Bärendienst für die irakische Demokratie

Iraks amtierender Premierminister Nuri al-Maliki tut alles, um seinen Sessel als Regierungschef in Bagdad zu behalten. Der eigentliche Wahlsieger, Ex-Premier Ijad Allawi, schaut dem Treiben seines Rivalen fassungslos zu. Seine Chancen, eine Regierung zu bilden, schwinden von Tag zu Tag. Derweil nutzen Terroristen das Machtvakuum für ihre Zwecke. Aus Bagdad informiert Birgit Svensson.

Nuri al-Maliki; Foto: AP
Machthunger um jeden Preis: Nuri al-Maliki, noch amtierender Premierminister, zieht derzeit alle Register, um an der Macht zu bleiben.

​​ Die Mörder lauerten ihm vor seinem Haus im Stadtteil Amil in Iraks drittgrößter Stadt Mosul auf und feuerten mehrere Gewehrsalven ab, als er aus dem Haus trat. Die Verletzungen waren tödlich. Bashar Hamid al-Agaidi starb kurz darauf im Krankenhaus.

Erschießungen wie diese sind leider noch immer Alltag in einem Land, das einen blutigen Regimewechsel durchmacht. Auch Bombenanschläge häufen sich wieder. Gleichwohl spiegelt gerade dieser Mord die momentane politische Situation zwischen Euphrat und Tigris am dramatischsten wider. Al-Agaidi war einer der neu gewählten Abgeordneten im irakischen Parlament. Er gehörte der Irakija-Liste des Wahlsiegers Ijad Allawi an.

Den Kampf um Macht und Einfluss nach den Parlamentswahlen vom 7. März musste der 43-jährige mit seinem Leben bezahlen. Die anderen 324 Abgeordneten werden sich nun fragen, wer von ihnen als nächstes dran ist. Politische Beobachter in Bagdad sind sich einig: Jetzt räche sich, dass die US-Administration zu lange auf militärische Optionen gesetzt habe und der politische Prozess damit nicht Schritt hielt.

Drängende politische Probleme im Nordwesten

Für Abdullah al-Juburi war der Tod seines Kollegen ein Schock. Der 57-jährige Arzt gehört ebenfalls der Liste Allawis an und wird für die Provinz Dijala, nordöstlich von Bagdad, ins Parlament einziehen.

Wahlplakate in Bagdad; Foto: AP
Wahlplakate in Bagdad: Es ist unwahrscheinlich, dass die beiden Wahlsieger gemeinsam eine Regierung bilden, obwohl sie zusammen eine komfortable Mehrheit hätten.

​​ "In Ninewa, wo Bashar herkam, sind wir nahe an einer politischen Lösung", mutmaßt Juburi über die Hintergründe des Attentats. Dort hat Allawi mit Abstand vor den kurdischen Parteien die meisten Stimmen erzielen können. Die nordwestlichste Provinz Iraks mit der Hauptstadt Mosul gehört zu den so genannten umstrittenen Gebieten, in denen die Verwaltungszugehörigkeit noch ungeklärt ist. Die nur 80 Kilometer von Mosul entfernte Ölstadt Kirkuk steht symbolhaft für den Konflikt.

Die Frage ist, ob diese Gebiete künftig der kurdischen Autonomieverwaltung in Erbil unterstellt sein werden oder weiterhin der Zentralregierung in Bagdad - eines der seit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung vor vier Jahren ungeklärten Probleme, das längst gelöst sein sollte.

Kräftezehrendes Tauziehen

Aber die Lösung des derzeit drängendsten Problems, Mehrheiten für eine stabile Regierung in Bagdad zustande zu bringen, ist ebenfalls noch nicht in Sichtweite. Seit Wochen spielt sich ein kräftezehrendes Tauziehen mit unverminderter Härte ab. Nuri al-Maliki, noch amtierender Premierminister, zieht derzeit alle Register, um an der Macht zu bleiben. Seitdem feststeht, dass er nicht der eindeutige Sieger der Parlamentswahlen ist, tut er alles, um seinen Sessel nicht räumen zu müssen.

Zunächst erstritt er vor Gericht, dass die Stimmzettel für Bagdad nochmals ausgezählt werden müssen. Dann wurden gewählte Abgeordnete der Partei seines Gegners aufgrund ihrer Vergangenheit disqualifiziert. Und schließlich fusionierte Maliki seine Rechtsstaatspartei trotz erheblicher Meinungsunterschiede mit der drittplazierten Schiitenallianz und sicherte sich so schon einmal 159 von 163 notwendigen Stimmen zur Regierungsbildung.

Der eigentliche Wahlsieger, Ex-Premier Ijad Allawi, schaut dem Treiben seines Rivalen zuweilen fassungslos zu. Seine Chancen, eine Regierung zu bilden, schwinden von Tag zu Tag.

Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Allawi und Maliki

Als erste Teilergebnisse nur wenige Tage nach der Wahl veröffentlicht wurden, wähnte sich Maliki siegessicher. Sie attestierten ihm einen Vorsprung vor seinem Kontrahenten Allawi.

