Strategie der Destabilisierung im Libanon
"Die Rückkehr ins Lager und der Aufbau der Häuser ist sichergestellt", hieß es vor kurzem lapidar in einem libanesischen Fernseh- und Radiospot, während die Kämpfe zwischen der libanesischen Armee und der Gruppe "Fatah al-Islam" im zweitgrößten Palästinenserlager Nahr el-Bared im Nordlibanon noch anhielten.
Doch auch solche Appelle zur Mäßigung und Beruhigung der Situation – wie in diesem Fall durch das "Komitee für den libanesisch-palästinensischen Dialog" – können über die anhaltend schwierigen Beziehungen zwischen Palästinensern und Libanesen im Land der Zedern nicht hinwegtäuschen.
Rückblick in die Geschichte
Wir erinnern uns: Als der Staat Israel ausgerufen wurde, flohen rund 120.000 Palästinenser Richtung Norden, in den Libanon. Die meisten Flüchtlinge – eine halbe Millionen – gingen nach Jordanien. Nach der – von der arabischen Geschichtsschreibung als "Katastrophe" ("Nakba") bezeichneten – Vertreibung und Flucht, wurde vom haschemitischen Königreich fortan der politische und militärische Kampf zur Befreiung Palästinas organisiert.
Doch während des so genannten Schwarzen Septembers 1970 vertrieb schließlich die jordanische Armee die PLO, die sich daraufhin im Libanon ansiedelte. Dank der Unterstützung durch die arabischen Staaten gelang es der PLO, sich zu einem wichtigen innenpolitischen Akteur im Zedernstaat zu entwickeln. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht konnte sich die palästinensische Befreiungsorganisation etablieren.
Schon vor dem Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 hatte die PLO Eingang in die Politik des Landes gefunden. Die "Libanesische Nationalbewegung" wollte das konfessionelle System des Libanons abschaffen. Die PLO war dabei ihr Partner in den inner-libanesischen Auseinandersetzungen. Die christlich-maronitische Vorherrschaft sollte gebrochen werden.
Interventionen aus Damaskus
Während des Bürgerkrieges intervenierte jedoch der Nachbar Syrien, um eine Niederlage der Christen durch die "Libanesische Nationalbewegung" zu verhindern. Die Führung in Damaskus fürchtete die regionalen Konsequenzen eines solchen innenpolitischen Paradigmenwechsels.
Die syrische Parteinahme für die rechts-nationalen Christen währte allerdings nicht lange. Im Verlauf des Bürgerkriegs wandten sich die syrischen Truppen auch gegen sie.
Für das libanesisch-palästinensische Verhältnis stellte jedoch die israelische Invasion von 1982 den endgültigen Wendepunkt dar. Die Zerschlagung der PLO und ihrer Institutionen sollte hierauf folgen.
In den Jahren von 1985 bis 1987 führte sogar die schiitische Amal-Bewegung einen Stellvertreterkrieg für Syrien gegen die PLO. Syrien unterstützte seinerseits eine Abspaltung der PLO, die sich unter der Führung von Abu Musa in den 80er Jahren in Opposition zum Arafat-Kurs der Fatah herausbildete.
Vor diesem Hintergrund spielt sich die gegenwärtige Krise ab. Laut UNRWA leben 391.000 Palästinenser im Libanon. Sie haben durch die Marginalisierung der PLO nicht nur ihre politische Vertretung verloren und wurden wirtschaftlich benachteiligt, sie leiden zudem auch unter ihrem derzeitigen Status.
Ein Gesetz verbietet ihnen beispielsweise, für ihre Häuser und Wohnungen einen Besitztitel zu erwerben. Auch dürfen Palästinenser, die zum Teil schon in der dritten Generation im Land leben, über 20 verschiedene Berufsarten nicht ausüben – selbst mit Hilfe einer teuren Arbeitserlaubnis.
"Was mir Siniora gibt, nimmt mir Lahoud wieder weg!"
