Auf zum letzten Gefecht
Der Befund ist sachlich und offen, er liest sich auch wie eine unmissverständliche Warnung: "Die Grundfesten des Staates sind erschüttert", resümieren 43 Wirtschaftswissenschaftler der Universität Teheran in einem offenen Brief an den Präsidenten. Der Brief war in der vergangenen Woche für viele iranische Zeitungen und Webseiten das zentrale Thema.
Darin zeichnen sie ein düsteres Bild der Gegenwart und warnen vor einer erschreckenden Zukunft, die viel schneller eintreten könnte, als befürchtet. Die horrende Inflation treibe die überwiegende Mehrheit der Iraner in eine unvorstellbare Armut, soziale Unruhen seien dann nicht mehr ausgeschlossen, so das Fazit der Professoren.
Beispiellose Misere
In ihren Analysen berufen sich die Hochschullehrer ausschließlich auf offizielle Daten. Doch selbst diese meist geschönten Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Nach Angaben des Ölministers Rostam Ghasemi sind die Ölexporte in den letzten Monaten um knapp 50 Prozent geschrumpft. Und in der Rangliste der zehn Länder mit der höchsten Inflationsrate steht der Iran mittlerweile an dritter Stelle.
Die Landeswährung Rial hat binnen eines Jahres die Hälfte ihres Werts verloren. Auch existieren inzwischen praktisch keine Bankverbindungen mehr ins Ausland, weshalb kaum noch Devisen in den Iran gelangen können.
Diese beispiellose Misere könne man nicht allein den internationalen Sanktionen anlasten, sondern stünden im Zusammenhang mit der Regierungspolitik, die diesen Niedergang unaufhörlich beschleunige, schreiben die Professoren. All das sei nichts weiter als Wahlkampf-Getöse, erwiderte daraufhin Irans Präsident Ahmadinedschad bei seinem letzten Fernsehinterview am vergangenen Sonntag (3. März).
In gewisser Weise hat der Präsident sogar recht. Es ist tatsächlich dem Präsidentenwahlkampf zu verdanken, dass sich die Professoren überhaupt so offen äußern dürfen. Doch auch die Regierung fürchtet sich vor den drohenden sozialen Unruhen.
Wappnen gegen den Volksaufstand
Auch die Sicherheitsorgane haben in den vergangenen Wochen offen und wiederholt darauf hingewiesen. Vielfach ist die Rede von einer "aufgestachelten Menge", die man kontrollieren müsse. Diesmal werde „der Feind“ die Menschen in den Provinzen aufzuwiegeln versuchen und nicht wie vor vier Jahren in den Großstädten, so die Prognose von General Naghadi, Chef der paramilitärischen Verbände der "Basidsch".
Um möglichen sozialen Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen, setzt die Führung in Teheran neben gewaltsamer Unterdrückung auch auf andere Strategien. Zum persischen Neujahrsfest will die Regierung rund 80 Prozent der Bevölkerung eine Geldsumme zwischen 30 und 50 Euro überweisen. Und das Parlament beschloss am vergangenen Montag (4. März), bedürftigen Familien Gutscheine und Essenskörbe auszuhändigen.
Diese Regelung, in bestimmten zeitlichen Abständen Lebensmittelkörbe auszuhändigen, werde alle drei Monate modifiziert. Die Regierung müsse dafür aber die notwendigen Finanzmittel im kommenden Budget genau anweisen, sagt der iranische Ökonom Djamschid Assadi von der Universität Paris. Damit kehre die Kriegswirtschaft zurück. Mit dem System der Rationierung und Zuteilung von Lebensmitteln seien die Iraner ja bestens vertraut, so Assadi. Dieses System gehörte während des achtjährigen Irakkriegs praktisch zum Alltag der Iraner.
Allerdings hat Mahmud Ahmadinedschad dem iranischen Parlament bislang noch keinen Haushaltsplan für das kommende Jahr vorgelegt, das schon am 20. März beginnt. Nur ein Budget für die kommenden drei Monate wollen die Abgeordneten genehmigen, dann ist auch die Präsidentschaft Ahmadinedschads endgültig Geschichte.
Feldzug gegen Korruption und Verderbnis
Doch ganz so sang- und klanglos will der iranische Präsident die politische Bühne nicht verlassen. In den letzten Monaten seines Amtes präsentierte er sich denn auch als ein einfacher Mann des Volkes, der unermüdlich und selbstlos gegen die mächtigen, reichen und korrupten Familien und Banden kämpft.
Wie spektakulär und gerissen er dabei vorgeht, konnte man bereits Anfang Februar in einer Parlamentsdebatte beobachten, als er ein Video vorspielte: Heimliche Filmaufnahmen, die einen Bestechungsdeal in Höhe von 30 Millionen Euro zeigten. Der Clan des Parlamentspräsidenten Laridschani stand im Mittelpunkt dieser Bestechungsaffäre.
Dies seien "reine Robin-Hood-Spiele" und "verächtliche Mafia Methoden", konterte Ali Laridschani. Doch die ungewöhnlich harsche Reaktion des Parlamentspräsidenten demonstriert, dass Ahmadinedschad mit seinen Enthüllungsmethoden seine politischen Ziele nicht verfehlt. In ganz ähnlicher Weise gelang es ihm nämlich bereits vor vier Jahren den omnipotenten Rafsandschani-Clan zu entmachten.
"Das war ein Meisterstück des Populismus – gepaart mit Skrupellosigkeit und auch Brutalität", erinnert sich Modschtaba Vahedi, Berater von Mehdi Karrubi, dem inhaftierten Oppositionsführer der früheren "grünen Bewegung" des Jahres 2009. Diesmal täusche sich Ahmadinedschad jedoch gewaltig, weil er gegen Revolutionsführer Khamenei opponiere.
Die Zeiten haben sich in der Tat geändert und damit auch die Loyalitäten. Hatte Ahmadinedschad noch vor vier Jahren Ajatollah Khamenei voll auf seiner Seite, so muss er dieses Mal auch gegen Khamenei kämpfen. Der Präsident ist deshalb inzwischen so tief beim Revolutionsführer in Ungnade gefallen, dass einige Khamenei nahestehende Zeitungen und Webseiten ernsthaft darüber spekulieren, wann Ahmadinedschad nach der Präsidentenwahl verhaftet wird.
Der Favorit des Präsidenten
Das weiß der Präsident wohl auch, und deshalb versucht er einen seiner Männer, nämlich Esfandiar Rahim Mashaee, als Präsidentschaftskandidat aufzubauen. Nur so kann er letztlich der Rache seiner mächtigen Gegner entkommen. Ahmadinedschad sei im Grunde genommen auf der Suche nach einer Lebensversicherung, meint denn auch der Satiriker Ibrahim Nabawi.
Liefe der Wahlkampf nach den gängigen Methoden der Islamischen Republik ab, werde am Ende auch diesmal ein Vertrauter Khameneis der nächste Präsident sein, und danach seien die Tage Ahmadinedschads als freier Mann gezählt, schreibt die Webseite "Baztab".
Doch der iranische Präsident gibt sich bislang noch kämpferisch und verheißt in Anspielung auf die "Arabellion" einen "iranischen Frühling". Parallel dazu droht er mit weiteren Enthüllungen gegen Irans Mächtige in Staat und Gesellschaft. Der Basar der Spekulationen hat also längst wieder Hochkonjunktur. Welche Affäre wird wohl als nächstes publik und das Land erschüttern?
Ali Sadrzadeh
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de