Kriegsrecht durch die Hintertür
Nicholas Kristof, Journalist der "New York Times", beschrieb vor sechs Jahren seine Verhaftung nach den Protesten im Arabischen Frühling in Bahrain als flüchtigen Blick "durch einen Schleier aus Tränengas [auf] einen angehenden Polizeistaat".
Er berichtete, wie sogar Ärzte wegen der Behandlung verwundeter Demonstranten verfolgt und verhaftet wurden. Darunter befand sich Dr. Ali al-Ekri, der damals eine lange Haftstrafe antreten musste. "Bei ähnlichen Vorfällen in Syrien oder im Iran hätte das Weiße Haus längt empört reagiert“, meinte damals Kristof und verlangte von den USA eine ebenso strikte Verurteilung ihres Bündnispartners Bahrain.
Den damaligen Text hätte er heute wieder schreiben können. Was nicht heißt, dass sich nichts geändert hat. Denn seit 2011 verfestigt sich der "angehende Polizeistaat" von damals. Dr. al-Ekri wurde erst kürzlich nach fünfjähriger Haft entlassen, doch sein Berufsstand ist längt der Kontrolle durch das Militär unterworfen. Und der Rettungsdienst wird heute von der Polizei betrieben.
Verfassungsänderungen auf Kosten von Grundrechten
Die unverblümte Militarisierung des Sicherheitsapparats greift auf immer weitere Bereiche der Bahrainer Gesellschaft über. Sogar in die Verfassung hat sie mittlerweile Einzug gehalten. Am 3. April 2017 unterschrieb Bahrains König Hamad bin Isa Al Chalifa eine Verfassungsänderung, die seit Langem auf dem Weg ist und bereits von beiden Häusern des königlichen Marionettenparlaments abgenickt wurde. Demnach können jetzt auch Zivilisten von Militärgerichten "wegen Bedrohung der Staatssicherheit" vorgeladen werden.
Zuvor hinderte die Verfassung von 2002 die Militärgerichte an der Einleitung von Verfahren gegen Zivilisten, es sei denn, der König hat das Kriegsrecht oder einen nationalen Notstand ausgerufen. Genau das geschah 2011, als die Regierung Militärtribunale einrichtete, um Demonstranten, Menschenrechtsaktivisten, Ärzte und Politiker in Schnellverfahren abzuurteilen.
Nach einem Lehrstück in Sachen Justiztheater mit erzwungenen Zeugenaussagen und einer Fülle zweifelhafter Beweise wurden Hunderte zu Gefängnisstrafen verurteilt: wegen freier Meinungsäußerung, Versammlung und Gruppenbildung.
Diese Schauprozesse verstießen derart offensichtlich gegen ordnungsgemäße Gerichtsverfahren, dass die von der internationalen Gemeinschaft begrüßte "Bahrain Independent Commission of Inquiry" (BICI) die Regierung drängte, unverzüglich zivilrichterliche Überprüfungen vorzunehmen und letztlich alle Verurteilungen aufzuheben, bei denen "die Grundsätze eines fairen Verfahrens nicht eingehalten" und bei denen Beschuldigte "aufgrund ihrer freien Meinungsäußerungen" verurteilt worden waren.
Ein Jahr später nahm Bahrain bei einer zweiten regelmäßigen Überprüfung der Menschenrechte seitens der Vereinten Nationen zahlreiche Empfehlungen anderer Staaten an, die diese Vorschläge wiederholten. Unter anderem hatte Irland gefordert, die "Verurteilung von Zivilisten vor Militärgerichten in Zukunft" ausdrücklich zu verbieten.
Der Weg in eine militarisierte Autokratie
Anstatt die Zusagen einzulösen, entschied die Regierung, die demokratischen Mechanismen im Land weiter auszuhöhlen und den Staat in eine militarisierte Autokratie umzubauen. Aktivisten bezeichnen diese Entwicklung schlicht und einfach als "Kriegsrecht durch die Hintertür".
Die Verfassungsänderung überrascht all jene kaum, die mit den jüngsten Entwicklungen Bahrains in Sachen Strafrecht und Sicherheit vertraut sind. Wie bereits erwähnt, hat die Regierung den Sicherheitsapparat zunehmend in wesentlichen Bereichen der Gesellschaft und sogar in grundlegenden öffentlichen Diensten verankert. Als König Hamad im Januar 2017 die Verfassungsänderung zugunsten der Militärgerichte einbrachte, ermächtigten die Behörden offenbar die Nationale Sicherheitsbehörde (NSA), Verhaftungen vorzunehmen.
Ebenso wie die Verfassungsänderung weitete diese Entscheidung die Rolle der Sicherheitskräfte auf den zivilen Bereich aus und machte vorherige Reformzusagen zunichte. Denn die Entscheidung der Regierung, der Nationalen Sicherheitsbehörde die Verhaftungsbefugnis zu entziehen, nachdem diese 2011 an systematischen Folterungen, willkürlichen Verhaftungen und außergerichtlichen Tötungen beteiligt war, ist eine von nur zwei BICI-Empfehlungen, die vollständig umgesetzt wurden.
Innerhalb weniger Wochen nach dieser Ermächtigung erlebte die Welt einen gewaltsamen Auftritt der militärstaatlichen Gewalt in Bahrain und ihrer Überwachungs- und Einschüchterungsmechanismen.
In der Nacht vom 26. Januar 2017 marschierten in Zivil gekleidete und schwarz maskierte Sicherheitskräfte in den Ort Diraz ein und bezogen Stellung nahe dem Haus von Scheich Isa Qassim, dem bekanntesten schiitischen Geistlichen Bahrains. Die Aufmachung erinnerte an die NSA-Schwadrone aus dem Jahr 2011.
Im Belagerungszustand
Nachdem Scheich Qassim die Staatsangehörigkeit aberkannt und gegen ihn ein Verfahren wegen der Ausübung traditioneller religiöser Praktiken eingeleitet wurde, demonstrierten im Juni 2016 Hunderte von Demonstranten mit friedlichen Sitzblockaden in der Nähe seines Hauses. Seitdem riegeln Sicherheitskräfte den Ort ab und verweigern Fremden den Zutritt. Internet-Sperren und andere Taktiken erinnern an einen Belagerungszustand.
In der besagten Nacht näherten sich die Sicherheitskräfte den Zelten, in denen die Demonstranten schliefen, und eröffneten das Feuer mit scharfer Munition. Der 18 Jahre alte Mustafa Hamdan wurde in den Hinterkopf getroffen. Ein hinzugerufener Ersthelfer war wegen der Schwere der Verletzung schnell überfordert. Da man den polizeilich kontrollierten Rettungsdienst nicht rufen wollte, wurde Hamdan in ein privates Hospital gebracht.
Dort erklärten die Mitarbeiter, ihnen sei es verboten, Demonstranten zu behandeln, ohne die Behörden hinzuzuziehen. Da Hamdan stark blutete, brachte ihn sein Bruder in das größte öffentliche Hospital Bahrains, das mittlerweile vom Militär verwaltet wird. Dort angekommen, wurde sein Bruder vom Sicherheitspersonal verhört. Hamdan fiel währenddessen ins Koma. Er starb vergangenen Monat.
Husain Abdulla
© OpenDemocracy 2017
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers