Den anderen Glauben entdecken
Die 15 Berliner Schüler einer technischen Berufsfachschule sitzen im Kreis. Vor ihnen steht Ufuk Topkara, ein 27jähriger Mann mit gleichmäßig zurückgekämmtem Haar, einer dunkel gerahmten Brille und einem Dreitagbart, man könnte ihn glatt für einen smarten Webdesigner halten.
Er stellt sich der Klasse als Deutsch-Türke, oder türkischer Deutscher vor, "je nachdem, wie man es nimmt", sagt Topkara. Er sei in Berlin geboren und aufgewachsen, hat Geschichte und Philosophie an der Humboldt-Universität studiert. In seiner Freizeit boxe er gerne, fügt er noch hinzu.
Seit drei Jahren gestalten Ufuk Topkara und drei weitere türkische Muslime Führungen im Jüdischen Museum in Berlin. Der junge Geschichtswissenschaftler hatte sich im Studium mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt und auch mit der deutsch-jüdischen Geschichte.
Keine Selbstverständlichkeit
Als sich die Gelegenheit bot, im Jüdischen Museum zu arbeiten, nahm er das als Chance wahr. Oftmals hat er es im Museum mit Schulklassen zu tun. Nicht selten befinden sich unter den Schülern auch Muslime, die einen Besuch im Jüdischen Museum ablehnen.
"Sehr oft hört man von den Lehrern, dass die Kinder sagen: 'Was habe ich im Jüdischen Museum verloren? Ich habe doch mit dem Holocaust nichts zu tun!'", berichtet Topkara. So zum Beispiel drei Pennäler einer Gymnasialklasse aus München: Im letzten Augenblick teilten sie Ihrem Ethiklehrer mit, dass sie lieber im Hotel bleiben würden, als an einer islamisch-jüdischen Führung teilzunehmen.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Dabei ist die Grundidee dieser Führung, Gemeinsamkeiten des Judentums und des Islams zu entdecken und Parallelen zwischen den Religionen aufzuzeigen. Traditionen werden verglichen, Bräuche im Alltag und welchen Einfluss die Religion auf das alltägliche Leben der Juden und Muslime hat.
Dass es im Museum nur Exponate zum jüdischen Glauben gibt, aber nicht zum muslimischen, ist kein größeres Problem. Die Führer behelfen sich damit, dass sie die Exponate mit sich tragen und an den entsprechenden Stellen präsentieren.
Wenn zum Beispiel die Besuchergruppe dort ankommt, wo die Tora ausgestellt ist, holt die türkische Museumsführerin Canan Korucu-Rieger ein Koranexemplar hervor, nachdem sie die Tora vorgestellt hat: "Wenn man aus dem Koran lesen möchte, sollte man sich vorher rituell reinigen", sagt sie.
Der Islam kenne zwei Formen der rituellen Reinigung. Die eine Form wird als große rituelle Reinigung bezeichnet. Sie ähnelt dem der jüdischen rituellen Reinigung. Dabei müsse man den gesamten Körper mit fließendem Wasser waschen, so Canan Korucu-Rieger. Man müsse aber nicht wie im Judentum in ein rituelles Tauchbad, also an einem dafür vorgesehenen Ort den gesamten Körper eintauchen, sondern könne das auch in der eigenen Wohnung, zum Beispiel unter der Dusche machen.
Die türkischstämmige gelernte Erziehungswissenschaftlerin erklärt danach den Elftklässlern aus Bayern welches Fleisch, wie zubereitet im Judentum und im Islam gegessen werden darf, was es mit der Kopfbedeckung in beiden Religionen auf sich hat, wann jüdische und wann muslimische Kinder beschnitten werden.
Vage Erfolgsaussichten
Am Ende der Führung ist die 17jährige muslimische Schülerin Sora, deren Eltern aus Afghanistan stammen, sichtlich überrascht: "Ich war ziemlich beeindruckt, weil ich zum ersten Mal so richtig mitbekommen habe wie viele Gemeinsamkeiten es zwischen beiden Weltreligionen gibt und dass man nicht so weit voneinander entfernt ist, wie man glaubt", sagt sie.
Die allermeisten Schüler muslimischen Glaubens sind wie Sora während der Führung von den aufgezeigten Gemeinsamkeiten zwischen dem Islam und dem Judentum überrascht – und auch darüber, dass Muslime durch das jüdische Museum führen.
Aber wie viel bleibt davon übrig, wenn sie das Museum verlassen? Ufuk Topkara äußert sich skeptisch, was die Erfolgsaussichten des Projekts betrifft. "Wenn die Kinder wieder in ihren Milieus sind, bleiben sie diesen Strukturen nun mal wieder verhaftet."
Panagiotis Kouparanis
© DEUTSCHE WELLE 2008
Qantara.de
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