Bis vor wenigen Jahren gab es noch keine offizielle Politik, um diese Probleme zu beseitigen. Im Gegensatz zu den meisten arabischen Ländern gab es lange keine diplomatische Vertretung der palästinensischen Behörden in Beirut. Erst 2006 wurde der PLO ein Vertretungsbüro zugestanden.
Eine Initiative des sunnitischen Premierminister Siniora, der PLO-Repräsentanz den Status einer Botschaft zu gewähren, scheiterte am Veto des pro-syrischen Präsidenten Emil Lahoud. Der Vertreter der PLO im Libanon, Abbas Zaki, drückte diesen Missstand mit folgenden Worten aus: "Was mir Siniora gibt, nimmt mir Lahoud wieder weg!"
Auch nach dem Rückzug der syrischen Truppen bleiben die politischen Verhältnisse im Libanon äußerst brisant. Viele Analysten glauben sogar, dass Syrien mit Hilfe der Palästinenser, vor allem der extremen Kräfte, wie der "Fatah-Intifada", der Gruppe um Ahmad Jibril und der "Fatah al-Islam", versuche, das innere Kräftegleichgewicht im Libanon zu manipulieren.
Der Fall Nahr el-Bared
Bis zum Rückzug der syrischen Armee war das Lager Nahr el-Bared relativ ruhig. Es ist in Viertel unterteilt, die nach den Herkunftsorten in den Palästinenser-Gebieten benannt sind. Für die innere Sicherheit des Lagers waren vor allem die so genannten "Popular Committees" verantwortlich, die – gleich einer Stadtverwaltung – die inneren Angelegenheiten im Lager regelten.
Als die "Fatah al-Islam" beabsichtigte, sich im Herbst 2006 in einem anderen Palästinenserlager im Nordlibanon anzusiedeln, wurden sie von den politischen Gruppierungen des so genannten "Beddawi Camps" vertrieben. Und als sich die Gruppe daraufhin in Nahr el-Bared festsetzte, gaben sie sich zunächst als eine Abspaltung der PLO aus.
Doch schon bald wurde klar, dass ihr Training an leichten Waffen, die Praxis religiöser Studien, aber auch ihre Anhängerschaft aus unterschiedlichen Teilen der islamischen Welt nicht dem Profil einer palästinensischen Gruppe entsprach.
Das schwache Sicherheitskomitee im Camp konnte ihnen kaum etwas entgegensetzen, keiner stellte sich ihnen in den Weg. Sie gängelten Bewohner im Camp, wenn sie Musik hörten. Mit Geld kauften sie sich ein, mieteten Häuser und pachteten ein Grundstück mit Zugang zum Meer.
Extremistische Gewalt im Schatten des Staates
Bedingt durch die Abwesenheit des libanesischen Staates und die schwache innere Struktur des Lagers, gelang es der Gruppe schließlich, sich erfolgreich zu etablieren. Nach Angaben der libanesischen Regierung wurden auch Waffen gehortet und Kämpfer ausgebildet. Im Lager organisierten sie zudem einen Bombenanschlag auf zwei Busse.
Angesichts der militärischen Dimension des Konfliktes ist es daher mit der Rückkehr der Flüchtlinge und dem Aufbau des Lagers allein nicht getan. Das "Komitee für den libanesisch-palästinensischen Dialog" hat sich deshalb auch umfassendere Aufgaben zum Ziel gesetzt – geht es doch um die Integration der Palästinenser in den politischen Prozess des Landes.
Die Palästinenser müssen nicht nur vor ihrer wirtschaftlichen Marginalisierung, sondern auch vor einer politischen "Parallelgesellschaft" geschützt werden. Auch ist es notwendig, dass die Lager künftig besser vor der Einflussnahme durch extreme politische Kräfte geschützt werden, damit endlich eine Normalisierung der Verhältnisse für die Palästinenser und ihre Lager einsetzen kann.
Bernhard Hillenkamp
© Qantara.de 2007
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