Besuch aus Kabul
Drei Wochen lang konnten sich neunzehn Schüler aus Kabul einen Eindruck vom deutschen Schulalltag verschaffen. Gastfamilien aus Elsterberg und Chemnitz hatten sie bei sich zuhause aufgenommen. Silke Bartlick hat mit einigen von ihnen gesprochen.
Ahmad Farhads Gesicht ist vernarbt. Im Krieg, sagt er, seien drei seiner Brüder und er selbst verletzt worden. Mehr erzählt er nicht, blickt kurz ernsthaft in die Ferne und lächelt unvermittelt. Dann wechselt er das Thema. Dieser Austausch, sagt er, sei ein Wunder.
Ahmad ist 19 Jahre alt und besucht in Kabul die Amani-Oberrealschule. Seit dem 21. August war er in Deutschland und nahm mit 18 weiteren Jugendlichen am ersten deutsch-afghanischen Schüleraustausch teil.
Auch Atifa Formuli, ein junges Mädchen in einem schlichten schwarzen Anzug ist begeistert: "Dass wir hierher gekommen sind, bedeutet, dass Jungen und Mädchen gleich sind," sagt die 18-Jährige, deren wunderschöne grüne Augen unter dem Kopftuch hervorblitzen. Denn in Kabul gehen Jungen und Mädchen nur die ersten beiden Jahre zusammen zur Schule, dann trennen sich ihre Wege. "Und hier", so Atifa, "reden wir nun miteinander."
Sie ist Schülerin des Aische-e-Durani-Mädchengymnasiums, das wie die Amani Oberrealschule vom Auswärtigen Amt gefördert wird und Deutsch als Unterrichtsfach anbietet. Die fleißigsten Jungen und Mädchen beider Schulen durften nun nach Sachsen reisen, in Gastfamilien leben und sich einen Eindruck vom deutschen Schulalltag verschaffen.
"Unsere Schüler ehren ihre Lehrer"
Dem 16-jährigen Masih ullah Hamkar fielen besonders die Jungen mit den langen Haaren und den Ohrringen auf: "In Afghanistan gibt es viel weniger Jungen mit Ohrringen oder langen Haaren. Und die Kleidung der Mädchen ist auch ganz anders." Auch die Art des Unterrichts in deutschen Schulen war ihm fremd. "Unsere Schüler ehren ihre Lehrer, die Disziplin in Deutschland gefällt mir nicht so gut", erzählt er.
Die afghanischen Schüler und Schülerinnen, die in Kabul zusammen mit 60 anderen in einem Klassenzimmer sitzen und bei Ungehorsam durchaus einmal eine Ohrfeige kassieren, wollen vor allem eines: lernen, lernen und immer wieder lernen. Damit sie später ihren Anteil am Wiederaufbau des Landes leisten können.
In Deutschland haben sie sich deshalb während ihres Aufenthalts gerne und mitunter staunend schöne Gebäude, all das Grün, die Geschäfte, Autobahnen und Züge angesehen. Neugierig aber waren sie vor allem auf die modernen Lehrmethoden.
Deutschland als Vorbild
"Das war eine Überraschung für mich hier, dass die Schüler in verschiedenen Klassenzimmer lernen", berichtet Mohammed Feisal. "Die Unterrichtsmethode ist sehr, sehr gut. Immer werden Computer und Technik eingesetzt. Die Schüler können alles sehen, also nicht nur im Buch nachlesen, sondern sie können etwas sehen und lernen. Das war für mich eine Überraschung. In Afghanistan habe ich immer nur die Bücher gelesen und memoriert."
Wenn sie wieder in Afghanistan sei, so Atifa, dann werde sie dem Bildungsministerium und jedem anderen erzählen, wie die Schüler in Deutschland arbeiten: "Ich habe gesehen, dass in Deutschland jeder eigenverantwortlich arbeitet. Und so ist das Land schön und sauber geworden. Wenn wir zurückgehen, werden wir allen erzählen, dass wir unser Land auch so machen."
Um dabei helfen zu können, wollen viele der Schüler und Schülerinnen aus Kabul studieren. Am liebsten in Deutschland, sie hoffen auf entsprechende Unterstützung. Denn hier gibt es Universitäten, und hier sind sie freundlich aufgenommen worden. Es spiele keine Rolle, dass sie aus einem anderen Kulturkreis komme, sagt Atifa, sie seien doch alle Menschen.
Silke Bartlick
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004
Website des Fördervereins der Amani-Oberrealschule in Kabul