Ijad Allawi; Foto: AP
Knapper Wahlsieg für den Ex-Premier Ijad Allawi: Sein Kontrahent al-Maliki warf ihm "Stimmenklau" vor.

​​ Tröpfchenweise sickerten danach die Gesamtergebnisse der 18 Provinzen Iraks durch. Immer mehr zeichnete sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Allawi und Maliki ab. Je nachdem wer gerade zurücklag, prangerte dieser Wahlfälschungen an. Als das vorläufig amtliche Endergebnisse Ende März verkündet wurde, ging Allawi mit zwei Stimmen Vorsprung als knapper Wahlsieger daraus hervor. Aber keiner der beiden kann alleine regieren.

Berichte der nationalen und internationalen Wahlbeobachter sprachen zwar von Unwägbarkeiten in einigen Wahlzentren, wie in Kirkuk und Bagdad, doch blieben diese Fälschungen im Rahmen des für eine junge Demokratie akzeptablen drei Prozent Bereichs. An dem Wahlergebnis selbst ändere dies nichts, so die einhellige Meinung der Wahlbeobachter.

Doch Maliki akzeptierte das Ergebnis nicht und reichte Klage beim Obersten Gerichtshof ein, der im Ruf steht, seiner Regierung freundlich gesinnt zu sein.

In einer Rede in Kerbela Ende April machte der schiitische Politiker die internationale Gemeinschaft für den Ausgang der Wahl verantwortlich. Sie wolle ihn durch Wahlmanipulationen putschen. Seinem Rivalen Allawi warf er "Stimmenklau" vor. Das Gericht entschied, die Stimmzettel für Bagdad nochmals von Hand zählen zu lassen. Maliki musste sich abermals geschlagen geben: Das Ergebnis bleibt dasselbe.

Al-Maliki: Diktatorische Züge?

Seitdem hagelt es Kritik auf den Regierungschef. Machthunger um jeden Preis wird ihm vorgeworfen. Seine kurdischen Regierungspartner sprechen gar von diktatorischen Zügen, die der 59-jährige Schiit in den letzten vier Jahren seiner Amtszeit entwickelt habe.

Parlament in Irak; Foto: dpa
Parlament im Irak: Keine Mehrheit für al-Maliki trotz der geschickten Fusion seiner Rechtsstaatspartei mit der Schiitenallianz.

​​ Und sogar der Vorsitzende des Hohen Islamischen Rates, die zweitstärkste Gruppierung der Schiitenallianz INA, mit der Malikis Rechtsstaatspartei zu einer Fraktion im Parlament fusionierte, spart nicht mit Kritik: Wer an den Wahlresultaten zweifle, um ein oder zwei Mandate mehr herauszuschlagen, zweifle auch an der Wahlkommission und den verfassungsrechtlichen Institutionen, bemerkte Amar Al-Hakim in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehsender Al Iraqija.

Im Endeffekt zweifle Maliki somit am gesamten politischen Prozess. "Wenn die Stimmen auf Antrag eines Bündnisses in Bagdad neu und per Hand ausgezählt werden müssen, dann könnte ein anderes die Auszählung in Erbil beantragen, wieder ein anderes in Anbar, in Basra oder Nadjaf."

Für Hakim bedeutet dies, dass unter den politischen Bündnissen kein Vertrauen bestehe. "Wie sollen nun diese Bündnisse den Irak führen, wenn ein jedes Bündnis an der Glaubwürdigkeit des anderen zweifelt?", bringt der schiitische Geistliche mit schwarzem Turban den politischen Zustand Iraks auf den Punkt.

Jagd auf Baathisten

Doch Maliki gibt sich noch nicht zufrieden. Ein Kontrollgremium hat inzwischen Bedenken gegen sechs Abgeordnete angemeldet, die den Einzug ins Parlament geschafft haben. Davon gehören vier der Liste von Allawi an. Den Kandidaten werden Verbindungen zur früheren Baath-Partei des gestürzten Diktators Saddam Hussein vorgeworfen.

Schon im Wahlkampf hatte die Gerechtigkeitskommission, Nachfolgerin der von der US-Administration eingesetzten Ent-Baathifizierungskommission, über 500 Kandidaten ausgeschlossen.

Das Gericht nahm einige dieser Verbote zwar zurück und stellte die Legitimität der Institution in Frage. Jetzt aber sollen alle Abgeordneten auf ihre Baath-Vergangenheit überprüft werden. Würden die Disqualifizierungen der vier Irakija-Parlamentarier gerichtlich bestätigt, verlöre Allawi seine Mehrheit.

Als die Gauck-Behörde Iraks ins Leben gerufen wurde, war Maliki von 2003 bis 2004 eines ihrer führenden Köpfe. Er gilt seitdem als Baathisten-Jäger. Allawi indes bekam einen Großteil seiner Stimmen von ehemaligen Baath-Parteimitgliedern.

Deshalb ist es schwer vorstellbar, dass die beiden Kontrahenten gemeinsam eine Regierung bilden, obwohl sie zusammen eine komfortable Mehrheit hätten. Erste Gespräche der beiden in der letzten Woche waren denn auch ohne Ergebnis verlaufen.

Birgit Svensson

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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