Schulische Erziehung vor Religionsfreiheit
Der Schwimmunterricht ihrer Kinder bringt manche muslimische Eltern ins Schwitzen. Denn das gemeinsame Schwimmen von Jungen und Mädchen, wie es der reguläre Sportunterricht vorsieht, sei nicht mit dem Islam vereinbar. Zum Spannungsverhältnis zwischen Glauben und Sport berichtet Petra Tabeling
Freitags ist das Genovevabad in Köln-Mühlheim gut besucht. Dann ist islamisches Frauenschwimmen. Kleinkinder, junge Mädchen und Frauen kommen hierher um ungestört von männlichen Blicken zu baden. Die Fenster werden verhangen, durch die strahlend gelben Vorhänge scheint warmes Licht. Nur weibliches Badepersonal hat an diesem Nachmittag Aufsicht.
Streitbare Fälle vor Gericht
Vielleicht wären die muslimischen Eltern eines neun Jahre alten Mädchens für ein ähnliches Angebot in Hamburg dankbar. Die Eltern aus Pakistan hatten ihrer Tochter die Teilnahme am regulären Schulschwimmen mit der Begründung verweigert, dies sei gemäß religiöser Auffassung eine Sünde. Sie wollten nicht, dass ihre Tochter gemeinsam mit Jungs in das Wasser steigt.
Doch das Gericht entschied, das Kind müsse teilnehmen, und stellte somit den schulischen Erziehungsauftrag vor die Religionsfreiheit. Entscheidend hierfür war auch das Alter des Mädchens: Bekleidungsvorschriften des Korans gelten nicht für Mädchen vor der Geschlechtsreife.
In einem anderen Fall urteilte das Düsseldorfer Verwaltungsgericht sehr ähnlich. Die Eltern eines elfjährigen Jungen wollten ihren Sohn ebenfalls vom Schwimmunterricht befreien. Das Schwimmen mit Mädchen war ihrer Meinung nach nicht mit dem Koran vereinbar.
Auch hier entschieden sich die Richter dagegen, weil die religiösen Vorschriften für das Gericht nicht nachvollziehbar waren. Zudem sei ein Junge jederzeit an öffentlichen Plätzen und durch Werbung sowieso dem Anblick "leicht bekleideter" Frauen ausgesetzt.
Eine Sache der Abwägung
Nicht immer sprechen sich die Gerichte zu Ungunsten der muslimischen Kläger aus. Doch der bloße Verweis auf den Konflikt mit religiösen Pflichten genüge nicht für eine Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht, heißt es im aktuellen Bericht zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration.
"Vielmehr muss dargelegt werden, dass Schüler durch verbindliche religiöse Ge- und Verbote gehindert sind, der gesetzlichen Pflicht nachzukommen und sie andernfalls in einen schwerwiegenden Gewissenskonflikt gestürzt würden."
Und das kann vor allem ab der Pubertät der Fall sein. Doch nach einem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichtes von 1993 sind Schulen verpflichtet, alle organisatorischen Möglichkeiten auszuschöpfen, in diesem Alter einen getrennten Sportunterricht anzubieten. Und: Aufgrund der Neutralitätspflicht des Staates müssen sich Schulverwaltungen und Gerichte einer Beurteilung der religiösen Überzeugungen strikt enthalten.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung stellt in dem Bericht allerdings auch fest, dass "eine gewisse Verunsicherung, wie die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für eine Ausnahmebefreiung" umgesetzt werden sollen.
Daher empfiehlt sie praktische Entscheidungshilfen zu entwickeln, so dass Schulen kompetent, "d.h. klar ausgrenzend gegenüber islamistischen Forderungen, aber integrierend gegenüber religiösen Anliegen" mit entsprechenden Ausnahmeanträgen umgehen können.
Hauptsache Schwimmen lernen
Laut eines Hadiths (Ausspruch des Propheten Mohammed), ist Schwimmen nicht grundsätzlich verboten, im Gegenteil: "Das Recht des Kindes gegenüber seinem Vater ist, dass (…) ihm das Schwimmen (…) beigebracht wird."
Und da liegt ein weitaus grundlegenderes Problem, das muslimische Kinder mit anderen - ganz gleich welcher Nation und welchen Glaubens - gemeinsam haben. Schwimmunterricht wird längst nicht mehr an allen Schulen regelmäßig unterrichtet. Bademeister beklagen, dass viele Kinder im Grundschulalter immer noch nicht schwimmen können. Schulministerien kontern, dass es nicht die alleinige Aufgabe der Schule sei, Kindern das Schwimmen beizubringen.
Die These daraus zu folgern, dass Kinder, die aus wichtigen religiösen Gründen vom Schwimmunterricht befreit werden, zu einer höheren Ertrinkungsquote beitragen, sei höchst spekulativ. Zudem sei die Zahl der betroffenen Schüler, die aus religiösen Gründen befreit werden, ohnehin als sehr gering zu beziffern, so lautet es aus dem Schulministerium in Nordrhein-Westfalen.
Dialog und Anleitung
Das Hessische Islamforum hat kürzlich Empfehlungen zu dem Aspekt "Muslimische Kinder in der Schule" herausgegeben. Darin findet sich auch eine Stellungnahme zum Sport- und Schwimmunterricht, die sie an Schulämter, islamische Organisationen, und an die Kultusministerien weitergeben wollen.
Das Forum spricht sich für einen schonenden Interessenausgleich zwischen Schule und muslimischen Glaubensfragen aus: "Wir wollen die muslimischen Eltern nicht motivieren, ihre Kinder vom Schwimmunterricht zu befreien, sondern sie anleiten, möglichst auch mit den Schulen gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen", so Ramazan Kuruyüz von der islamischen Religionsgemeinschaft in Gießen.
Schulämter und Schwimmhallen sollten mehr Möglichkeiten anbieten, getrennte Schwimmzeiten einzurichten. Kuruyüz, selbst Lehrer, weiß, dass das zwar nicht immer einfach zu organisieren ist, dafür aber nötig. Angebote wie "islamisches Frauenschwimmen" seien wichtig, noch sinnvoller aber sei es, in diesen Zeiten auch gezielten Schwimmunterricht anzubieten.
Kuruyüz fordert außerdem eine einheitliche Regelung für getrenntes Schwimmen, denn bislang wurden die muslimischen Bedenken fast immer nur gegen junge Frauen ausgesprochen. "Dabei haben auch Männer eine strenge Bekleidungsordnung einzuhalten", so Kuruyüz.
Beim islamischen Frauenschwimmen im Kölner Genovevabad sind die Bekleidungsgebote jedenfalls kein Problem mehr. Die Frauen dürfen auch mit langen Sporthosen ins Wasser.
Petra Tabeling
© Qantara.de 2005
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Informationen und Empfehlungen zu "Muslimischen Kindern in der Schule", darunter auch zum Schwimmunterricht, des Hessischen Islamforums, finden Sie beim Interkulturellen Rat