Lila Latzhose contra Burka
Nie war Feminismus so in aller Munde, und in allen Zeitungen, wie heute. Für alteingefleischte Feministinnen wie mich, die bis vor kurzem noch des "Dogmatismus" und Tragens von "lila Latzhosen" verdächtigt wurden, hätte das eine schöne Erfahrung sein können.
Wurde es aber leider nicht. Ausgerechnet uns wirft man nämlich jetzt vor, die Rechte muslimischer Frauen nicht genügend zu schützen. Erst kürzlich behauptete jemand in der Wochenzeitung Freitag, "postkolonialer Feminismus", wie ihn Birgit Rommelspacher in der taz vertreten habe, zeige "Verständnis für afrikanische Beschneidungsrituale, Frauenhandel, Polygamie".
Man zeige mir eine einzige Feministin, die sich verständnisvoll zum Frauenhandel geäußert hat! Wir Feministinnen sprechen übrigens auch nicht von (weiblicher) "Beschneidung". Sondern von Genitalverstümmelung.
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Seit zwei Wochen streiten sich deutsche Feuilletons darüber, wie die Lebenssituation muslimischer Frauen in Deutschland einzuschätzen sei. Ob sie besonders stark unter einem familiären Patriarchat zu leiden hätten, und - wenn ja - in welcher Weise sich der Staat gesetzgeberisch einmischen sollte.
Sind Verbote die beste Therapie?
Egal, was sonst noch alles über die Bedrohung des Abendlands und der Aufklärung geraunt wird, um exakt diese beiden Elemente geht es: einmal die sachliche Einschätzung - trifft die Diagnose zu? Und zweitens um die Paternalismusfrage - sind Verbote die beste Therapie?
Die Schweiz und Frankreich machen es vor: Man kann Minarette verbieten, Kopftücher, Burkas ... Der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein.
Diese neue Lust am feministisch begründeten Gesetzesvorstoß kommt so überraschend wie eine Rosenknopse im Winter. Gerade zwölf Jahre ist es her, dass der Bundestag "Vergewaltigung in der Ehe" als Straftat definiert hat.
Strengere Gesetze gegen Gewaltpornographie werden (vielleicht zu Recht) als zu starker Eingriff in die Meinungsfreiheit betrachtet und Frauenquoten (vermutlich zu Unrecht) als Gängelung der Privatwirtschaft.
Keine breite Mehrheit
Bei all diesen Topoi hat sich bisher nie eine breite Mehrheit gefunden - erst jetzt ist Deutschland im Feminismus geeint, wo es nur um eine Teilmenge der Bevölkerung geht. Da liegt der Verdacht nahe: eben weil es nur eine Teilmenge ist und diese Prise Feminismus dem allgemeinen deutschen Michel nichts abverlangt.
Doch Verdacht hin oder her: Helfen Verbote wie der Burka-Bann, den zum Beispiel Nicolas Sarkozy in allen französischen Ämtern, Bussen und Schulen durchsetzen will? Gewiss nicht. Um eines klarzustellen: Ich "befürworte" das Tragen von Burkas nicht.
Wenn ich es befürworten würde, würde ich eine tragen. Ich befürworte aber das Recht von Frauen, und zwar jeder Frau, Ämter und Behörden aufzusuchen, ohne dort schlechter behandelt zu werden als andere; ich befürworte das Recht jeder Frau, Nahverkehrsmittel zu benutzen und sich ungehindert in der Öffentlichkeit zu bewegen.
Ich würde befürworten - doch diese Forderung stand leider nie zur Debatte -, dass man mehr für Frauen tut, bei denen man befürchten muss, dass sie zu Hause Opfer physischer oder psychischer Gewalt werden.
Insbesondere ist unerlässlich, dass Ärzte, Sozialarbeiter und Lehrer mit exakt denen sprechen, von deren Befinden sie sich ein Bild machen wollen, und dass dafür auch Dolmetscher zur Verfügung stehen. Eine Frau darf nicht auf ihren Mann oder Sohn als Dolmetscher angewiesen sein, wenn sie ein Amt oder einen Arzt aufsucht.
Steckt unter jeder Burka eine tyrannisierte Frau?
Um aber von der Therapie zur Diagnose zurückzukommen: Steckt denn unter jeder Burka eine tyrannisierte Frau? Wir wissen es nicht. Noch hat niemand mit ihnen gesprochen, es gibt keine Untersuchungen dazu, es gibt ja auch kaum welche.
Wozu wir stattdessen viel Material besitzen, ist das Leben von Musliminnen mit Kopftuch - zwischen dem und der Burka natürlich wesentliche Unterschiede bestehen.
Anders als die Burka schränkt das Kopftuch Frauen bei keiner physischen oder sozialen Aktivität ein. Dennoch würden viele Deutsche am liebsten das Kopftuchtragen verbieten. Dabei lassen sich über Frauen mit Kopftuch zwei empirisch gut belegte Aussagen treffen.
Erstens: Sie sind völlig verschieden. Es gibt Feministinnen unterm Kopftuch und Duckmäuserinnen, Traditionalistinnen und Neo-Orthodoxe, Modebewusste und Keusch-sich-Verhüllende.
Zweitens: Sie alle sind alltäglicher Diskriminierung seitens der Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt.
Schon die bestehenden Kopftuchverbote an Schulen sind bedenkliche Eingriffe in das Recht eines jeden, sich in Deutschland nach eigenem Gutdünken kleiden zu dürfen. Weitere Verbote helfen nicht, sondern sind letztlich nur Signale: Wir wollen euch hier nicht.
Bereits jetzt begegnen Musliminnen in Deutschland oft genug einer Atmosphäre des Misstrauens und des wohlfeilen pauschalen Mitleids. Damit wird ihr Handlungsspielraum nicht erweitert, sondern eingeschränkt; sie werden nicht ermutigt, sondern belächelt oder gar verachtet. Feminismus ist etwas ganz anderes.
Hilal Sezgin
© Qantara.de 2010
Hilal Sezgin lebt als freie Autorin bei Hamburg. Im Frühjahr erscheint ihr Roman "Mihriban pfeift auf Gott".
Qantara.de
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