläge 2004 in Taschkent verantwortlich waren.

Gibt es in Tadschikistan eine ähnliche Entwicklung?

Krumm: In Tadschikistan wurde erst 1997 ein blutiger Bürgerkrieg beendet. Darin hat der Islam zwar auch eine Rolle gespielt, aber es ging mehr um einen Konflikt zwischen dem aufmüpfigen Norden und den alten postsowjetischen Eliten im Süden. In Tadschikistan gibt es die einzige legale islamische Partei Zentralasiens: Die Partei der islamischen Wiedergeburt.

Allerdings ist sie bei den letzten Wahlen abgekanzelt worden: Drei Wochen vor den Wahlen haben die Mächtigen der Partei zu verstehen gegeben, dass sie zwei Sitze im Parlament bekäme - und das müsse doch bitte reichen, sie sollten deshalb den Wahlkampf einstellen. Es ist genau so gekommen. So etwas kann dazu führen, dass die Partei in einen legalen parlamentarischen und einen illegalen gewaltbereiten Flügel zerfällt.

Welches der Länder Zentralasiens hat die besten Vorraussetzungen, einen demokratischeren Weg einzuschlagen?

Krumm: Natürlich ist Kirgistan jetzt in einer Phase, in der vielleicht manches demokratisch neu justiert werden könnte. Aber das bleibt abzuwarten, denn auf der neuen Kabinettsliste stehen viele Politiker, die irgendwann schon einmal an der Macht waren. Für ganz Zentralasien gilt, dass das mögliche politische Personal sehr begrenzt ist.

Es gibt vielleicht den einen oder anderen Politiker, der im Ausland studiert hat, aber noch dominieren die alten Kader. Ein Vertreter der OSZE sprach in Kirgistan vom letzten Aufgebot. So wird entweder der frühere Gouverneur Kurmanbek Bakijew aus dem Süden oder der frühere Geheimdienstchef Felix Kulow aus dem Norden neuer Präsident. Und man kann nur hoffen, dass aus dieser geografischen Frontstellung nicht ein Konflikt entsteht.

Wie steht es mit Kasachstan?

Krumm: Kasachstan hat gute Chancen, einen erfolgreichen Demokratisierungsprozess zu durchlaufen. Das Land erlebt einen unglaublichen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Bildungsministerin hat gerade angekündigt, dass die Gehälter ihrer Mitarbeiter in den nächsten zwei Jahren um 60 Prozent steigen werden. Der Erfolg der Wirtschaft stärkt zum Teil die Zivilgesellschaft, und die speist sich in die politischen Prozesse ein.

Wie alle anderen Länder in Zentralasien hat aber auch Kasachstan das Problem, dass ein Machtwechsel die bisherigen Eliten wegspülen würde. Die Präsidenten und ihre Familien würde das wenig betreffen, aber das selbst ernannte, nicht demokratisch legitimierte Umfeld wird alles daran setzen, einen Machtwechsel zu verhindern.

Welchen Einfluss hat die Europäische Union in Zentralasien?

Krumm: Zentralasien ist ein Sondergebilde in Asien, es ist durch Russland und die Sowjetunion geprägt worden – also durch eine Europäische Macht. Außer Turkmenistan haben alle Staaten mit der Union ein Partnerschaftsabkommen abgeschlossen. Die EU-Kommission hat ihren Hauptsitz in Almaty und betreibt vor allem Infrastrukturprojekte.

Im Gegensatz zu den als missionarisch verschrienen Amerikanern ist Europa als Werteverband hoch angesehen. Einen großen politischen Einfluss hat die EU aber nicht, weil sie sich politisch nicht klar positioniert.

Eine Sonderrolle spielt sicherlich Deutschland, das als einziges EU-Mitglied in allen Ländern eine diplomatische Vetretung hat. Der wichtigste Player in der Region bleibt aber Russland. Sein Einfluss nimmt wieder zu. Auch die neue Regierung in Kirgistan hat schon erklärt, mit den Russen eng zusammenarbeiten.

Das Interview führte Tobias Asmuth

© Qantara.de 2005

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Website der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zentralasien