Die Kunst des doppelten Bodens
Am Donnerstag, den 25. August wurde der bekannte syrische Karikaturist Ali Farzat entführt, zusammengeschlagen, seiner Zeichenmappe beraubt und auf dem Highway Richtung Flughafen Damaskus verletzt liegen gelassen. Er wurde Stunden später von einem Vorbeifahrenden gefunden und ins Krankenhaus gebracht.
Das Ausmaß seiner Verletzungen führt die unfassbare Brutalität der regimetreuen Schlägertrupps vor Augen: Man hatte ihm die Finger gebrochen, und ihm hiermit seiner Waffen als Kritiker der Diktatur (vorerst) beraubt.
Ali Farzat ist einer der bekanntesten Karikaturisten der arabischen Welt, der nie aufgehört hat, Willkür, Korruption und Brutalität der Machthaber zu kritisieren. Seit Anfang der Proteste in Syrien hat er in immer schärferer Weise das rücksichtslose Vorgehen des Regimes gegen Demonstranten verurteilt.
Und er war dabei von seiner bisherigen Taktik abgewichen, die Mächtigen in seinen Arbeiten unerkennbar zu zeichnen, indem er das Gesicht von Bashar al-Assad nunmehr offensichtlich darstellte. Damit hat er eines der Tabus im Umgang mit der allgegenwärtigen Zensur in Syrien gebrochen.
Ein Tabu ist es, den Präsidenten in direkter Weise zu kritisieren. Auch existieren rote Linien im thematischen Umgang mit den unterschiedlichen ethnischen Gruppen des Landes sowie Religion. Feste Regeln gibt es allerdings nicht; und so sind alle syrische Kulturschaffende – ob Schriftsteller, kritische Journalisten, Künstler, Theater- oder Filmemacher – gezwungen, innerhalb dieser roten Linien zu navigieren, um trotzdem ihre kritischen Arbeiten produzieren zu können.
Schwieriger Balanceakt
Dass dies tatsächlich möglich war, ist immer wieder von außen stehenden Beobachtern als besonders paradox empfunden worden. Trotz allgegenwärtiger Zensur und Kontrolle hat Syrien eine lange Tradition subtiler künstlerischer und intellektueller Regimekritik hervorgebracht. Eine kritische Tradition, deren Protagonisten oft einen schwierigen Balance-Akt vollbringen mussten, um nicht ihre eigene Sicherheit zu gefährden. Dass einigen Künstlern dabei unvergessliche Meisterwerke gelungen sind, ist immer wieder von ausländischen Kommentatoren bemerkt worden.
Ein besonders gutes Beispiel ist Oussama Mohammads Film "Nujum An-Nahar" ("Stars in Broad Daylight") von 1988. Er erzählt die Geschichte einer Familie aus dem ländlichen Syrien, die von dem cholerischen und korrupten ältesten Sohn tyrannisiert wird. Mit eiserner Hand greift dieser in das Leben seiner Geschwister ein, zeigt sich abwechselnd gütig und brutal, immer mit der gleichen Unberechenbarkeit.
Die Großfamilie als Metapher für den syrischen Staat, geführt von einem skrupellosen Machtmenschen, der sich gerne als besonders großzügig selbst präsentiert, dabei die gesamte Familie unglücklich macht, all dies stellt eine recht deutliche Symbolik dar, die auch noch durch die physische Ähnlichkeit des Protagonisten mit dem damaligen Präsidenten, Hafiz al-Assad unterstrichen wird.
Dies ist auch nicht an der Zensur vorbeigegangen. Oussama Mohammad konnte den Film zwar beenden, in Syrien selbst ist er aber nie in die Kinos gekommen, trotz mehrfacher internationaler Auszeichnungen, und er ist bis heute verboten. Der Filmemacher musste bis 2002 warten, bis er seinen zweiten Spielfilm, "Sacrifices", drehen konnte. Oussama Mohammad wartet immer noch darauf, ein neues Projekt realisieren zu können.
