Ein Präsident auf verlorenem Posten
Der Sieg der Oppositionsparteien in Pakistan hat die politische Landschaft des Landes über Nacht vollkommen verändert. Mit ihrer Parlamentsmehrheit könnte ein Bündnis von Volkspartei und Nawaz-Liga nun ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einleiten. Irfan Hussein informiert.
Zu den großen Verlierern der Wahl gehören die Kleriker der Vereinigten Aktionsfront ("Muttahida Majlis-e-Amal", MMA). Dieses Bündnis (aus den beiden großen islamischen Parteien "Jamaat-e-Islami" (Islamische Gemeinschaft; JI) und "Jamiat Ulema-e-Islam" (Gemeinschaft Islamischer Gelehrter; JUI) sowie einigen weiteren Parteien der religiösen Rechten, hatte bei den Wahlen von 2002 eine unerwartet hohe Zahl von Sitzen sowohl auf Provinz- als auch auf Landesebene gewinnen können.
Viele Pakistaner vermuteten, dass dies vom mächtigen militärischen Geheimdienst ISI bewerkstelligt wurde, der bei den meisten Wahlen eine wichtige Rolle spielt. Doch nun wurde die Aktionsfront von den beiden säkularen Parteien ANP ("Awami National Party", ANP) und PPP (Pakistanische Volkspartei) vernichtend geschlagen.
ANP und PPP werden nun voraussichtlich eine Koalitionsregierung in der Nordwest-Provinz an der Grenze zu Afghanistan bilden. Dies wird nicht ohne gravierende Folgen für den Kampf gegen die Taliban in diesem Stammesgebiet bleiben.
Musharraf als "lahme Ente"
Die andere Partei, die die Wut des Wahlvolkes zu spüren bekam, ist die "Q-Abspaltung" der Muslimliga, eine Partei, die vor der Wahl 2002 zusammengewürfelt wurde, um als größter Koalitionspartner für Musharraf zu dienen. Die jüngsten Wahlen aber verdammen diese Gruppierung praktisch zur Bedeutungslosigkeit. Die meisten Kandidaten wurden von den Wählern für die hohen Lebensmittelpreise und die jüngsten Strom- und Gas-Engpässe abgestraft.
Der größte Verlierer von allen aber dürfte Musharraf selbst sein. Schon durch seinen durch den öffentlichen Druck erzwungenen Rückzug vom Amt des Armeechefs geschwächt, wird er nun immer mehr zur "lahmen Ente".
Innerhalb nur eines Jahres wurde aus einem scheinbar allmächtigen Präsident und Armeechef ein einsamer Mann ohne Macht und Perspektiven. Er würde gut daran tun, jetzt abzudanken, anstatt sich in eine aussichtlose Auseinandersetzung mit der nächsten Regierung einzulassen. Doch Diktatoren sind nicht unbedingt bekannt für würdige Abgänge.
Der größte Gewinner ist Benazir Bhuttos PPP, die mit Sicherheit die Koalitionsregierung in Islamabad anführen wird. Der PPP gelang es auch, in den ländlichen Regionen in Bhuttos Heimatprovinz Sindh zu gewinnen, wo die Menschen der Partei aus Sympathie zu einer deutlichen Mehrheit verhalfen.
Machtgewinn der Nawaz-Liga
In Punjab, der größten Provinz des Landes, war es Nawaz Sharif, der andere, aus dem Exil zurückgekehrte Parteiführer, der am besten abschnitt. Die von ihm geführte Abspaltung der Muslimliga wird wohl hier einer Koalition vorstehen. Der Umstand, dass er ausgerechnet hier, in der bisherigen Basis seiner Macht, so deutlich geschlagen wurde, ist besonders demütigend für Musharraf und seine Verbündeten.
Die Konturen eines zukünftigen Parlaments werden die Haltung der meisten Pakistaner reflektieren: Die PPP ist eine fortschrittliche, säkulare Partei, während Sharifs Partei, als PML-N bekannt, in der Mitte des politischen Spektrums angesiedelt ist. Wenn beiden eine Zusammenarbeit gelingt, könnte das Land endlich die stabile und starke Regierung bekommen, die es so dringend braucht.
Noch kurz vor dem Urnengang hatten viele Menschen befürchtet, dass die jetzige Regierung – angesichts des zu erwartenden Ausgangs – versuchen würde, die Wahlen zu manipulieren, was eine öffentliche Empörung ausgelöst hätte, ähnlich der, die nach der Ermordung Benazir Bhuttos am 27. Dezember einsetzte.
Fairer Verlauf der Wahlen
Doch nun zeigt sich, dass Musharraf sich an sein Versprechen gehalten hat, dass die Wahlen frei und fair ablaufen würden. 200 ausländische Wahlbeobachter, die meisten aus der EU, überwachten den Verlauf der Wahlen. Der überwiegende Teil von ihnen bestätigte, dass es zu keinen größeren Unregelmäßigkeiten gekommen sei.
Und doch blieb die Gewalt nicht aus. Am Wahltag selbst und bereits während des Wahlkampfs wurden rund 100 Menschen getötet, zehn allein am 18. Februar. Am Vorabend der Wahl wurde ein Kandidat der PML-N aus Lahore erschossen. In viele dieser Vorfälle waren angeblich Aktivisten der PML-Q verwickelt.
Das Problem einer Koalitionsbildung aus PPP und der PML-N liegt in der Forderung von Nawaz Sharif, dass Musharraf zuerst zurücktreten und der Oberrichter, den er im letzten November entlassen hatte, wieder eingesetzt werden müsse.
Beide Forderungen haben bei der PPP keine hohe Priorität. Ihr Parteiführer Asif Zardari, Witwer der ermordeten Benazir Bhutto, spricht stattdessen von nationaler Versöhnung und hat mehrfach erklärt, nicht an einer Rache für den Mord an seiner Frau interessiert zu sein – eine Haltung, die ihm zweifellos zur Ehre gereicht.
Ein Grund dafür, dass die Wahl allgemein als transparent angesehen wird, ist auch darin zu erkennen, dass sich General Ashfaq Kiyani, der neue Armeechef, aus der Politik zurückzieht. Er machte klar, dass er keinerlei politische Rolle spielen wolle, was den pakistanischen Politikern endlich die Chance gibt, sich aus den Fesseln des Militär zu befreien, von denen sie so lange gebunden waren.
Realitätsfremder Präsident
Der Westen hat Musharraf seit dem 11. September immer unterstützt, da die dortigen Führer davon überzeugt waren, dass der "war on terror" erfolgreich nur mit Hilfe der pakistanischen Armee geführt werden könne. Musharraf genoss die Bedeutung für die Weltpolitik, die ihm dadurch zufiel, so sehr, dass er zum Schluss überzeugt war, dass er unentbehrlich für Pakistan, ja für die Welt sei.
Dieser Größenwahn ließ ihn wohl die Realität nicht mehr richtig wahrnehmen. Nur so ist zu erklären, dass er noch einen Tag vor der Wahl Zuversicht zeigte und einen Sieg seiner PML-Q vorhersagte.
Auch wenn es sicher zu früh ist, Musharraf abzuschreiben, ist es klar, dass er, wenn er weiterhin Präsident bleiben will, eine sehr viel kleinere Rolle spielen wird.
In der pakistanischen Verfassung kommen dem Präsidenten keine exekutiven, sondern nur rein repräsentative Funktionen zu, als Symbol des Staates. Ob es sein Ego erlaubt, die Macht an den neuen Premierminister zu übergeben, bleibt abzuwarten.
Irfan Hussein
© Qantara.de 2008
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Qantara.de
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