Die perfekte Identifikationsfigur des Arabischen Frühlings
Myriam Bouchentoufs musikalisches Alter ego, Master Mimz, wurde Anfang 2011 schlagartig berühmt, als ihr ungestümer Protestsong Back Down, Mubarak! (Gib nach, Mubarak!) schnell Zehntausende Hörer erreichte. Im Oktober präsentierte sie einige ihrer neuen Songs auf dem "Nour Festival" im Leighton House Museum in London. Dort aufzutreten, war zweifellos eine geniale Idee.
Alan Kirwan, Chefkurator des "Nour Festivals", erkannte die Notwendigkeit, "diesen Kulturen eine mehr zeitgenössische Richtung zu geben, weil sie ansonsten ja einer Art historischem Vakuum verhaftet seien. Immer geht es um die Pyramiden und orientalische Gewänder."
Dass die Wahl dabei auf Master Mimz fiel, eine arabische Frau, die ihre persönlichen Erfahrungen in einer musikalischen Form mitteilt, die erstmals in den 1970er Jahren bei den Afro-Amerikanern und Latinos in New York City aufkam, spielt mit dieser Neugier, hütet sich jedoch zugleich vor einem allzu vereinfachenden Verständnis der arabischen Kultur unserer Tage.
Am Abend ihres Auftritts auf dem "Nour Festival" ließen Myriam und ihre Band harte Rhythmen und noch härtere Texte durch die Wände und Holzdielen des Leighton House dröhnen. Nicht mehr ganz junge Araber und Nicht-Araber jubelten und wackelten gemeinsam mit den Köpfen, an der Seite der vielen jugendlichen Fans.
Allein der Ruf zählt
Geboren und aufgewachsen in Marokko erlebte Myriam ihre ersten Jahre als eine Mischung aus Beschränkungen und Versprechen. Einerseits erfuhr sie eine Gesellschaft, die voll von Zwängen war, insbesondere für junge Mädchen. "Es gab immer diese doppelten Maßstäbe und es war immer sehr streng. Für eine Frau zählte nichts außer ihr Ruf. Davon hing alles ab. Weil dein Ruf dein kostbarstes Gut ist, darfst du dich nicht mit Jungs treffen, nicht ausgehen, nichts trinken und dich mit bestimmten Leuten nicht sehen lassen."
Zur gleichen Zeit aber – und so ging es damals ja vielen anderen jungen Menschen rund um den Globus – zeigten die Bilder auf MTV und in westlichen Kinofilmen via frei empfangbaren Satellitenprogrammen eine aufregende Alternative hinter diesen engen Grenzen. Aus all diesem fremden Rauschen war es der Hiphop, zu dem Myriam und ihre Altersgenossen sich am meisten hingezogen fühlten. Sie überrascht das nicht: "Viele junge Leute fühlten sich unterdrückt, weil sie keine Möglichkeit hatten, sich selbst auszudrücken. Von allen musikalischen Genres ist es eben Hiphop, das den höchsten Grad an individuellem Ausdruck bietet."
Myriam verließ Marokko, um zuerst an der McGill Universität in Kanada zu studieren und dann an der London School of Economics. Die Erfahrung neuer Gesellschaften und Kulturen löste bei ihr eine lange Phase der Selbstreflexion aus, die bis heute andauert: "Ich rannte vor jedem mit einem arabischen Hintergrund davon, weil man einfach immer diese Angst hat… nicht davor, dass man erneut niedergehalten wird, aber davor, dass man wieder in den alten Verhältnissen gefangen wird."
Gegen Schubladendenken
Mit der Zeit aber wurde ihr klar, "dass ich nun mal eine Araberin bin. Das ist meine Kultur. Es ist mein Erbe, mein Background und es ist das, was mich beeinflusst. Es liegt nur an mir, mich davon nicht einschüchtern zu lassen. Ich hatte immer Angst, in eine Schublade gesteckt zu werden und da nicht mehr rauszukommen. Dabei geht es nur darum, die richtige Balance zu finden und darum, über bestimmte Dinge in der richtigen Weise zu sprechen."
Als die Proteste in Ägypten begannen, war sie sehr besorgt um das Land, dessen Kultur einen so starken Einfluss auf sie ausgeübt hatte, als sie jung war: "Ich war so stolz und ich wollte ein Teil davon sein wegen dem, was es ausdrückte: dass unsere Generation fähig ist, solches zu erreichen."
Ihr Beitrag zur ägyptischen Revolte war der Song Back Down, Mubarak!, der nicht nur die unbeugsame Führung des Landes herausforderte, sondern auch ein Kommentar zur Lage der Frauen im Land war: "Das Wichtigste zuerst: Gebt mir einen Job. Dann lasst uns über mein Kopftuch sprechen."
