Wahlmüdigkeit am Hindukusch
Aus Kabul berichtet Ratbil Shamel
Afghanistan hat gewählt - zwar halbherzig, aber durchaus mit Erfolg. Nach ersten Hochrechnungen hat knapp die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Angesichts der angespannten Sicherheitslage ist das ein Erfolg, an den wenige geglaubt hatten.
Gescheiterte Strategien der Taliban
Kein Wunder: Die Taliban waren in den letzen Monaten stärker geworden, täglich gab es Angriffe auf die Kandidaten. Die selbst ernannten Gotteskrieger hatten zudem stets versichert, die Wahlen durch massive Angriffe zu verhindern. Tatsächlich wurden Anschläge verzeichnet, mehrere Menschen starben am Wahlsonntag. Die Wahl verhindern konnten die Anschläge aber nicht.
Die Menschen sind trotzdem zu den Wahlurnen gegangen. Ihr Ziel: Frieden und Sicherheit nach über 20 Jahren Krieg und Elend. Die Taliban sind mit ihrer Strategie gescheitert.
Die Truppen der ISAF, der Antiterror-Koalition unter der Führung der USA, und die afghanische Armee und Polizei hatten die Lage im Griff - die Menschen fühlten sich sicher. Peter Erben, Cheforganisator der Wahlen, war selbst ein wenig überrascht über den relativ friedlichen Verlauf des Tages. Die friedliche Atmosphäre an den Wahllokalen sei bemerkenswert gewesen, so Erben.
Langes Auszählungsprozedere
Doch noch sind die Wahlen in Afghanistan nicht zu Ende. Die Stimmzettel sind abgegeben, aber sie sind noch nicht gezählt. Rund einen Monat, sagen die Verantwortlichen, wird es dauern, bis alle Wahlzettel zu den 32 regionalen Auszählungszentren transportiert und ausgezählt sind.
Der 22. Oktober wird als Termin für ein Wahlergebnis gehandelt. Eine weitere Herausforderung, meint Emma Bonino, Chefin der Wahlbeobachtungskommission der EU: "Wenn alles gut geht, dann kommt eine lange Phase des Streitens um die Ergebnisse der Wahlen. Viele Kandidaten können die Wahl auch anfechten", meint Bonino.
Stimmzetteltransport mit Eseln und Kamelen
Für die afghanische Regierung und die internationalen Truppen stellt sich nun die Frage, wie sie die Wahlurnen vor Manipulationen schützen können. Vielerorts müssen die Stimmzettel mit Eseln oder Kamelen über schwer passierbare Bergwege in die Auszählungszentren gebracht werden. Eine Gelegenheit für die Gegner der Wahlen, die Wahlzettel zu vernichten und so die Wahlen nachträglich in Frage zu stellen.
Die afghanische Regierung versprach aber, alles dafür zu tun, um Störungen zu vermeiden. Ali Ahamd Jalali, Afghanistans Innenminister erklärte im staatlichen Fernsehen, dass afghanische und internationale Truppen bereits ihre Vorkehrungen getroffen haben.
Ursachensuche für geringe Wahlbeteiligung
Die Kandidaten selbst aber scheinen sich weniger um die Sicherheitsfragen Sorgen zu machen. Viel mehr interessiert sie, warum die Wahlbeteiligung so niedrig gewesen ist.
Ramazan Baschardost, ehemaliger Planungsminister und aussichtsreicher Kandidat für das Parlament, gibt der falschen Politik von Präsident Hamid Karsai die Schuld: "Die Menschen sind enttäuscht. Enttäuscht, weil sich nach den Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr ihr Leben bislang nicht spürbar verbessert hat", so Baschardost.
Präsident Hamid Karsai habe keines seiner Versprechen eingelöst, erklärt der frühere Planungsminister: "Viele denken nun, eine weitere Wahl würde ihre Lage auch nicht verbessern. Zudem gehen sie davon aus, dass es so oder so zu Wahlmanipulationen kommen würde."
Politische Defizite der Regierung Karsai
Die unabhängigen afghanischen Wahlbeobachter sind ebenfalls überrascht, wie wenig Interesse den Wahlen - gerade in der Hauptstadt Kabul - entgegen gebracht wurde. Auch sie machen die erfolgslose Wirtschafts-, Bildungs- und Gesundheitspolitik der Regierung verantwortlich für das Desinteresse der Menschen.
Zudem habe es die Regierung nicht geschafft, wie versprochen, die wuchernde Korruption in den staatlichen Behörden zu verringern. Qasim Achgar, einer der bekanntesten Intellektuellen Afghanistans, nennt einen weiteren Grund, warum die Menschen den Wahlurnen ferngeblieben sind:
"Viele haben diesmal gar nicht gewusst, was genau sie wählen. Unter dem Wort Parlament könnten viele sich kaum etwas vorstellen. Bei den Präsidentschaftswahlen war es anders. Da sagten viele, sie würden ihren König wählen und sind zahlreich zu den Wahlurnen gegangen."
Die Nichtwähler selbst nennen einen ganz anderen Grund, warum sie ihre Stimme nicht abgegeben haben. In ihren Augen haben sich zum größten Teil die ehemals mächtigen Wahrlords und Kommandanten zur Wahl gestellt. Und diese wollten sie auf keinen Fall wählen.
Ratbil Shamel
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005
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