Sicherheitsdenken auf Kosten der Freiheit

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Rasterfahndung eingeschränkt. Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime glaubt jedoch, dass die anhaltenden sicherheitspolitischen Maßnahmen das Misstrauen gegenüber Muslimen weiter förderten. Von Peter Philipp

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht Ende Mai die Rasterfahndung eingeschränkt. Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime glaubt jedoch, dass die anhaltenden sicherheitspolitischen Maßnahmen gegen Muslime ein Klima des Misstrauens erzeugten, die der Integration abträglich seien. Von Peter Philipp

Aiman Mazyek; Foto: AP
Aiman Mazyek: "Wir stellen immer wieder fest, dass viel von Integration gesprochen wird, jedoch letztlich nur sicherheitspolitische Maßnahmen ergriffen werden."

​​Die britische Polizei glaubte kürzlich in London einen dicken Fang gemacht zu haben: Ein Wohnhaus wurde umstellt und nach einer kurzen Belagerung wurden einige junge Männer festgenommen.

Doch sehr rasch stellte sich heraus, dass keiner der Verhafteten in Verbindung mit islamistischem Terrorismus stand, wie die Behörden sehr früh vermutet hatten. Die Polizei musste sie daher wieder freilassen, einer der Freigelassenen erklärte später resigniert: Der einzige Verdachtsmoment gegen ihn sei wohl gewesen, dass er Muslim und Bartträger sei und aus Asien stammt.

Permanent im Fadenkreuz der Fahnder

Die britischen Behörden hatten bei ihrer Suche nach Terroristen offenbar Methoden angewandt, die fast zur gleichen Zeit in Deutschland vom Karlsruher Bundesverfassungsgericht verboten wurden: Das oberste Gericht untersagte die Methode der "Rasterfahndung", bei der Personen nur nach äußerlichen Gemeinsamkeiten untersucht werden, nicht aber auf Grund eines konkreten Tatverdachts.

Die Klage war von einem arabischen Studenten angestrengt worden, der es leid war, als Muslim und Araber häufig ins Fadenkreuz der Fahnder zu geraten.

Das Urteil von Karlsruhe fand naturgemäß breite Zustimmung unter arabischen und muslimischen Kommilitonen des Klägers, aber auch der "Zentralrat der Muslime in Deutschland" begrüßte den Spruch. Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime, ist der Meinung, dass Kriterien – wie Gläubigkeit oder Mitgliedschaft in einer muslimischen Community – ohnehin völlig ungeeignet seien.

Sicherheitsdenken und Generalverdacht

Man höre zwar immer wieder in Politikerreden, dass es keinen Generalverdacht gegen Muslime gebe. Aber Fahndungen dieser Art, Moscheen-Durchsuchungen und "verdachtsunabhängige Personenkontrollen" vor Moscheen erzeugten genau diesen Effekt.

Maßnahmen dieser Art und verstärkte Wachsamkeit gegenüber Muslimen und Moscheen in Deutschland haben besonders nach dem 11. September zugenommen. Und auch über vier Jahre später sieht Mazyek noch keine Lockerung:

"Die Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit verläuft oft zu Ungunsten der Freiheit", so Mazyek. "Wir stellen bedauerlicherweise immer wieder fest, dass viel von Integration gesprochen wird, jedoch letztlich nur sicherheitspolitische Maßnahmen ergriffen werden. Man kann aber Integrationspolitik nicht durch Sicherheitsmaßnahmen ersetzen."

Beim Versuch mancher Politiker, immer wieder neue Sicherheitskonzepte zu entwickeln und zu empfehlen, bleibe nur allzu oft die Freiheit auf der Strecke, so Mazyek. Dabei übersehe man leicht, dass – wie auch im Bericht des Bundesinnenministers nachzulesen sei – Radikalismus und Gewalt von rechts in Deutschland zunehmen, nicht aber von Seiten der Muslime.

Die einseitige Konzentration auf den Islamismus bewirke außerdem genau das Gegenteil des erhofften Ziels: Radikale Elemente gewännen dadurch die Oberhand und fänden es leichter, bisher indifferente Muslime davon zu überzeugen, dass sie eben doch wegen ihrer Religion benachteiligt, beobachtet oder verfolgt würden.

Die muslimischen Gemeinden seien um Mäßigung und Verständigung bemüht: Sie könnten dies aber nicht alleine leisten, sondern seien auf die Unterstützung durch die Gesellschaft und die Politik angewiesen.

Taten statt Worte

Nur allzu oft aber fühlten sie sich dabei alleine gelassen. Obwohl die Ausgangslage in Deutschland doch eigentlich gut sei, so Mazyek:

"Wir haben in Deutschland eine muslimische Community, die sehr resistent gegenüber extremen Formen von Islamauslegung ist. Das ist deutlich geworden insbesondere nach diesem Karikaturenstreit. Da wurde ja klar, dass die Muslime sich wehren, so dargestellt zu werden. Andererseits ist ihr Protest zivilisiert und gewaltlos."

Positiv sei, dass insbesondere die Kirchen seit den 90er Jahren verstärkt für Dialog mit den Muslimen eintreten und dass die Politik dies inzwischen teilweise übernommen habe. Bei Diskussionen und "schönen Worten" einer solchen Dialoginitiative dürfe es aber nicht bleiben: Es müssten vielmehr Taten folgen, meint Mazyek.

Die Politik habe viel angekündigt, bisher sei jedoch kaum etwas davon geschehen, das geeignet wäre, die Muslime in Deutschland wirklich zu überzeugen. Man sei jedoch zuversichtlich, dass die neue Initiative von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, eine Konferenz mit Muslimen im kommenden September zu veranstalten, vielleicht neue Bewegung bringen könnte, so Mazyek.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE 2006

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