Die Strategie, kontroverse Filme zwar zu produzieren, nach Beendigung aber in den Archiven verschwinden zu lassen und nur gelegentlich ins Ausland zu prestigeträchtigen Festivals zu schicken, war lange eine beliebte Strategie in Syrien, mit der das Regime versucht hatte, kritische Filmemacher zu kontrollieren. Die Genehmigung und der später wieder erfolgte Entzug von Ausreise-, Ausstellungs- und Publikationsgenehmigungen stellt eine weitere Strategie des Regimes dar, viele Künstler zu unterdrücken.
Im Bann der Zensur
Dies bekam auch Ali Farzat zu spüren. Anfang 2001, während des "Damaszener Frühlings", gründete er die Satirezeitschrift "Al-Domari", die erste unabhängige Zeitschrift seit der Machtergreifung durch die Baath-Partei 1963. Die Zeitschrift wurde begeistert aufgenommen, war noch am ersten Tag ihrer Erscheinung ausverkauft, wurde aber zunehmend von den Zensoren drangsaliert und musste 2003 endgültig schließen. Farzat beschrieb seine Situation mit den Worten: "Es geht uns wie jemandem in einem Badezimmer, bei dem das Wasser in einem Moment kalt, im nächsten heiß ist."
Unter solchen Arbeitsbedingungen ist es kaum verwunderlich, dass sich etliche Künstler für das Leben im Exil entschlossen, so wie der wohl bekannteste syrische Filmemacher Omar Amiralay, der, nachdem mehrere seiner Filme in Syrien verboten worden waren, in den 1980er Jahre seine Heimat verließ, um dann vom französischen Exil aus gegen das autoritäre Regime zu kämpfen.
Häufiges Thema von Amiralays Filmen waren die Strukturen des syrischen Staates, die er schonungslos bloß stellte, wobei ihm das Exil eine deutlichere Sprache erlaubte, als es ihm in Syrien möglich gewesen wäre. So ist sein Film ("Tufan fi-Balad al-Baath"
) eine sarkastisch-bittere Abrechnung mit der omnipräsenten Baath-Partei, die zu einer Stagnation des ganzen Landes geführt hat.
Amiralay starb unerwartet Anfang des Jahres an einem Herzinfarkt, eine knappe Woche nachdem er zusammen mit dem Regimekritiker Michel Kilo ein gemeinsames Manifest zur Solidarität mit den Protestbewegungen in Tunesien und Ägypten publiziert hatte. Der Aufruf zu ähnlichen Protesten in Syrien wurde zu dem Zeitpunkt noch nicht erhört. Dafür mussten noch etliche Wochen vergehen, bis auch in Syrien ab Mitte März die Menschen auf die Straße gingen, um für ihre Rechte zu kämpfen.
Zuerst drangen hierüber nur vereinzelt Meldungen aus Syrien in die internationalen Medien. Das Regime in Damaskus hat früh sichergestellt, dass keine ausländischen Journalisten in das Land kamen, und wer vor Ort war, wurde kurzerhand ausgewiesen. Somit blieben Stimmen aus dem Land rar, abgesehen von den nur schwer verifizierbare Aktivisten-Videos auf YouTube.
Subtile Kritik
Im April veröffentlichten syrische Filmemacher im Internet einen Aufruf an ihre Kollegen in aller Welt, sie mögen die Brutalität des Regimes verurteilen und das Volk in seinem Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit unterstützen und gelegentlich meldeten sich syrische Schriftsteller zu Wort, es blieb aber bei vereinzelten Wortmeldungen.
Die Stimme der syrischen Intellektuellen verhallte nahezu ungehört im Westen. Oft sind es eher stille Töne, eingebettet in kunstvolle Metaphorik und Symbolik.
Gerade in Zeiten wie diesen, in denen das Land vor massiven Veränderungen steht, sind aber die syrischen Stimmen wertvoll und verdienen es, beachtet zu werden, auch wenn sich deren Kritik auf ersten Blick als eher verschlüsselt manifestiert. Tatsächlich sind Künstler, die sich offen artikulieren, einer sehr realen Gefahr ausgesetzt. Das hat der Fall Ali Farzat nur zu deutlich gezeigt.
Charlotte Bank
© Qantara.de 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de 2011