Ist Gott mit den Kreativen?
"Lieber Prophet", beginnt Yildiz Kaja ihren Vortrag, "ich wollte dir schon lange einmal schreiben." Die Medizinstudentin aus Hamburg hält das Mikrophon umklammert. Aufregung. Die schlanke Frau im langen Mantel und einem hellen Kopftuch hat den dritten Preis des Wettbewerbs "Zeig mir den Propheten" gewonnen.
Was die junge Frau mit leiser Stimme ins Mikrophon spricht, ist ungewöhnlich, so, wie die Veranstaltung, bei der sie auftritt. "Wie kann ich dich lieben", fragt sie den Adressaten ihres Briefes: "Wenn man mir als Kind auf die Finger geschlagen hat, weil ich den Koran falsch rezitiert habe? Wie kann ich dich lieben, wenn mein Bruder mich im Namen der Ehre umbringen will?"
"Wie kann ich dich lieben?"
Auf islamischen Veranstaltungen in Deutschland hört man solche Töne sonst selten. Dennoch oder gerade deswegen versagt ihr in der Mitte des Vortrags die Stimme: "Wie kann ich dich lieben?" fragt sie. Ihr Mundwinkel zuckt. Da rollt schon die erste Träne, und auch im Publikum schnieft es.
Rund 400 zumeist junge Muslime sind in die Zentralstation Darmstadt gekommen. Sie wollen sehen, wie die rund 120 Teilnehmer des Wettbewerbs der Aufforderung "Zeig mir den Propheten" nachgekommen sind. Vor einem knappen Jahr rief die Internet-Plattform Islam.de diesen Wettbewerb aus.
Das war gewagt: Die Wunden des Karikaturenkonflikts – ausgelöst durch die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammad in einer dänischen Zeitung – waren noch nicht verheilt.
"Viele Muslime hatten etwas dagegen, dass gerade Muslime jetzt so einen Wettbewerb machen", beschreibt Mohammed Laabdallaoui, von dem die Idee stammt und der mit dem "Kreativwerk" den Wettbewerb organisierte. Er spielt damit die heftige Debatte herunter, die in verschiedenen Internetforen über diesen Wettbewerb geführt wird.
Alles in islamischer Ordnung
Ganz bewusst ließen die Initiatoren offen, wie die Teilnehmer den Propheten darstellten. Es wurde gedichtet, geschrieben, gesungen und es wurde auch gemalt. "Allerdings hat niemand den Propheten als Person abgebildet", sagt Murat Hoffmann. Der weise Mann des deutschen Islam ist Schirmherr des Wettbewerbs. "Nach islamischen Traditionen sind solche Darstellungen ja unzulässig", erklärt er.
Damit müsste dann ja alles in bester islamischer Ordnung sein. Die Kritiker in den Internetforen sehen jedoch grundsätzliche Probleme: Musik, Rap oder Reggae gar halten viele für jenseits der Grenze des Erlaubten.
Rida El Housseini hat über diese Fragen lange nachgedacht. Als Teenie rappte er in der Frankfurter Szene. "Doch das passte dann nicht mehr zu mir, als ich anfing zu beten und den Islam für mich entdeckte. Wegen der Drogen und dem Frauenbild", beschreibt er. Nach fast zehn Jahren steht er jetzt wieder auf der Bühne. Mit seinem Song "Oh, Prophet" belegt er den zweiten Platz des Wettbewerbs.
Hauptgewinn: Pilgerfahrt nach Mekka
Die Jury – bestehend aus dem islamischen Rapper Ammar114, Ahmed Kreusch, der schon immer Kunst und Glauben verbunden hat, und der Sängerin und Buchautorin Hülya Kandemir – wählte den Beitrag von Abu Bakr Heyn als beste Einsendung aus. Er gewinnt eine Pilgerfahrt nach Mekka.
Im Publikum wird es still, als der Mitte 30-jährige Mann mit Vollbart und Käppi die Bühne betritt. "Mein Moment der Ewigkeit" ist das Gedicht einer Traumreise zum Propheten. Als Abu Bakr Heyn zu der Passage kommt, wo er dem Propheten in die Augen schaut, gibt es im Publikum kein Halten. Taschentücher werden verteilt, und auch der Vortragende fährt sich über die Augen. Dann fängt er sich wieder.
Mit zwei Fingern gibt er den Rap vor, als er vom Propheten spricht: "Er sagt 'Stirb, bevor dich der Tod ruft! Stirb, damit dein Leben groovt!' Er meint nicht den Mist von wegen Selbstmordattentat. Wer das tut, übt an ihm Verrat! Er meint den Tod von deinem tyrannischen Ego".
Mit rotgeränderten Augen nicken die Jungen und Mädchen im Publikum: Recht hat er. So muss es sein. "Das ist endlich einmal eine islamische Veranstaltung, die zu uns passt!", sagt ein Mädchen, das aus Karlsruhe angereist ist. "Wir sind gekommen, weil wir etwas über unseren Liebling, den Propheten, hören wollen und gerne diese Art mögen", fällt ihr ihre Freundin ins Wort.
Hülya Kandemir ist zurück
Diese Art ist etwas Neues in der Islamischen Community in Deutschland. "So etwas hat es noch nicht gegeben!" bestätigt Aiman Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland und Chef der Internetsite Islam.de. Unabhängig von islamischen Verbänden seien in vielen Städten Gruppen von jungen Muslimen entstanden, die "nicht mehr nur immer auf negative Ereignisse reagieren wollen, sondern aktiv ihre Angelegenheiten in die Hand nehmen", beschreibt er.
Als hätte der Kreativwettbewerb noch nicht genug Wirbel verursacht. In Darmstadt feiert auch noch Hülya Kandemir ihr Come-Back. Vor einigen Jahren hatte die Sängerin Rampenlicht gegen Kopftuch getauscht und darüber ein Buch geschrieben. Sie gilt seither in der islamischen Jugendszene als Vorbild. Jetzt sitzt sie im langen orientalisch bestickten Gewand auf der Bühne.
Als hätte sie plötzlich Angst vor dem eigenen Mut, verweist sie in ihrer Begrüßung auf eine Internetsite: Dort finde man Rechtsgutachten, die es Frauen erlauben, öffentlich Musik zu machen. Erst dann legt sie los. Erst sind es nur zaghafte Zuckungen, dann wippen die ersten Füße, und beim dritten Lied singt das Publikum mit. Es ist alles noch neu und ungewohnt.
Neu ist der Mut und neu ist auch die öffentliche Kritik an den Praktiken vieler Muslime. Neu ist auch die Selbstironie: "Über die Muslime sagt man ja, dass sie Verschwörungstheorien lieben", sagt Mohammed Laabdallaoui. "Und es gab ja viele Theorien darüber, wie es zum Karikaturenkonflikt gekommen ist. Ich für meinen Teil weiß es jetzt. Die Karikaturen wurden lanciert, und es wurde der ganze Zorn geschürt, damit wir dann diesen Kreativwettbewerb als Reaktion darauf veranstalten können".
Julia Gerlach
© Qantara.de 2007
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