Eine türkische Liebe in Berlin

Der türkische Autor Sabahattin Ali lebte zwischen 1928 und 1930 in Deutschland. Sein Roman "Die Madonna im Pelzmantel" schildert eine unerfüllte Liebesbeziehung im Berlin der 1920er Jahre, die einem jungen Mann in Ankara jedoch den Weg aus der Einsamkeit weist. Von Volker Kaminski

Der türkische Autor Sabahattin Ali lebte zwischen 1928 und 1930 in Deutschland. Sein Roman "Die Madonna im Pelzmantel" schildert eine unerfüllte Liebesbeziehung im Berlin der 20er Jahre, die aber einem jungen Mann in Ankara den Weg aus der Einsamkeit weist. Volker Kaminski hat den Roman gelesen.

​​Dieses Buch besitzt Magie. Selten wurde in einem modernen Roman schöner und eindringlicher über die vergebliche Liebe geschrieben als in Sabahattin Alis 1943 in der Türkei veröffentlichten Roman.

Raifs Begegnung mit Maria, der "Madonna im Pelzmantel", und die sich daraus entwickelnde Beziehung besitzt alle Kriterien einer klassischen Liebesgeschichte, ohne altmodisch oder kitschig zu wirken.

Mit erzählerischem Geschick führt Ali den Leser schrittweise zurück ins Berlin der zwanziger Jahre, wo Raif, der 44jährige Türke, seiner großen Liebe begegnet.

Ein Schicksal in einer Schulkladde gebannt

Wenn der Leser dem jungen Raif durch sein Berliner Leben folgt, weiß er bereits über das Ende dieses merkwürdigen Mannes Bescheid. Raif Efendi arbeitet Anfang der vierziger Jahre als Übersetzer in einer Bank in Ankara.

Eines Tages wird ihm ein junger Mann an die Seite gesetzt, der ebenfalls bei dieser Bank arbeitet. Dieser – der Ich-Erzähler der Rahmenhandlung – lernt Raif kennen und beginnt sich für den klugen und gebildeten, aber äußerst schweigsamen Mann zu interessieren. Er besucht ihn zu Hause, da Raif öfters krank ist.

Auch in seinem Haus lebt Raif ohne Entfaltungsmöglichkeit in beengten Verhältnissen. Eine vielköpfige, ihn tyrannisierende Familie umgibt ihn, für die er aufopferungsvoll sorgt.

Irgendwann kommt der Ich-Erzähler dem Geheimnis Raifs auf die Spur, das verborgen ist in einem schwarzen Schulheft in Raifs Schreibtisch. Es enthält die Aufzeichnungen, die Raif zehn Jahre zuvor über sein Berliner Leben gemacht hat. Kurz bevor Raif stirbt, kommt das Heft in die Hände des Erzählers, der es während einer einzigen Nacht liest.

Annäherungsversuch durch Bücher und Kultur

Raif wird Anfang der zwanziger Jahre von seinem Vater nach Berlin geschickt, um dort das Handwerk der Seifenherstellung zu erlernen. Stärker als die Arbeit in der Fabrik interessiert Reif jedoch die deutsche Sprache und Kultur. Er lernt intensiv Deutsch bei einem Offizier und wohnt in einer Pension, die ein buntes Gemisch internationaler Gäste beherbergt.

Sabahattin Ali; Foto: privat
Der türkische Schriftsteller Sabahattin Ali gilt als Meister der türkischen Prosa. Zwei Jahre lang studierte er in Deutschland, bevor er als Deutschlehrer in der Türkei zu arbeiten begann.

​​Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs herrscht Inflation und Mangel, aber als Angehöriger einer mit Deutschland im Krieg verbündeten Nation wird Raif mit Respekt und Freundlichkeit behandelt.

Raif leidet jedoch an übergroßer Schüchternheit. Seine zwanghafte Verschlossenheit, die ihn von Kindheit an beherrscht, macht es ihm in der Fremde noch schwerer, sich den Menschen zuzuwenden und sich ihnen zu öffnen. Nur auf dem Umweg der Kultur, durch Bücher und Kunst, findet er eine gewisse Annäherung.

