Rührstock im Kopf

Im Oktober veranstalteten die Deutsche Botschaft und das Goethe-Institut in Kairo und Alexandria ein »Deutsches Festival«. Das Motto: Kultur im Dialog. Der in Ägypten lebende Journalist Jürgen Stryjak war dabei.

Mit dem Dialog ist das so eine Sache, speziell dann, wenn nicht geredet, sondern nur musiziert, getanzt, zugeguckt und zugehört wird. Vom 2. bis zum 23. Oktober veranstalteten Deutsche Botschaft und Goethe-Institut in Kairo und Alexandria ein »Deutsches Festival«. Sein Motto: Kultur im Dialog.

Lichthaus

​​Über 20 Veranstaltungen, die meisten von ihnen mit diversen Unterprogrammen und Reihen – erstmals präsentierten sich deutsche Kunst und Kultur in diesem Umfang in Ägypten. Mindestens 22 Millionen Ägypter leben in den Großräumen Kairo und Alexandria. Sie lieben deutsche Autos und verehren deutsche Wertarbeit, mit der Kultur Deutschlands aber kommen sie so gut wie nie in Berührung. Nun also ein Mammutprogramm, mit dem ernsten Motto »Deutschland trifft Ägypten – Kultur im Dialog«.

»Kunst ist wie ein Rührstock«, sagt Mamdouh Baraka, Student an der Universität Al-Azhar, nach dem Besuch der Ausstellung Haus der Begegnung im Goethe-Institut Kairo. »Da sind deine Gedanken, dann kommt die Kunst und rührt alles um.« Das Glücksauto hat ihn nachdenklich gemacht. Marwa Zakaria, Stephan Köperl und Sylvia Winkler fuhren mit einem Pickup-Truck durch Kairoer Stadtteile. Seine Ausstattung: eine ausklappbare Treppe, ein Stehpult mit Mikrofon sowie Lautsprecher. Die drei Künstler bitten Passanten, einen Satz zu sagen, der mit den Worten beginnt: »Ich bin glücklich, weil…« Das Resultat, auf Video aufgenommen, könnte sich Ausstellungsbesucher Baraka stundenlang anschauen. Viele Kairoer haben außer Problemen oft wenig, aber tausend Gründe, um glücklich zu sein. Der Azhar-Student fragt sich, wieso das so ist und wie die deutschen Besucher die Aussagen wohl aufnehmen werden, besonders auch die nachdenklichen. Ein Glücksauto-Teilnehmer sprach ins Mikrofon: »Es gibt nichts, was mich glücklich macht… Darf ich jetzt ein Lied singen?«

Dialog im Kopf

Bei Ausstellungsbesucher Baraka findet der Dialog im Kopf statt, ein inneres Zwiegespräch. Das funktioniert auch im Haus der Begegnung nicht immer. Die Künstler Mahmoud Hamdy und Florian Thalhofer präsentieren die interaktive Multimedia-Installation 7 sons, die den Beduinen-Scheich Suwailim, seine sieben Söhne und den Wüstenalltag zeigt. Eine ägyptische Besucherin schreibt ins Gästebuch: »Wo ist das Leben der deutschen Bauern, das reale Leben deutscher Menschen?«

Kunstwerk IIX

​​Das Goethe-Institut als Festivalplaner – dem Dialoggedanken verpflichtet – hat fast im gesamten Programm deutsche und arabische Kunst und Künstler gemischt. Im Kairoer Opernhaus wird der erste abendfüllende Animationsfilm der Welt gezeigt: Lotte Reinigers »Die Abenteuer des Prinzen Ahmed« (Deutschland 1926). Die Musik zu dem Stummfilm nach Motiven aus »Tausendundeiner Nacht«, ausgerichtet auf den Publikumsgeschmack der Weimarer Republik, wird vom Cairo Symphony Orchestra live gespielt, unter Leitung des Berliner Dirigenten Frank Strobel. Das ägyptisch-deutsche Publikum im Opernhaus ist begeistert. Andere Programmpunkte scheinen mehr Schaufenster deutschen Kunstschaffens denn Dialog zu sein, wie beispielsweise das grandiose Gastspiel des Stuttgarter Balletts.

Kunst bessere Sprache für Dialog als Worte

Wer allerdings zu den 300 Besuchern des Gemeinschaftskonzertes der irakischen Oud-Legende Naseer Shamma und des renommierten Kölner Konzertgitarristen Ansgar Krause gehörte, ahnt, dass Kunst vielleicht sogar die bessere Sprache für einen wirklichen Dialog ist, besser als viele, oft mißverständliche Worte. Die beiden Musiker, jeder in seinem Kulturkreis verwurzelt, demonstrierten, dass so unterschiedliche Musik, wie jene aus dem europäischen Barock und der arabischen Welt, miteinander harmonieren, weil sie auf vergleichbaren Gefühlen, Erfahrungen und Sehnsüchten basieren. Das ist, als würde man ein Stück des Weges miteinander gehen und verblüfft feststellen, wie ähnlich man sich eigentlich ist.

Mit Johannes Ebert, dem Leiter des Goethe-Instituts Kairo/Alexandria, gelangt seit anderthalb Jahren verstärkt populäre deutsche Unterhaltungskultur nach Ägypten. So auch im Rahmen des »Deutschen Festival«, das neuere Filmkomödien wie »Im Juli« oder »Sonnenallee« zeigte. Soviel Humor hatte der Ingenieur Mohammed Ahmed (28) den

Fuge, Stuttgarter Ballettensemble

​​Deutschen gar nicht zugetraut, und er fragt: »Warum kommen aus dem Ausland eigentlich immer nur Hollywood-Filme in die ägyptischen Kinos, aber nie ein deutscher?« Das Festivalprogramm insgesamt schien sagen zu wollen: Seht, wir Deutschen sind doch gar nicht so behäbig und bierernst wie immer alle denken. Selbst während der Nacht der Poesie, als Lyriker beider Länder Gedichte vortrugen, deren Übersetzung im Hintergrund eingeblendet wurde, nahm das einheimische Publikum Albert Ostermeiers Mischung aus Popstar-Attitüde und politischer Konkretheit (»Alice in Afghanistan«) außerordentlich lebendig und vergnügt auf.

Arabische Ballade und westliche Soulmusik

Auch Rolf Stahlhofen, einst Co-Leadsänger neben Xavier Naidoo bei den Söhnen Mannheims, hatte es beim Festivalfinale leicht. Die meisten der 2000 Besucher des Popkonzertes mögen der jungen ägyptischen Sängerin Shireen wegen ins Kairoer Handballstadion gekommen sein, überrascht hat sie aber eindeutig der deutsche Soulmusiker. Viele im jungen Publikum fanden das pummelige Energiebündel in weißem Hemd und dunklem Jackett einfach absolut cool. Stahlhofen wäre auf jeder ägyptischen Hochzeitsfeier problemlos durchgegangen. Beim Duett mit Popstar Shireen trafen dann ungeprobt arabische Ballade auf westliche Soulmusik, und es klang als gehörten die beiden Stile seit jeher zusammen.

Man muss also nicht unbedingt miteinander reden, um einander zu verstehen. Das im Grunde war die Hauptbotschaft dieses Festivals. Nur wenige Besucher werden Debatten und Diskussionsrunden vermißt haben. Aber daß das Glücksauto bislang nur in Kairo und noch nicht in Deutschland unterwegs war, das ist ein Manko, das unbedingt behoben werden muss – dem Dialog zuliebe.

Jürgen Stryjak

© Qantara.de 2003

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Deutsche Botschaft Kairo