Anti-Normalisierung als Dauerzustand
Seit 30 Jahren wehen die israelische und die ägyptische Fahne über den jeweiligen Botschaften in Kairo und Tel Aviv, doch auf kultureller Ebene ist von einer Normalisierung immer noch wenig zu spüren. Woran das liegt, erläutert Amira El Ahl aus ägyptischer Perspektive.
Die Sonne geht gerade über Kairo unter, als im Israelischen Akademischen Zentrum die Lichter ausgehen. Das Zentrum befindet sich in einem Gebäude direkt am Nil, die Aussicht aus den Panoramafenstern ist überwältigend, ganz Kairo scheint einem zu Füßen zu liegen.
Die etwa 15 Gäste des Zentrums – unter ihnen ägyptische Studenten und Journalisten – sind an diesem Abend allerdings nicht wegen des Ausblicks gekommen, sondern um sich einen Film anzusehen: "Aviva my love" erzählt die Geschichte einer jungen Israelin, die Schriftstellerin werden möchte.
Die Handlung ist einfach, doch dass hier, mitten im Herzen Kairos, ein israelischer Film gezeigt wird, ist ganz und gar keine Selbstverständlichkeit. Es gleicht eher einem kleinen, heimlichen Aufstand.
Eiszeit zwischen Ägypten und Israel
Obwohl es seit dem 26. März 1979 einen Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten gibt, herrscht auf kultureller Ebene seit 30 Jahren Eiszeit zwischen den Nachbarstaaten. Zumindest von ägyptischer Seite.
Die ägyptischen Kulturschaffenden stellten in den 1980er Jahren Richtlinien auf, die einen kulturellen Austausch auf jeglicher Ebene unterbinden sollten, solange bis die Palästinenser zu ihrem Recht gekommen seien.
Seither wird mit jedem Schriftsteller, Journalisten und Schauspieler, der Kontakt zu Israelis unterhält, hart ins Gericht gegangen, auch wenn es offiziell kein Gesetz gibt, das den Kontakt zu Israelis verbietet. Doch der Ausschluss aus dem jeweiligen Berufsverband geht einher mit einem damit verbundenen Arbeitsverbot und dem sicheren Karriere-Ende.
Jüngstes Opfer der "Anti-Normalisierungskampagne" ist die Journalistin Hala Mustafa. Die Chefredakteurin des wöchentlich im staatlichen "Al-Ahram"-Verlag erscheinenden Magazins "Demokratie" hatte im vergangenen Monat den israelischen Botschafter zu einem einstündigen Gespräch in ihrem Büro empfangen. Seitdem wird sie von ihren Kollegen aufs Schärfste attackiert.
Viele Journalisten fordern ihren Ausschluss aus dem Journalistenverband, weil sie gegen dessen Regeln verstoßen habe. "Wir werden keine Abweichung vom journalistischen Konsens dulden", sagt Makram Mohammed Ahmed, Vorsitzender des Journalistenverbands. Der Konsens schreibt vor, dass kein Israeli ein Pressegebäude betreten oder sich mit Pressevertretern treffen darf.
Mittlerweile wird gegen Hala Mustafa ermittelt, vom Journalistenverband ebenso wie von der Rechtsabteilung ihres eigenen Hauses.
Dabei hatte die Journalistin den Segen des "Ahram"-Verlagsleiters Abdel-Moneim Said für das Treffen eingeholt, der als Befürworter der Normalisierung mit Israel bekannt ist und schon öfter zu Gast in Israel war. Wenn weiter gegen sie ermittelt würde, drohte Mustafa in der Presse, "werde ich alle Journalisten, die mit Israelis zusammenarbeiten und sich mit israelischen Offiziellen treffen, bloßstellen".
Langsam aufweichende Fronten?
Dass es diese Kontakte gibt, bestätigt auch Gabriel Rosenbaum, Direktor des Israelischen Akademischen Zentrums in Kairo: "Es gibt wesentlich mehr Ausnahmen, als sie denken."
Ein Schriftsteller habe ihm erklärt, dass die Verbände wie die Mafia arbeiten würden. "Wenn jemand eine andere Meinung hat und seinen Mund nicht hält, wird er bedroht." Er persönlich kenne viele Ägypter, die gegen den Boykott seien, allerdings von den Verbänden massiv unter Druck gesetzt würden.
Auch Amr Waked bekam diesen Druck zu spüren. Der aufstrebende ägyptische Schauspieler stand vor zwei Jahren kurz vor dem Ausschluss aus dem Schauspielverband. Damals hatte der blauäugige Beau, der schon neben George Clooney in dem Hollywood-Film "Syriana" brillierte, in Tunesien für eine britisch-amerikanische Koproduktion vor der Kamera gestanden.
Stein des Anstoßes war für die Verbandsfunktionäre, dass Waked gemeinsam mit dem israelischen Schauspieler Yigal Naor in dem Vierteiler über das Leben Saddam Husseins auftrat. Damals beteuerte Waked, dass er bei Unterzeichnung des Vertrags nicht gewusst habe, dass ein Israeli an dem Projekt beteiligt sei.
