COVID-19 erreicht größtes Flüchtlingslager der Welt
Seit Beginn der Pandemie warnen internationale Hilfsorganisationen, dass ein Ausbruch in den Flüchtlingslagern der Welt katastrophale Folgen haben kann. Um dieses Szenario zu verhindern, hat Bangladesch das Rohingya-Flüchtlingslager Kutupalong seit Anfang April 2020 weitgehend abgeriegelt. Der Zutritt und das Verlassen des Lagers waren auf das Notwendigste eingeschränkt. Straßensperren der Polizei und Patrouillen sollten die Abriegelung durchsetzen.
Hilfsorganisationen wie das International Rescue Comittee (IRC) und CARE Deutschland haben sich in den vergangenen Wochen so gut es geht auf einen Ausbruch vorbereitet. Medizinisches Personal wurde geschult, Isolationsstationen wurden eingerichtet. Nach Angaben von IRC ist eine Station mit 1.700 Betten geplant, einige Hunderte davon sind schon heute einsatzbereit. Es gibt eine Intensivstation mit zehn Beatmungsgeräten.
Erster Fall bestätigt
Vor wenigen Tagen fühlte sich ein Flüchtling im Lager krank. Er ging zur nächsten Krankenstation, wo ein Arzt aufgrund der Symptome einen COVID-19-Verdacht hatte. Ein Test wurde an ein Labor in Bangladesch gesandt, das den Verdacht bestätigte. Mohammad Mahfuzar Rahman von der Regierungskommission für Flüchtlinge, Hilfe und Repatriierung und zuständig für das Lager Kutupalong sagte der DW: "Der infizierte Angehörige der Rohingya wird auf einer Isolierstation des Krankenhauses der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) behandelt. Sechs Familienmitglieder sind in Quarantäne. Auch bei ihnen werden Proben entnommen, die dann im örtlichen 'Medical College Lab' untersucht werden."
Die Regierung Bangladeschs und mehrere Hilfsorganisationen arbeiten seither mit Hochdruck an der Rekonstruktion der Infektionskette, wie das IRC bestätigt. Doch der Prozess ist noch im Gange.
Durch den bestätigten Fall sind nun mehr als 855.000 Flüchtlinge in dem Lager und mehr als 440.000 Bewohner bedroht, die im unmittelbaren Umfeld des überfüllten Lagers leben. Außerhalb des Lagers hatte es bereits Fälle gegeben, die aber nach Angaben der Regierung unter Kontrolle sind.
Zusätzliche Hilfe notwendig
Trotz aller Vorbereitungen sei eine katastrophale Entwicklung in dem Lager ohne zusätzliche Unterstützung kaum zu verhindern, warnt Manish Agrawal, Landesdirektor des IRC in Bangladesch. "Die medizinischen Einrichtungen sind ohnehin schon völlig überlaufen. Es fehlt an notwendiger Ausrüstung, medizinischen Mitarbeitern und an genug Platz, um Erkrankte zu behandeln."
Die sanitären Einrichtungen im Lager waren schon ohne COVID-19 unzureichend. Viele Familien teilen sich eine Toilette. An den Zugängen zu Trinkwasser und Waschräumen bilden sich lange Schlangen. An Abstandhalten ist in den beengten Unterkünften nicht zu denken. Unter solchen Bedingungen ist eine schnelle Übertragung des Virus unvermeidlich.
Agrawal erläutert dazu: "Die Bevölkerungsdichte ist 1,6 Mal höher als auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess, auf der sich das Virus viermal schneller als auf dem Höhepunkt im chinesischen Wuhan ausbreitete." Wuhan ist die Hauptstadt der zentralchinesischen Provinz Hubei. Dort wurde das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 zuerst entdeckt.
Aufklärung wichtig, aber schwierig
Trotz verschiedener Informationskampagnen in der Sprache der Rohingya sieht Agrawal ein großes Wissensdefizit bei den Flüchtlingen. Das hänge auch mit der Einschränkung des Internets zusammen, die Bangladesch verhängt hat, um die Verbreitung von Gerüchten und Falschmeldungen einzudämmen. "Internet- und Mobilfunkeinschränkungen im Lager haben zu einem Mangel an korrekten Informationen über das Virus und dem Wissen, wie man sich selbst schützen kann, geführt.
Die Einschränkungen machen es auch für Hilfsorganisationen schwierig, schnell auf einen Fall zu reagieren." Ob sich die Nachricht über den ersten bestätigten Fall bereits im Flüchtlingslager verbreitet habe, konnte das IRC auf Nachfrage der Deutschen Welle nicht sagen.
Die deutsche Hilfsorganisation CARE, von der einige der Bilder in diesem Beitrag stammen, schließt sich dem Aufruf des IRC an. CARE ist seit Ende 2017 in den Lagern aktiv. Zuletzt hat CARE in den Flüchtlingslagern Hygienepakete und Schutzausrüstung gegen das Virus verteilt. 37 Trainer, die sogenannten "Poopmen", waren schon vor der Coronakrise im Einsatz, um die Hygienestandards zu verbessern. Letzteres sei nun noch wichtiger, aber ohne zusätzliche Hilfe kaum zu leisten.
Deepmala Mahla, CARE-Regionaldirektorin für Asien, sagt dazu: "Die Rohingya in Cox's Bazar haben bereits unsägliche Traumata erlitten. Wir fordern die internationale Gemeinschaft daher nachdrücklich auf, Hilfsorganisationen, die in Bangladesch arbeiten, finanziell zu unterstützen."
Rodion Ebbighausen
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