Fast ein "Happy End"

Auf einem seiner Streifzüge trifft er in einer Galerie auf Maria Puders Selbstporträt "Madonna im Pelzmantel". Raif ist wie vom Blitz getroffen, vom ersten Moment an verfällt er dem Porträt, das eine schwermütige junge Frau zeigt. Er glaubt diese Frau zu kennen, und sein Glück könnte kaum größer sein, als er die Malerin eines Tages persönlich trifft und sie sich ihm gegenüber offen zeigt.

Es würde zu weit führen, all die Verwicklungen zu schildern, die die Beziehung zwischen Raif und Maria kennzeichnen. Maria singt und spielt Geige in einem Nachtclub, tagsüber trifft sie Raif, doch sie merkt bald, dass sie Raif nicht liebt. Zu schüchtern, zu wenig selbstbewusst erscheint ihr der junge Mann, der ihr vollkommen ergeben ist. Es kommt zu verschiedenen Trennungen, doch immer wieder finden die beiden zueinander.

Der Potsdamer Platz in Berlin um die Jahrhundertwende; Foto: dpa
Der Roman "Die Madonna im Pelzmantel" spielt im Berlin der zwanziger Jahre mit ihren Nachtclubs, Restaurants, dem "Romanischen Café" und anderen illustren Orten der Millionenmetropole.

​​Maria, die zwei Jahre älter ist als Raif, ist ein nachdenklicher, kluger Charakter, ohne herzlos oder kalt zu wirken. Doch trotz ihrer Gefühle für Raif kann sie nicht dagegen ankommen, dass sie ihn nicht liebt.

Die Ereignisse, die diese langsam sich anbahnende Liebesgeschichte begleiten, sind packend erzählt. Das Innere der Protagonisten, vor allem Raifs Gefühle, wird einfühlsam und akkurat beschrieben, so dass das Interesse nie nachlässt.

Vor dem Hintergrund der Berliner Kulisse der zwanziger Jahre mit ihren Nachtclubs, Restaurants, dem "Romanischen Café" und anderen illustren Orten, spielt sich die ein halbes Jahr dauernde Geschichte ab, die schließlich fast in einem "Happy End" mündet, dann jedoch abrupt abbricht.

Lektüre als Erweckungserlebnis

Mit Raifs Abschied von Deutschland ist die Geschichte keineswegs zu Ende. In seiner Heimat beginnt Raifs eigentliche Tragödie. Nach dem Tod seines Vaters, arbeitet er im väterlichen Olivenhain. Seine Familie hat ihn um das Erbe betrogen, doch er hofft inständig, Maria bald zu sich holen zu können.

Seit der Liebesbeziehung mit Maria, weiß er, zu welchen Gefühlen er imstande ist. Die Einsamkeit und Verlassenheit, die ihn immer gequält hat, wurde in jenem halben Jahr mit Maria durchbrochen. Doch alle Versuche, Maria in die Türkei zu holen und hier mit ihr ein neues Leben zu führen, scheitern.

Ein Trost bleibt dem Leser in der Figur des Ich-Erzählers. Für ihn ist die Begegnung mit Raif ein entscheidender Einschnitt in seinem jungen Leben. Durch die Lektüre der Aufzeichnungen wird ihm klar, dass er bis jetzt über die Menschen zu gering gedacht und sie unterschätzt hat. "Noch nie habe ich die Gegenwart eines anderen Menschen so bewusst und lebendig in mir wahrgenommen. Von jetzt an wird er immer an meiner Seite sein."

Dem Dörlemann-Verlag gebührt das Verdienst, diesen in Deutschland unbekannten türkischen Autor neu aufgelegt zu haben. Ute Birgis Übersetzung lässt die klare, ruhige, psychologisch genaue Sprache Alis unaufdringlich, aber desto intensiver zur Geltung kommen.

Fazit: Ein wunderbares Buch, das auch die Nöte des modernen Menschen, die heimat- und wurzellos in einer anonymen Welt leben, auf packende Weise beschreibt.

Volker Kaminski

Sabahattin Ali: "Die Madonna im Pelzmantel", aus dem Türkischen von Ute Birgi, Dörlemann Verlag, Zürich, ISBN 978-3-908777-38-0

© Qantara.de 2009

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