Auch Amr Waked musste sich vor einem Untersuchungsausschuss verteidigen, doch zum angedrohten Ausschluss kam es nicht. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass sich die Fronten langsam aufweichen.
Für den Außenstehenden ist der Boykott ohnehin kaum nachvollziehbar. Denn dank des Friedensvertrags arbeiten Ägypten und Israel in Bereichen wie der Landwirtschaft, im Handel oder in Sicherheitsfragen eng zusammen.
Seit 30 Jahren wehen die israelische und die ägyptische Fahne über den jeweiligen Botschaften in Kairo und Tel Aviv, doch ein Kultur- und Wissenschaftszentrum, wie es die Israelis seit 27 Jahren am Nil betreiben, gibt es in Tel Aviv bis heute nicht.
Das Dilemma des Farouk Hosny
Schuld daran ist nicht zuletzt auch Farouk Hosny, der als Kulturminister seit 22 Jahren für die Kulturpolitik der Nilrepublik verantwortlich ist. Auch er hat sich immer wieder gegen die Normalisierung mit Israel ausgesprochen, eine Einstellung, die wohl auch zu seiner Niederlage im Rennen um den Chefposten bei der UNESCO Ende September beigetragen hat.
Die Gegner seiner Kandidatur bezichtigten Hosny des Antisemitismus, weil er die israelische Kultur als "unmenschlich" bezeichnet hatte und im vergangenen Jahr gesagt hatte, er würde persönlich jedes israelische Buch verbrennen, das er in einer ägyptischen Bibliothek finden würde.
Seine Niederlage kommentierte der verbitterte Kulturminister nach seiner Rückkehr aus Paris mit den Worten: "Am Ende des Wettkampfs war klar, dass es eine Verschwörung gegen mich gab."
Der Zorn des Ministers richtete sich gegen den amerikanischen Botschafter bei der UNESCO, die US-Regierung, aber vor allem gegen Israel und die zionistisch-jüdische Lobby, die ihn unter allen Umständen hätte verhindern wollen.
Auch die ägyptische Presse witterte eine Verschwörung gegen den Minister und mache als Hauptverantwortlichen die jüdische Lobby und die zionistischen Medien in Europa und den USA aus.
Abdel-Moneim Said schrieb in einem Kommentar in der englischsprachigen "Al-Ahram"-Online: "Die Welt fand es schwierig zu verstehen, wie Ägypten Frieden mit Israel haben kann während sein Kulturminister das Gegenteil denkt, auch wenn dieses Paradox aus der ägyptischen Perspektive völlig verständlich ist."
Said sah voraus, dass Farouk Hosny in einem Dilemma steckte, dass ihn den höchsten UNESCO-Posten kosten würde.
Mehr Austausch wünschenswert
Für Gabriel Rosenbaum ist es unverständlich, warum Ägyptens Intellektuelle bis heute Israel und ihre Kultur boykottieren. "Die Anti-Normalisierung ist schlecht für Ägypten und ein Problem für sie", sagt der 61jährige Universitätsprofessor, der moderne ägyptische Sprache und Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrt.
Ein Mangel an kulturellem Austausch bedeutet auch einen Mangel an Verständnis für den anderen. Gabriel Rosenbaum kennt das Land, in dem er seit drei Jahren lebt und arbeitet, seit über 20 Jahren. Er spricht fließend Arabisch und hat viele ägyptische Freunde. "Ich liebe es hier, ich liebe das Land und seine Menschen."
Doch er weiß auch, in welch prekäre Lage sich seine Freunde und die Gäste, die regelmäßig ins Israelisch Akademische Zentrum zu Vorträgen und Filmaufführungen kommen, begeben. Deshalb lädt er auch keine Künstler und Schriftsteller ein, bis das Problem gelöst ist. "Ich möchte niemandem Unannehmlichkeiten bereiten."
Doch er wünscht sich mehr Austausch zwischen israelischen und ägyptischen Intellektuellen. "Wenn sie bei den Vorträgen im Zentrum zusammentreffen und sich austauschen, kreiert das eine der wundervollsten Atmosphären im ganzen Nahen Osten", schwärmt Rosenbaum. Nur ein Thema muss vor der Tür bleiben: über Politik wird im Zentrum grundsätzlich nicht gesprochen.
Amira El Ahl
© Qantara.de 2009
Amira El Ahl berichtete zwei Jahre lang als Auslandskorrespondentin für den SPIEGEL aus Kairo. Seit 2008 ist sie als freie Korrespondentin im Nahen Osten tätig.
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Niederlage Hosnys bei der Wahl zum Unesco-Generaldirektor
Opportunismus als Leitmotiv
Als Vertreter eines autoritären Regimes war Ägyptens Kulturminister Hosny grundsätzlich nicht für den Unesco-Chefposten geeignet. Die europäischen Vertreter im Exekutivrat hätten daher gleich zu Beginn auf die Nominierung eines besseren arabischen Kandidaten drängen müssen. Stephan Roll kommentiert.