Myriam hat eine klare Vorstellung davon, welche Botschaft der Songtext aussenden soll: "Hört auf damit, über uns Frauen nur unter religiösen Vorzeichen zu sprechen und lasst uns wirklich mal darüber sprechen, was uns finanziell, in der Gesellschaft einen Schritt weiter bringt, als Individuen. Damit das geschehen kann, müssen wir unabhängig sein und das bedeutet gleichzeitig auch, dass wir in der Lage sind, unser eigenes Geld zu verdienen."
Sie findet es frustrierend, dass die Rolle der Frauen in der arabischen Gesellschaft noch immer so begrenzt ist: "Ich werde nie nach meiner Karriere gefragt, niemand weiß wahrscheinlich überhaupt, was ich in meinem eigentlichen Job tue", - sie arbeitet als Beraterin für geopolitische Fragen – "die Leute fragen stattdessen, ob ich einen Freund habe oder ob ich bald heirate. Immer wird eine bestimmte Erwartung, ein fester Plan an dich herangetragen."
Diesen Druck erfährt Myriam aber nicht nur von der älteren Generation in Marokko, sondern auch von ihren Freunden und Kollegen: "Jeder Araber, den ich kenne, will, dass ich auf Arabisch rappe und sie wollen, dass ich etwas über Libyen und Syrien singe. Die eingefleischten Hiphop-Fans wollen, dass ich mehr Bling trage und noch härtere Musik mache. Dabei fühle ich mich denen allen gar nicht zugehörig. Ich versuche nach wie vor, all die verschiedenen Elemente aufzunehmen."
Nicht mein Stil
Um der Gefahr zu entgehen, sich von anderen Menschen instrumentalisieren zu lassen, vertraut Myriam einem gleichermaßen mutigen wie persönlichen Zugang (dafür muss man nur einmal in das bald erscheinende Album Sex, Drugs and Moving Out of Mama's House reinhören):
"Ich mag es nicht, große politische Statements abzugeben, das bin einfach nicht ich und das ist nicht mein Stil. Ich denke, dass es meist am besten ist, es persönlich zu machen, so dass sich die Menschen auch auf einer persönlichen Ebene mit der Musik identifizieren können." Hiphop als Musikgenre ihrer Wahl war deshalb wirklich eine Herausforderung, da viele es nicht verstanden: "Sie verstehen nicht, was es mich kostete, um dorthin zu gelangen. Ich musste mich gegen so viele Menschen durchsetzen, nur um das tun können, was ich jetzt tue."
Die Eile, mit der andere Leute meinen, sich ein Urteil über sie erlauben zu dürfen war ihr eine Lehre und deshalb ist sie zurückhaltend, wenn es um ihre Einschätzung des Arabischen Frühlings geht: "Das Gesetz schützt uns nicht und historisch wurden die Frauen in diesen Gesellschaften immer unterdrückt – kurz: ja, natürlich habe ich mich gefreut, aber Sorgen mache ich mir trotzdem auch noch."
Myriam glaubt, dass selbst wenn der Arabische Frühling seine ursprünglichen Ziele nicht alle erreichen sollte, niemand leugnen kann, dass er ein positives Ereignis ist: "Schon dass die Menschen nun wissen, dass wir das tun können, dass wir es selbst in die Hand nehmen können und wir eine Stimme besitzen – das ist, schon für sich genommen, so ein Zeichen der Stärke. Und sei es nur, um den Mächtigen zu zeigen, dass sie nicht unbesiegbar sind."
Kampf um Deutungshoheit
Durch den Kampf um die Deutungshoheit über diese komplexe und noch sehr unsichere Periode in der arabischen Geschichte besteht die Gefahr, dass die ganze Region nur auf ein paar Slogans reduziert wird. Zudem hat die Einmischung des Westens Befürchtungen neu genährt, dass dieser dabei wieder nur seine eigenen Interessen verfolgt. Das innovative Programm des Leighton House Museums trägt auch mit dem "Nour Festival" dazu bei, für eine umsichtigere Auseinandersetzung mit einer problematischen Vergangenheit und einer aufregenden, wenn auch unsicheren Zukunft zu werben.
Myriam lässt sich nicht vor den Karren anderer spannen. Ihre Show im Leighton House zeigte das eindrucksvoll. Genauso wie es ihr bewusst ist, dass der Hiphop immer riskiert, herabgesetzt zu werden, wenn er sich zu sehr dem Mainstream annähert, ist ihr klar, dass der Arabische Frühling in Gefahr ist, einer eindimensionalen Sichtweise im Spiegel des Westens ausgesetzt zu sein.
In sehr reifer, offener und selbstbewusster Weise, formt sie sich eine Identität, die sich durch die arabische Realität weder begrenzen lässt, noch vor ihr flieht. Es bleibt abzuwarten, wie erfolgreich sie damit sein wird. Doch mit einem leidenschaftlichen Geist und einem nachdenklichen Verstand gibt es keinen Grund, nicht optimistisch zu sein. Und in diesem Sinne ist sie tatsächlich die perfekte Identifikationsfigur für den Arabischen Frühling. Oder sollte es zumindest sein.
Joseph Burke
© Qantara.de 2011
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de