Wenn sich Puppen gegen den Diktator auflehnen

Zu den künstlerischen Ausdrucksformen, die sich im Internet und in sozialen Netzwerken Syriens entfaltet haben, zählt auch die Politsatire der Puppentheatergruppe "Masasit Mati", die mit Sketchen aus dem "Tagebuch eines kleinen Diktators" gegen das Assad-Regime wettert. Von Mohamed Ali Atassi

Von Mohammed Ali Atassi

Mit Repression, Propaganda und dem Kult um seine Person ist es dem syrischen Despoten viele Jahre gelungen, seine eigene Nacktheit mit dem schweren Stoff aus Angst und Terror zu verdecken. Jeder wusste, dass der König nackt war und jeder half dennoch mit, diesen Umstand zu verschleiern.

Dies ist auch der Grund, warum es das erste Ziel der syrischen Revolution ist, ihm das Feigenblatt zu entreißen, mit dem es ihm bisher gelang, seine nackte Macht zu kaschieren. Deshalb kann es nicht überraschen, dass die Slogans, die beim syrischen Aufstand benutzt werden, den Namen des Präsidenten direkt angreifen.

Wie die Aufständischen auf der Straße, die seine Macht und dessen Symbole offen herausfordern, so versuchten auch einige Künstler und Wissenschaftler, sich hieran zu beteiligen, sei es durch ihre künstlerische Arbeit und ihre Texte, sei es durch das Vertreten ihrer politischer Positionen.

Einige von ihnen waren sogar bereit, an Aktionen teilzunehmen, bei denen sie angegriffen und verhaftet wurden. Diese schweren Repressalien zwangen sie, sich zu verstecken, das Land zu verlassen oder zu schweigen.

Der Kontrolle entzogen

Schauspieler von Masasit Mati mit Assad-Puppe Bichou; Foto: youtube
Klamauk und Politsatire auf die syrische Diktatur: In allen "Masasit Mati"-Episoden wird Präsident Assad schonungslos kritisiert und durch den Kakao gezogen.

​​Diese Unterdrückung der Meinungsfreiheit brachte eine neue künstlerische Form hervor, die es ermöglichte, die Kontrolle und Tyrannei zu umgehen, um die Prinzipien von Freiheit und Würde der Revolution zu verteidigen.

Zu den künstlerischen Ausdrucksformen, die sich im Internet und in sozialen Netzwerken Syriens entfaltet haben, zählt auch die Politsatire der Puppentheatergruppe "Masasit Mati". Der Name kommt von dem Getränk Mati, das im arabischen Osten sehr beliebt ist. Die Gruppe hat eine Seite bei Youtube und eine bei Facebook und dort eine Serie von Sketchen unter dem Titel "Tagebuch eines kleinen Diktators" gepostet, in dem die Hauptrolle "Bichou" von einer Holzpuppe verkörpert wird, die große Ähnlichkeit mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad hat.

Daneben gibt es noch den Polizisten "Chebbih" sowie zwei andere Puppen mit den Namen "die Tochter von Chem" und "der Klang der Freiheit". Jede Puppe wird wie ein Handschuh an einer Hand getragen und mit drei Fingern zum Bewegen gebracht. Die Schauspieler selbst verbergen sich in einem hölzernen Theater von nicht mehr als einem Meter Breite und Tiefe, in dem sie die Puppen bewegen, die von einem befreundeten Künstler hergestellt wurden.

Die Gruppe begann mit ihren Theateraufführungen im Netz ab Mitte November, in fünfminütigen wöchentlichen Episoden. Bisher gibt es 15 Episoden, alle mit englischen Untertiteln.

Beißender Spott auf den Präsidenten

So sehen wir etwa einen Präsidenten, der an Schlaflosigkeit leidet, weil ihn Alpträume über seine schwindende Macht quälen. In einer anderen Episode ist der Ausbruch einer Revolution innerhalb seiner eigenen Familie zu sehen, als sich seine Kinder über den vielfachen Mord an syrischen Kindern empören.

Die Mitglieder der Gruppe sind junge Schauspieler, die untereinander ihre Rollen tauschen. Auch die Skripte der einzelnen Folgen enstehen in Teamarbeit. Sie alle verließen Syrien und möchten anonym bleiben, um ihre Familien nicht in Gefahr zu bringen.

 

Einer, der das Land gerade verlassen hat, sagt: "Das Puppentheater, das wir zeigen, ist wie die Demonstrationen, an denen wir teilnahmen. In beiden Fällen haben wir bewusst das Recht verletzt und die rote Linie überschritten, die die politische Macht in unsere Köpfen eingestanzt hatte. Wenn ich die Rolle des 'Bichou' spiele und es wage, den Heiligenschein zu kritisieren, den man ihm aufgesetzt hatte, ist das für mich das gleiche Gefühl, das mich auch dazu gebracht hatte, auf der Straße zu schreien 'Das Volk will den Sturz der Macht!'. In beiden Fällen gibt es einen Moment der Freiheit und einen Moment der Konfrontation mit der eigenen, tiefsitzenden Angst, und genauso wie die Angst mich während des Aufstandes nie ganz verlassen hat, so spüre ich sie auch, wenn ich die Sketche schreibe und sie dann spiele. In beiden Fällen haben wir in gewisser Weise eine Rolle gespielt und beide Male haben wir es gern getan. Manchmal machen wir mitten im Spiel mit den Puppen eine Pause und tun so, als ob wir, zusammen mit unseren Puppen an beiden Händen aufgehängt worden wären."

Warum er Syrien verlassen hat, bevor seine Arbeit im Internet zu sehen war, erklärt er mit den Worten: "Letztlich bin ich ein ganz normaler Mann. Mir liegt nichts daran, ein Held zu sein."

Ambivalentes Verhältnis zu "Bichou"

Es ist unglaublich, welch komplexe Gefühle diese Künstler mit Hilfe ihrer Puppen zu vermitteln verstehen. Die Natur dieser künstlerischen Arbeit und die Anlage der Personen zwingen sie, mit der Puppe "Bichou" umzugehen, ohne sie dabei offen abzulehnen, nicht zuletzt, da sie es war, die sie zu all dem inspirierte und es ihnen ermöglicht, all diese Episoden zu verfassen.

Doch inzwischen kommt es vor, dass die Schauspieler mitten in der Probe plötzlich aufhören und die Handpuppen ablegen müssen, weil sie sich nicht mehr in der Lage sehen, sich in die von ihnen verkörperten Charaktere hineinzuversetzen.

Puppenensemble von Masasit Mati; Foto: youtube
Puppenensemble des Schreckens: Assad-Clan, Baath-Parteigänger und Vertreter des Sicherheitsapparats in "Top Goon - Die Tagebücher eines kleinen Diktators" der Handpuppentheater-Combo Masasit Mati

​​"Manchmal erscheint es für einen Moment absolut unmöglich, die Puppe zu bewegen. Dann will ich sie nur noch loswerden", gibt einer der Schauspieler zu. "Deshalb sagen wir oft zu uns selbst, dass 'Bichou' den Präsidenten nur darstellt und er selbst nicht verantwortlich ist für all die von jenem begangenen Grausamkeiten."

Mit der letzten Episode der Serie, die den Titel "Das letzte Kapitel der Hölle" trägt, der einem Werk des Dichters Arthur Rimbaud entliehen ist, konnte dieses Problem schließlich überwunden werden. Danach hatten die Schauspieler die Energie, all die anderen Folgen zu schreiben, weil sie es geschafft hatten, die notwendige Distanz zwischen sich selbst und der Puppe zu schaffen. Tatsächlich gibt es in dieser Folge eine Diskussion zwischen "Bichou" und dem Schauspieler, der ihn spielt.

Ein mobiles Puppentheater für Syrien

Der Schauspieler taucht plötzlich auf und "Bichou" befiehlt ihm, wieder an seinen Platz zu gehen, was dieser jedoch nicht befolgt, sondern die Puppe stattdessen von seiner Hand nimmt – eine symbolische Befreiung des Schauspielers von seiner Rolle.

Die Gruppe "Masasit Mati" war sehr daran interessiert, alle Episoden abzufilmen und nach und nach bei Youtube und Facebook einzustellen, um möglichst viele Menschen in Syrien zu erreichen.

Wenn in Syrien die Revolution Erfolg haben sollte, wollen die Mitglieder der Gruppe ein mobiles Puppentheater gründen und ihre Arbeit in allen Städten und Dörfern des Landes vorstellen – angefangen mit den Orten, von denen der Aufstand seinen Ausgang nahm.

Ohne Zweifel kann dieser Artikel nicht den gleichen Spaß bereiten, der sich beim Anschauen der Sketche selbst einstellt…

Mohamed Ali Atassi

© Babelmed 2012

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Mohammad Ali Atassi ist syrischer Journalist, Filmemacher und Bürgerrechtsaktivist. Er studierte in Paris und Damaskus und lebt seit 2000 in Beirut, wo er unter anderem für die Zeitung "Al-Nahar" schreibt. In einem seiner Dokumentarfilme ("Ibn al-Amm") aus dem Jahr 2001 porträtiert Atassi das Leben des prominenten syrischen Dissidenten Riad al-Turk.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de