Spur der Verwüstung
Das von der Islamistenmiliz ISIS ausgerufene Kalifat könnte auch für die zahlreichen Kulturdenkmäler in den von ihr kontrollierten syrischen und irakischen Regionen verheerende Folgen haben. Schon die bisherige Spur barbarischer Verwüstung, die die sunnitische Terrorgruppe seit Beginn ihrer Offensive hinterlassen hat, ist erschreckend genug. Die religiösen Eifere wahhabitischer Prägung dulden nämlich nichts, was gemeinhin als Manifestation der Achtung vor herausragenden geistigen und kulturellen menschlichen Leistungen gilt.
Dazu zählen neben Grabmälern namhafter Denker auch die Begräbnisstätten geachteter religiöser Persönlichkeiten, in denen die ISIS-Islamisten die ihnen verhasste Heiligenverehrung wittern. Ein Dorn im Auge sind ihnen auch öffentliche Standbilder von nationalen wie lokalen Geistes- und Kulturgrößen, die nun überall dort vom Erdboden zu verschwinden drohen, wo die Dschihadisten auftauchen.
Allein in Mosul sind den Extremisten seit ihrem Einmarsch gleich mehrere kulturelle Symbole der pluralistischen Provinzhauptstadt zum Opfer gefallen. Die das Stadtbild mitprägenden monumentalen Statuen des abbasidischen Dichters Abu Tammam (788-845) wie des irakischen Musikers und Lyrikers Osman al-Mawsali (1854-1923) wurden mit Hilfe eines Krans entfernt und nach mancher Version auch gesprengt.
Ignoranz gegenüber der Geschichte
Die islamistischen Ikonoklasten schlugen zudem die hoch aufragende steinerne Marienstatue auf dem Turm der chaldäisch-katholischen Erzdiözese von Mosul ab und vergingen sich jüngsten Meldungen zufolge auch an etlichen Ikonen. Auch die Grabstätte des muslimischen Historikers Ibn al-Athir (1160-1223), die von einem Bagger demoliert wurde, blieb von der Zerstörungswut der eifernden Gotteskrieger nicht verschont.
Der Zerstörungszug des ISIS ist ein direkter Angriff auf das reiche Erbe der arabischen Kultur, für das im Herrschaftsgebiet der radikalen Islamisten kein Platz mehr vorgesehen ist. Abu Tammam war einer der bedeutendsten Dichter der arabischen Sprache im Mittelalter und verbrachte sein letztes Lebensjahr in Mosul, das sich gerne mit seinem Namen schmückt. Bereits zu seinen Lebzeiten, als noch manches Trinkgelage arabischer Herrscher bedichtet werden durfte, war er hochgeachtet, wurde jedoch wegen seines Stils – innovativ in der Form, aber inhaltlich konservativ – auch kritisiert.
Zu Weltruhm gelangte Abu Tammam durch die von ihm zusammengetragene Anthologie, die „Hamasa“. Sie ist der umfangreichste arabische Diwan und enthält 881 Gedichtfragmente, die von dem deutschen Orientalisten und Dichter Friedrich Rückert übersetzt und 1846 unter dem Titel „Hamasa oder die ältesten arabischen Volkslieder“ veröffentlicht wurden. Dass die Dichterstatue kurz vor der Ausrufung des ISIS-Kalifats dem fundamentalistischen Bildersturm anheim fiel, ist traurige Ironie – wirkliche Berühmtheit erlangte Abu Tammam nämlich erst, als der abbasidische Kalif al-Mutasim (794-842), von seiner Dichtkunst bei einer Audienz zutiefst beeindruckt, zu seinem Förderer wurde.
Im Übrigen ist dies nicht das erste Standbild des Dichters, das von Dschihadisten zerstört geworden ist. Eine weitere Denkmalstatue, die in Abu Tammams syrischem Geburtsort Jassim stand, wurde im Juli vergangenen Jahres von der islamistischen Miliz Jabhat al-Nusra, einer Rivalin des ISIS, in Brand gesteckt und gesprengt. Dass sich die religiösen Fanatiker des ISIS in Mosul schon kurz nach ihrem Einzug in die Stadt an dem Abu Tammam-Denkmal vergriffen, zeugt von dem makabren Wettstreit, den sich die rivalisierenden Extremistengruppen auch in diesem Bereich liefern.
Keine Rücksicht auf religiöse Stätte
Wie eine Ironie der Geschichte mutet auch die Vernichtung der Grabstätte von Ibn al-Athir, einem Sohn der Stadt, an. Der arabische Historiker hatte nicht nur ein umfangreiches Kompendium zu den Weggefährten Muhammads, in deren Aura die vandalierenden Dschihadisten heute zu glänzen meinen, verfasst. Er ist auch einer der wichtigsten arabischen Chronisten der Kreuzzüge, die von den Islamisten bis heute leidenschaftlich zur Chiffre europäischer Aggression erhoben werden und von denen sie ihr Lieblingsschimpfwort für die Westler al-salibiyin (Kreuzfahrer) ableiten.
Vieles, was Ibn al-Athir in seinen Annalen „Al-Kamil fi’l-Tarikh“ (etwa: „Die vollständige Geschichte“) berichtet, wirkt vor dem Hintergrund der syrischen und irakischen Bürgerkriege verblüffend aktuell – vor allem auch seine schonungslose Schilderung der Grausamkeit manch eines muslimischen Feldherrn, der seinen christlichen Gegnern in nichts nachstand.
In Bagdad wird nun befürchtet, dass die Stoßtrupplern des selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi in ihrem Siegesrausch auch noch das ebenfalls in Mosul befindliche Grab des Propheten Jona ins Visier nehmen könnten. Diese Sorge äußerte zu Wochenbeginn ein ranghoher Kulturbeamter gegenüber der irakischen Zeitung „Az-Zaman“, der auch von der Notwendigkeit sprach, die sich häufenden islamistischen Angriffe auf die Kulturgüter des Landes systematisch zu dokumentieren.
Die Befürchtungen werden nun zusätzlich genährt durch die jüngst kursierende Meldung, die ISIS-Banden hätten den Imam der Jona-Moschee, in der der Prophet Jona begraben liegt, ermordet. Die Tatsache, dass es sich um ein islamisches Gotteshaus handelt, schützt den Ort keineswegs vor dem Zerstörungswahn der Extremisten. Erst kürzlich hatte der ISIS eine prächtige Moscheeanlage im syrischen Raqqa durch Sprengung zerstört und damit in der islamischen Welt helles Entsetzen ausgelöst. Die Zerstörungswut der Islamisten richtete sich wohl gegen das darin befindliche Grab des schiitischen Sufisten Uwais al-Qarani. Der Baukomplex beherbergte aber auch das Grab Ammar Ibn Yasirs – er gilt als einer der engsten Weggefährten des Religionsstifters Muhammad.
Joseph Croitoru
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Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de